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TEC21 2012|14
Kunstbrücken
TEC21 2012|14
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Schlank über die Birs

Am 5. März ist in Basel, an der Mündung der Birs in den Rhein, der neue Birskopfsteg eröffnet worden. Die Fussgängerbrücke beeindruckt durch ihre äusserst schlanke Konstruktion. Um problematische Schwingungen, die bei dieser Bauweise auftreten können, zu verhindern, haben ZPF Ingenieure das statische System optimiert, bis die Eigenfrequenzen unkritisch wurden. Das schlichte Erscheinungsbild und die auf ein Minimum reduzierte Konstruktion überzeugen ästhetisch und sind in der technischen Umsetzung konsistent.

30. März 2012 - Ros, Nico, Andreas Zachmann
Der 1963 erstellte alte Birskopfsteg zwischen Basel und Birsfelden mit seinem 27 m hohen Pylon war die erste Schrägseilbrücke der Schweiz. 2004 hatten Expertisen gezeigt, dass in absehbarer Zeit eine umfassende Erneuerung der Brücke nötig sein würde. Drei Jahre später riss eines der Tragseile infolge Korrosion – eine rasche Instandsetzung erwies sich als unmöglich. Seither führte eine provisorische Holzbrücke den Langsamverkehr, der in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, an dieser Stelle über die Birs (das Provisorium ist am 12. März demontiert worden). Aufgrund der Verkehrsentwicklung und der am beschädigten alten Steg festgestellten Ermüdungserscheinungen verwarfen die Verantwortlichen sowohl eine Rekonstruktion als auch einen Teilneubau. Stattdessen schrieben die Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft sowie die Gemeinde Birsfelden einen einstufigen, offenen Totalunternehmerwettbewerb für einen Neubau aus.

Die Bauingenieure von ZPF Ingenieure, die Architekten Christ & Gantenbein, das Stahlbauunternehmen Schneider Bau, die Bauingenieure von Bänziger Partner und das Bauunternehmen Huber Straub gewannen als Team den Wettbewerb im März 2010 mit dem mit «Schwebender Asphalt» betitelten Projekt (vgl. TEC21, 29-30/2010); die Arbeiten am Neubau begannen im August 2011.

Betont minimalistischer Entwurf im bestehenden Umfeld

Die Lage der neuen Fussgängerbrücke unmittelbar an der Mündung der Birs, zwischen der Grünanlage «Birskopf» auf der Basler Seite und dem sogenannten «Birsfelder Rheinpark», ist anspruchsvoll und diffizil (Abb. 1): Der «Birskopf» ist im Sommer als Badeort stark besucht. Grosszügige Wiesenflächen und ein klar strukturierter alter Baumbestand unterstreichen die strenge Gliederung der Anlage. Der Rhein und das Kraftwerk Birsfelden prägen das Gebiet, und so sollte es auch nach dem Neubau sein. Die Überbrückung der Birs ist daher nicht theatralisch inszeniert, sondern fügt sich diskret als Teil des asphaltierten Wegnetzes in das System der Grünanlage aus der Nachkriegszeit ein. Eine offene formale Verwandtschaft mit dem in den 1950er-Jahren nach Plänen von Hans Hofmann erbauten Stauwehr am Kraftwerk stärkt dabei die Kohärenz der Anlage.

In einem sanften Bogen führt der schlanke Steg über den Fluss (Abb. 2 und 6). Um die beiden Ufer mit einer möglichst klaren und dünnen Linie zu verbinden, musste die Tragkonstruktion unter der Belagsfläche angeordnet sein. Aufgrund der zulässigen Brückensteigung und der Höchstwasserkote, die sich fast auf Terrainhöhe befindet, schlossen die Ingenieure eine Druckbogenkonstruktion und eine Spannbandbrücke aus. Aus der Differenz zwischen der Höchstwasserkote und den bestehenden Wegen ergab sich eine zulässige Konstruktionshöhe von lediglich etwa 70 cm. Zudem strebte das Planerteam an, das Hauptfundament unter dem ursprünglichen Pylon weiterhin zu nutzen, um die Kosten zu reduzieren. Deshalb durfte die neue Brücke nicht schwerer werden als ihre Vorgängerin, obwohl die nutzbare Fahrbahnbreite von 4.5 m jetzt beinahe doppelt so viel misst wie die 2.7 m bei der alten Brücke. Als statisches System wählte das Planerteam einen Zweifeldträger mit Spannweiten von 50.5 m und 25.0 m (Abb. 3).

