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db deutsche bauzeitung 01-02|2014
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Netter warten

Bahnstation »Barneveld Noord« (NL)

Das temporäre Wartehäuschen an dem kleinen niederländischen Provinzbahnhof punktet mit signifikanter, aber offener Gestaltung, bietet einen beheizbaren Warteraum und Platz für einen kleinen Laden. Die Architekten haben es aus Containern gebaut und mit einer gehörigen Portion niederländischen Humors ausgestattet.

24. Februar 2014 - Anneke Bokern
»Prettig Wachten« (Angenehm Warten) ist ein Programm, mit dem das niederländische Bahninfrastruktur-Unternehmen Prorail die Wartezeit an kleinen Bahnhöfen für Fahrgäste erträglicher gestalten will. Betreut wird es vom »Bureau Spoorbouwmeester« (Bahnbaumeister-Büro), einem Team von Architekten und Designern, das seit 2001 innerhalb von Prorail als unabhängiges Beratungsorgan in Sachen Bahnhofsarchitektur und -design tätig ist. Bureau Spoorbouwmeester entwickelt Gestaltungsrichtlinien, führt Auswahlverfahren durch, betreut Entwurfsprozesse und gibt Denkmalschutzstudien in Auftrag. Der Spoorbouwmeester ist – ähnlich dem bekannteren Rijksbouwmeester – ein Architekt mit eigenem Büro, der einige Jahre lang zwei Tage pro Woche für Prorail arbeitet. Bis 2009 hatte Nathalie de Vries von MVRDV den Posten inne; dann übernahm Koen van Velsen.

Insgesamt 25 Bahnhöfe sollen in den Niederlanden im Rahmen von Prettig Wachten aufgewertet werden. Dahinter steckt ein Aktionsplan des Ministeriums für Infrastruktur und Umwelt, das eine jährliche Fahrgastzunahme von 5 % anpeilt und ein positives »Warteerlebnis« als wichtigen Faktor für das Wachstum benennt. V. a. die kleinen Bahnhöfe haben den Wartenden meist wenig zu bieten: Manch ein niederländischer Provinzbahnhof besteht nur aus zwei Bahnsteigen, einer Fahrplantafel und einer Sitzbank. Dabei bedürfte es oft nur eines kleinen Eingriffs, um den Aufenthalt angenehmer zu machen und das Sicherheitsgefühl zu erhöhen. Deshalb beschlossen Koen van Velsen und Prorail, mit Prettig Wachten genau diese Bahnhöfe ins Visier zu nehmen. In Zusammenarbeit mit Fahrgästen und Ladenbetreibern wird für jeden Bahnhof ein individueller Ansatz entwickelt und dann ein Architekturbüro, Künstler oder Designer mit dem Entwurf beauftragt.

So wurde im friesischen Wolvega durch das Entfernen einer Wand der vorhandene Blumenladen zu einem Teil des Warteraums. Der Blumenhändler schenkt jetzt auch Kaffee aus und hält die Toiletten sauber. Auf dem Bahnhof von Roermond läuft eigens für diesen Ort komponierte Musik; und am Bahnhof des Den Haager Vororts Moerwijk, der zuvor nur aus Bahnsteigen bestand, gibt es nun zwei leuchtend orangefarbene, archetypische Wartehäuschen in Treibhausoptik. Es geht bei Prettig Wachten hauptsächlich darum, die Identität des jeweiligen Orts zu stärken; erstaunlicherweise darf dabei die Corporate Identity des Bahnbetreibers völlig in den Hintergrund treten.

Kecke Bezüge

Kein anderes der neun bisher realisierten Projekte macht das so deutlich wie das temporäre Bahnhofsgebäude von NL Architects in Barneveld. Die Gemeinde in der Mitte des Landes ist v. a. für ihre zahlreichen Hühnerfarmen bekannt: Auf knapp 30 000 Einwohner kommen 2,9 Mio. Stück Federvieh. Die einspurige Bahnlinie, die durch Barneveld führt, ist deshalb in den Niederlanden als »Hühnerstrecke« bekannt. Der Bahnhof Barneveld-Noord liegt außerhalb des Ortskerns und bezieht seine Daseinsberechtigung aus einem benachbarten Gewerbegebiet, hauptsächlich aber aus einer Park+Ride-Garage mit 320 bewachten Stellplätzen. In der Hauptverkehrszeit fährt alle Viertelstunde ein Zug in die nächste Großstadt Amersfoort.

