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db deutsche bauzeitung 06|2011
Hören und Sehen
db deutsche bauzeitung 06|2011

Duft und Klang – Auratischer Ort

Cinema Sil Plaz in Ilanz (CH)

In den abgelegenen Tälern am Vorderrhein ist Kultur nur zu haben, wenn man sie selber macht. So veranstaltet der örtliche Filmclub zusätzlich zum Kinoprogramm auch Konzerte, lädt zu Lesungen oder Theaterabenden ein und schuf dadurch ein kleines Kulturzentrum. Die Architekten sind selbst Mitglieder des Vereins und sorgten innerhalb der bestehenden Räumlichkeiten für Anpassungen der Haus-, Sicherheits- und Kinotechnik sowie den nötigen Lärmschutz. Durch minimale, aber hochpräzise Eingriffe und unter Verwendung archaisch anmutender Materialien wie z. B. Lehm sind stimmungsvolle Räume entstanden.

1. Juni 2011 - Axel Simon
In einem Kino zählt das Immaterielle, Licht und Ton schaffen die Welt. Kinosäle, die darüber hinaus einem architektonischen Anspruch gerecht werden, sind rar. In Ilanz erwartet man einen solchen am allerwenigsten. Architekten ist das Städtchen mit rund 2 300 Einwohnern nur deshalb ein Begriff, weil der Weg nach Vals dort hindurchführt. Von der Rhätischen Bahn steigt man hier ins Postauto, das sich zu Zumthors Therme hinaufschlängelt. Ab jetzt ist Ilanz aber ebenfalls eine Übernachtung, weil einen Kinobesuch wert.

Die Geschichte beginnt vor rund 20 Jahren. Das Kino Darms schließt als letztes Kino der Region Surselva. Um die Lücke zu füllen, gründet sich der Filmclub Ilanz. Der befriedigt im Laufe der Zeit nicht nur cinephile Bedürfnisse, sondern organisiert auch Lesungen und Diskussionsrunden, Konzerte und Theatervorführungen. Als Openair-Wanderkino zieht er in verschiedene Gemeinden, auf Bio-Bauernhöfe und Kuhalpen, er berät Schulklassen bei Filmprojekten und hilft bei der Organisation von Dorffesten. Im Laufe der Jahre wird aus dem Film- ein Kulturclub, ein Zentrum für Kleinkunst der Surselva mit 150 Mitgliedern. Lange trifft man sich in ungemütlichen Provisorien, 1999 schlägt der Versuch fehl, die leerstehende Markthalle in Ilanz zum ständigen Quartier zu machen. Dann findet man das Haus Vieli im Zentrum des Dorfs. Eine mächtige Einzelsäule, die weiße Putzfassade und der fehlende Dachüberstand zeigen Kennern den früheren Umbau von Rudolf Olgiati (dem Vater Valerios) – ein stattliches Haus mit Wohnungen, Büros, einem Therapieraum und einem Café. Und mit Besitzern, die Kultur fördern. Seit Herbst 2004 vermieten sie dem Filmclub den rückseitigen Anbau, Räume und Keller im Haupthaus. In dieser ehemaligen Weinhandlung, die laut den Architekten einst auch als Schmiede genutzt wurde, findet in den folgenden Jahren ein vielseitiges Winterprogramm seinen Ort – mit Veranstaltungen auch für Kinder, Jugendliche und Senioren, für Einheimische und Weltoffene, auf Plastikstühlen und mit zünftigem Barbetrieb danach.

Sinn für Form und Handwerk

Ein Umbau ist notwendig, denn die Wohnungen im Haus und in der Nachbarschaft sind vom kulturellen Lärm geplagt. Auch muss Kino- und Brandschutztechnik installiert, diejenige der sanitären Anlagen, von Heizung und Lüftung erneuert werden. Die Planung übernehmen zwei noch relativ junge ETH-Architekten. Sie engagieren sich bereits länger im Filmclub, erforschen von Ilanz aus das bauliche Erbe ihrer Heimat und bauen auch immer wieder daran weiter: Gordian Blumenthal und Ramun Capaul. Ihren Anspruch an Architektur und ihr Können zeigt das neue Cinema Sil Plaz sehr schön: Zuerst, indem es sich eben nicht »neu« präsentiert. Nicht von außen – wo lediglich die neu aufgedoppelten Fensterrahmen eine Veränderung zeigen – und auch nicht im Innern, im langen Raum des Anbaus, der Eingang und Bar, Konzertraum und »Beiz« also Kneipe gleichzeitig ist. Nichts haben die Architekten hier verkleidet – die, übrigens, wie viele andere Vereinsmitglieder auch, selbst zum Werkzeug griffen. Den vorhandenen Kalkverputz beließen sie, die anderen Wände und die offene Holzdecke kalkten sie neu. Auf der alten Holzempore stehen nun einige Beizentische; freigeräumt dient sie den Künstlern als Bühne. Eine lange Bartheke teilt die andere Hälfte des Raums. Die einfache Gestalt und die praktischen Kniffe der Steh- und Einbaumöbel – ein Möbel dient z. B., geklappt und geschoben, an Club-Abenden als DJ-Pult – zeigen Sinn für Form und Handwerk.