Geschlossener Stahlkastenträger

Die 75.5 m lange Brücke hat eine Konstruktionshöhe von lediglich 68 cm, sodass die Spannweite dem 72fachen der Konstruktionshöhe entspricht. Eine derartige Schlankheit ist selten – generell gilt bereits ein Brückenträger mit einer 35fachen Spannweite der Konstruktionshöhe als schlank. Möglich wurde dieser Wert durch die leichte und gleichzeitig steife orthotrope Brückenplatte aus Stahl – eine Konstruktion mit richtungsabhängigen Elastizitätseigenschaften, die man sich als Kassettenstruktur vorstellen kann, deren rechteckige Kammern oben und unten mit einer Stahlplatte verbunden sind.

Der Brückenquerschnitt besteht aus einem polygonalen Stahlkastentragwerk von 4.90 m Breite und 0.68 m Höhe (Abb. 4). Der Kasten ist luftdicht verschlossen, was zwei Vorteile hat: Er muss nicht für Unterhaltsarbeiten zugänglich sein und kann daher sehr schlank gebaut werden; zudem ist die Ausführung kostengünstig, da auf den Korrosionsschutz einer Fläche von 980 m² auf der Innenseite des Kastens verzichtet werden konnte. Um die hohen Anforderungen an die Schweissarbeiten zu erfüllen, wurden die Brückenelemente im Werk vorfabriziert und die Qualität der Schweissnähte dort geprüft. Das Stahlbauunternehmen führte nur ein Minimum an Schweissarbeiten auf der Baustelle durch – lediglich die fünf Teilelemente der Brücke (vgl. Kasten «Bauablauf», Seite 19) wurden vor Ort miteinander verschweisst und auf ihre Qualität hin geprüft. Um Schwachstellen im System zu vermeiden, führen keine Leitungen durch den Brückenkasten.

Die Berechnung des Oxidationsvolumens rechtfertigt die geschlossene Ausbauvariante: Bei einem gefangenen Luftvolumen von 2.4 m³/m würden, wenn der gesamte Sauerstoff darin durch Oxidation gebunden würde, lediglich 2.3 kg Stahl pro Meter Brückenlänge rosten, bis der elementare Sauerstoff der eingeschlossenen Luft vollständig verbraucht wäre. Dieser Anteil ist bei 1989 kg Stahl pro Meter nicht relevant.

Hauptfundament genutzt – Widerlager rückgebaut

Da die neue Brücke wesentlich breiter ist als die alte, mussten die beiden Widerlager neu erstellt werden. Sie bestehen je aus einem Stahlbetonriegel, der auf sechs Mikropfählen fundiert ist (Abb. 3). Dafür mussten keine neuen Fundamentgruben ausgehoben werden, weshalb die Riegel ohne grössere Abgrabungen im Bereich der geschützten Bäume und im Uferbereich erstellt werden konnten. Die Injektionsmikropfähle mit einem inneren Tragwiderstand Rid von 402–523 kN wurden bis in den Molassefels abgeteuft; die Einbindetiefe beträgt 3–4 m. Das Lager auf Seite Basel ist fest und dasjenige auf der Seite Birsfelden beweglich ausgebildet. In Querrichtung ist die Brücke durch diese Lager gehalten. Die sich nach unten verjüngende Mittelstütze aus 10 cm starkem Vollstahl ist auf dem bestehenden Pylonfundament abgestellt (Abb. 4). Sie steht senkrecht zur geneigten Brückenuntersicht und ist monolithisch mit der Brückenplatte verbunden. Ein Lager zwischen der Brückenplatte und der Stütze ist nicht erforderlich, weil die Stütze so weich ausgebildet ist, dass sie Bewegungen der Brückenplatte durch elastische Verformung aufnehmen kann. Ein Betongelenk verbindet die Stütze mit dem Verteilriegel und dem Fundament. Die neuen ständigen Lasten sind kleiner als die bisherigen, sodass während des Baus nur minimale Setzungen auftraten. Die Randpressungen, inklusive des Anteils aus der exzentrischen Lage der Stütze, liegen unterhalb der im geotechnischen Bericht aufgeführten Werte.