Eine etwas aufdringlich gestaltete Überführung verbindet die Park+Ride-Garage über eine Grünzone und ein paar Gleisstränge hinweg mit dem Bahnhofsgelände. Dort steht das auf den ersten Blick viel unauffälligere neue Wartehäuschen. In Wirklichkeit wirkt es keinesfalls so monumental wie auf manchen Fotos, sondern eher putzig und humorvoll. Es besteht aus drei schwarz gestrichenen Containern auf einem Glassockel, unterbrochen durch einen ebenfalls schwarzen, hochkant gestellten Container, der einen Turm bildet. Der nördliche Teil nimmt ein kleines Café mit minimalistischer weißer Bar auf, das von einer örtlichen Arbeitsagentur für Behinderte betrieben wird. Der Container darüber dient als Stauraum für Möbel- und Geräte des Shops. Den südlichen Teil nimmt der nur mit einer Granitbank ausgestattete Warteraum ein. Einer der beiden Container darüber beinhaltet die nötige Lüftungstechnik und Elektroinstallation, der andere hat keinen Boden und sorgt für zusätzliche Deckenhöhe. Er ist mit perforierten weißen Akustikpaneelen ausgekleidet, und in den Ecken hängen große vertikale Leuchtstoffröhren.

Insgesamt sind die wenigen Details des kleinen Gebäudes erstaunlich gut ausgeführt, auch wenn die industriellen Materialien verraten, dass es nicht teuer war. Im Turm ist die Bahnhofstoilette untergebracht, die trotz Rundum-Standardausstattung aus wenig anheimelndem Edelstahl ein überraschendes räumliches Erlebnis bietet: Durch eine Glasscheibe, die den hohlen, schlotförmigen Container oben abschließt, fällt Tageslicht herein und verleiht dem profanen Raum etwas unerwartet Sakrales. »Royal Flush« nennen die Architekten das – und man darf sich ihr hintergründiges Grinsen dazu vorstellen. Auch in der Außenansicht spielt Sakrales eine Rolle: Eine Uhr weckt die Assoziation an einen Kirchturm, unterstrichen durch goldenes Federvieh, welches oben auf dem Turm hockt – allerdings handelt es sich dabei um eine Henne, nicht um einen Hahn. Ebenso wie mit den goldenen Eieraufklebern, die als Sicherheitsmaßnahme für Sehbehinderte auf den Glasscheiben angebracht sind, spielen die Architekten damit natürlich auf die »Hühnerstrecke« an. Obwohl sie das in ihren Projekttexten nicht ausdrücklich erwähnen, ist die Kirchturm-Parallele aber auch als Anspielung auf das ausgesprochen christliche Gepräge der Gemeinde gedacht. Das Städtchen liegt im niederländischen Bibelgürtel, wo viele strenggläubige protestantisch-reformierte Christen wohnen; die radikal konservative »Staatkundig Gereformeerde Partij« ist die stärkste Kraft im Gemeinderat.

Wenn man dann auch noch bedenkt, dass die Container durchaus als Verweis auf das benachbarte Gewerbegebiet gelten können, hat der kleine Bahnhofsbau sogar auf drei Ebenen Bezug zur Identität des Orts – wenngleich teilweise auf eine subversive, etwas unehrerbietige Art, die für die Arbeit von NL Architects typisch ist. Vielleicht hat die Gemeinde Barneveld sich den kleinen Seitenhieb gefallen lassen, weil das Wartehäuschen ohnehin nur ein temporäres ist. In Zukunft soll im Sockel der Park+Ride-Garage eine echte Bahnhofshalle mit allem Drum und Dran untergebracht werden, in der das Warten sicherlich mindestens genauso angenehm sein, aber weniger Anlass zum Schmunzeln bieten wird.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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