Fragt sich der Besucher im ersten Raum noch, was dort neu sei, so wird er beim Gang in Richtung WC hellhörig. Im zentralen Foyerraum passiert er riesige, unbehandelte Stahltore, die an Rollen hängen und auch die Wände und Türen der WC-Kabinen sind nicht aus gängigen, kunstharzbeschichteten Platten, sondern aus brachialem Metall. Meint man vorn in der Beiz noch den einst hier abgefüllten Wein zu riechen, so klingt hier förmlich der Schmiedehammer im Ohr. Der fein gearbeitete Waschtisch aus bläulichem Gneis (Ilanzer Verrucano) versöhnt allzu zarte Seelen, er ist das Werk des ebenfalls im Club und auf der Baustelle engagierten Christian Aubry, Steinmetz und damaliger Vereinspräsident. Und der Stein, mit seinem gestalterischen Anspruch irgendwie fremd an diesem Ort, bereitet auf den großen Moment vor: den Eintritt in den Kinosaal, durch einen unscheinbaren Holzkasten am Kopf des Foyers.

Kein Schmiedehammer, kein Wein – aber was sonst? Die Schritte über den harten Boden sind fest, werden zwar leicht gedämpft aber nicht geschluckt. Es riecht eigenartig exotisch. Die Wände zeigen ein natürliches Ornament in bräunlichen Tönen. Doch sie sind weder aus Holz, noch aus Naturstein, sie fühlen sich rau und glatt zugleich an, weich und warm. Überhaupt möchte man hier alles anfassen, streicheln: den Stampflehm der Wände, die Bänke aus Eiche, die Polster aus ungefärbtem Leder darauf. Der Boden ist ebenfalls gestampfte Erde, gewachst, um robuster zu sein. Die Lehmbauplatten der Decke überzieht ein Lehmputz und selbst der kleine Treppenblock vor der Fluchttüre besteht aus diesem Material. Der vorarlberger Lehmbauexperte Martin Rauch hat die Architekten beraten und die Handwerker auf der Baustelle angeleitet. Die stampften einen Raum mit abgerundeten Kanten, mit runden Öffnungen zum Projektionsraum, mit einem halbrunden Gewölbe unter der Leinwand, aus dem die tiefen Töne kommen. Rund ist der Raum auch in der gesamten Wirkung für Auge, Nase und Ohr. Der exotische Geruch stammt von den Lederpolstern, die eine in Marokko lebende Freundin der Architekten dort fertigen ließ.

Ein Fremdling ist dieser Raum, keine Frage. Der Lehm kommt zwar aus einer Grube in Surrein, einem Dorf, nicht weit von Ilanz entfernt, doch vertraut ist er nicht. Zumal in einem Kino. Die Macher des Filmclubs, also auch die Architekten, fragten sich zu Beginn der Planung: Was muss heute ein Kleinkino bieten, um existieren zu können? Die Technik war und ist budgetbedingt nicht die neueste, weder digital, noch 3D, ein Großteil der Filme und Veranstaltungen erklärtermaßen anspruchsvoll. Der Raum sollte die technischen Mängel wettmachen, sollte gut genug sein, das Kinoerlebnis zu stützen, sollte auch über das Programm hinaus Menschen anlocken – und nicht nur Architekten. Das ist geglückt, denn für die Ausstrahlung von Stampflehmwänden sind nicht nur Experten empfänglich. Von Donnerstag bis Samstag läuft nun das Kulturprogramm, das von der regional-genossenschaftlichen Raiffeisenbank gesponsert wird. An den anderen Tagen werden in den Räumen auch schon mal Hochzeitstorten oder Geburtstagskuchen angeschnitten. Der Ort taugt nicht nur dafür, sich von Filmen aus aller Welt in eine Traumwelt entführen zu lassen. Er verzaubert auch den Alltag. Welche Leistung!

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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