EXTREME SCHLANKHEIT und SCHWINGUNGEN

Eine derart schlanke und leichte Stahlkonstruktion lässt sich normalerweise mühelos in Schwingung versetzen. Deshalb war bereits während der Entwurfsphase das Ziel der Bauingenieure, die Eigenfrequenzen der Brücke aus dem kritischen Bereich zu verschieben, indem sie einerseits die Spannweiten beziehungsweise die Steifigkeiten der Brückenabschnitte variierten – was infolge der gegebenen Abmessungen aber nur beschränkt möglich war – und anderseits die Steifigkeit der Brückenplatte veränderten. Auch die Mittelstütze war in ihrer Position definiert. Nur die geringere Spannweite des Zweifeldträgers bot genügend Spielraum für eine effektvolle Variation. Sie konnte aber nur so weit verkürzt werden, dass keine grossen Zugkräfte auf dem Widerlager Seite Basel entstehen, und nur so weit verlängert werden, dass die Baumwurzeln in der bestehenden Wegrampe nicht berührt würden; bei einer Verlängerung der Brücke hätte die bestehende Rampe aufwendig rückgebaut werden müssen. Der konstruktive Ansatz liess sich in der Entwurfsphase deshalb noch nicht abschliessend klären.

Die kurze Spannweite wurde schliesslich mit 25 m so gewählt, dass die erste Eigenfrequenz weniger als 1 Hz beträgt – also ausserhalb des kritischen Bereichs von 1 bis 4 Hz liegt, der durch Personen angeregt werden kann. Die zweite Eigenfrequenz ist jedoch mit 2.87 Hz kritisch, sodass die Bauingenieure im Grobkonzept zudem planten, die Schwingungen mittels Dämpfern einzuschränken und die Verformung durch Überhöhung zu kompensieren – eine übliche Vorgehensweise bei schlanken Brücken. Auf diese Weise konnte die angestrebte Schlankheit in der Entwurfsphase aufgrund von Tragsicherheitskriterien bestimmt werden.

Da für die Eigendämpfung der Brücke nur eine geringe Dämpfung von 1 % angenommen werden konnte, wurden im Brückenkasten in den Viertelspunkten der grösseren Spannweite zwei Schwingungsdämpfer (Tilger) eingebaut (Positionen siehe Abb. 3). Die berechneten Frequenzen liegen leicht tiefer als die tatsächlich gemessenen: rechnerisch 0.93 Hz statt 1.2 Hz gemessen, 2.87 Hz statt 3.1 Hz und 3.88 Hz statt 4.2 Hz. Die Ähnlichkeit der Werte zeigt, dass das reale Schwingungsverhalten der Brücke durch die angewendete Berechnungsmethode korrekt beschrieben wird. Die Abweichung kommt zum einen dadurch zustande, dass der E-Modul in der Realität kein ideal linear elastisches Verhalten aufweist, sondern einer leichten Streuung unterliegt. Zum anderen ist die Steifigkeit des Geländers (Abb. 5) nicht in die Berechnung der Schwingungen eingeflossen.

Schwingungen sind unproblematisch

Da nur die von Fussgängern ausgelösten Schwingungen problematisch sind, führten die Ingenieure einen Feldversuch an der provisorisch fertiggestellten, bereits mit dem für die Dämpfung wichtigen Belag versehenen Brücke durch. Sie schickten zehn Personen, die im Takt eines Metronoms joggten, über die Brücke. Zusätzlich versuchten sie, die Brücke mutwillig in der ersten Eigenfrequenz anzuregen, um Vandalismus zu simulieren. Die Brücke konnte während dieser Versuche nur geringfügig in Schwingung versetzt werden. Deshalb stellten die Ingenieure die Schwingungsdämpfer nur insoweit auf die gemessenen Eigenfrequenzen ein, als sie die flexiblen Massenanteile entfernten – sie verzichteten hingegen darauf, auch die Federn auszuwechseln.

Das Ausführungsprojekt und das realisierte Bauwerk bestätigten das gewählte Vorgehen: Der Ansatz, eine Tragkonstruktion zu realisieren, die wegen ihres optimierten statischen Systems nur eine geringe kritische Eigenfrequenzen aufweist und deshalb mit möglichst wenig Schwingungstilgern funktioniert, ermöglichte diese äusserst schlanke und dennoch effiziente Tragstruktur. Man liess ein grundlegendes Problem, das danach aufwendig wieder hätte gelöst werden müssen, gar nicht erst entstehen.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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