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anthos 2017/04
Hochwasserschutz
anthos 2017/04
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Hochwasser als Chance für die Landschaft

Hochwasserschutzmassnahmen bieten einzigartige Möglichkeiten, kohärente, integrative und iterative Landschaftsprojekte umzusetzen. Dafür müssen jedoch zwei Voraussetzungen erfüllt werden: überzeugte Akteure am Verhandlungstisch und Massnahmen, die sorgfältig und ganzheitlich ausgeführt und kommuniziert werden.

21. November 2017 - Élise Riedo, Marie Sagnières
Das bis 1991 geltende Paradigma, nach dem konstruktive Hochwasserschutzmassnahmen Vorrang hatten, änderte sich mit dem neuen Bundesgesetz über den Wasserbau BGWB. Die Revision des Gewässerschutzgesetzes im Jahre 2011 zielte auf eine Re-Diversifizierung der Flussbettstrukturen, Ufer und Ufervegetation von Fliessgewässern ab. Eine Förderung durch den Bund erfolgt jedoch – über einen effizienten Hochwasserschutz hinaus – nur, wenn die Bedingungen an die Renaturierung erfüllt sind. Es kommt eher selten vor, dass Themen wie «Freizeit und Erholung» (sanfte Mobilität, Gestaltung des öffentlichen Raums) oder ein «harmonisches Landschaftsbild» in die Entscheidungsfindung über die Vergabe von Subventionen einbezogen werden. Daher sind eine starke Unterstützung und eine hohe Motivation der Bauherren notwendig, um – aus landschaftlicher Sicht – qualitative, ganzheitliche und kohärente Hochwasserschutzprojekte durchzuführen.

Hochwasserschutzprogramme verursachen Folgekosten sowohl aufgrund der Erstellung von komplexen technischen Studien als auch bei der Umsetzung. Solche Projekte «sieht man nicht», sie tragen nicht notwendigerweise zum Ruhm der Planer bei und sie werden überhaupt nur von Eingeweihten wahrgenommen. Die Veranschlagung des Budgetrahmens für die Gemeinden stellt einen wichtigen Meilenstein dar. Dabei sind Projekte zu den ­Themen der sanften Mobilität und der Gestaltung der Uferlandschaften – beides bei der Vergabe von Subventionen vernachlässigte Stiefkinder – paradoxerweise oft Auslöser und Motivation.

Wie aus notwendigen Projekten Chancen entstehen Es ist von wesentlicher Bedeutung, durch echte Zusammenarbeit aus einem klassischen «notwendigen» Projekt eines zu machen, das durch die Integration der Themen Stadtplanung, Landschaftsplanung und der verschiedenen Formen der sanften Mobilität weitere Möglichkeiten eröffnet. Durch die Bündelung dieser Kompetenzen und der Anwendungsgebiete können die Auflagen für den Hochwasserschutz neu definiert werden. Daraus kann eine gemeinschaftliche und sensible Zusammenarbeit der lokalen Bevölkerung entstehen, mit dem Ziel, die Wasserläufe zu zähmen und dabei die verschiedenen Interessen zu berücksichtigen.

Beispiel Delsberg

In der Stadt Delsberg wurde aufgrund einer Vielzahl von Überschwemmungsrisiken ein Hochwasserschutzprojekt ins Leben gerufen (Masterplan Sorne, 2011). Die Einheitlichkeit des Landschaftskonzepts wird unter anderem durch ein sich wiederholendes Motiv entlang des gesamten Flusslaufs der Sorne gewährleistet, die die Stadt von der einen zur anderen Seite durchfliesst. Eine kleine Wasserkraftanlage wurde bereits in das richtungsweisende Konzept integriert. Anfang 2018 werden neue Fussgängerbrücken und ein Stadtpark, der teilweise überschwemmt werden kann, für die Öffentlichkeit eröffnet.

Durch die maximale Hochwasserlinie ergab sich die Möglichkeit, diesen Park zu entwerfen. Der bei der Verbreiterung des Flussbetts abgetragene Aushub konnte für die Gestaltung des Parks optimal weiterverwendet werden. Sowohl die Kosten als auch die Verschiebung des Materials hielten sich in überschaubaren Grenzen. An verschiedenen Stellen wird übrigens auf die Entstehungsgeschichte des Parks hingewiesen: Grosse, spielerisch gestaltete Behälter mit Kieseln verbessern die Granulatstruktur der Gewässersohle. Ferner wurde als Erinnerung an die Ufervegetation aus den Pflanzen der Gewässersohle eine Wiese angelegt. Auch symbolisieren einige Schwimmbadbecken-Leitern die «potenzielle» Bademöglichkeit im Überschwemmungsfall.

Dieser Masterplan konkretisiert sich von Flussabschnitt zu Flussabschnitt mittlerweile immer weiter und schafft einen echten Mehrwert für die Landschaft, die Lebensräume, den öffentlichen Raum und das Mobilitätsangebot der Gemeinde. Er hat gleichermassen die Techniker, Entscheidungsträger und Nutzer überzeugt, gewährleistet er doch die Sicherheit von Gütern und Personen im Hochwasserfall.

Beispiel Saint-Ursanne

Die Schutzmassnahmen der Stadt Saint-Ursanne gegen Überschwemmungen durch Hochwasser des Flusses Doubs (Masterplan Doubs, 2017) boten ebenfalls die Gelegenheit zur Gestaltung eines Landschaftsparks, der die mittelalterliche Stadt und den Zugang zum Fluss aufwertet. Ein mehrere Kilometer langer Rundwanderweg führt entlang der teilweise naturnah gehaltenen, teilweise landwirtschaftlich genutzten oder eher urbanen Uferbereiche. Dieser Rundweg konnte dank der Hochwasserschutzmassnahmen ermöglicht werden und hat kaum Mehrkosten verursacht.

Sichtbarmachen des Unsichtbaren

Aufgrund der Komplexität der technischen Pläne ist es schwierig, einem Laienpublikum die verschiedenen Aspekte des Projekts detailliert zu vermitteln. ­3-D-Animationen, vereinfachte Querschnitte oder aussagekräftige Darstellungen des angestrebten Landschaftsbilds sind unter anderem dazu geeignet, die Vielfalt dieser Projekte zu illustrieren und sie tragen zum Erfolg ihrer verschiedenen Bestandteile bei. Der Ausbau und die partielle Aufweitung des Scheltenbachs im Mündungsbereich in die Birs bei Courroux (Jura) bot zum Beispiel die Gelegenheit, mit einem massstabgetreuen Modell und einem Kurzfilm über das Projekt zu experimentieren. Dessen Ausstrahlung in der Gemeinde und die Veröffentlichung im Internet haben zur Sensibilisierung der Bevölkerung beigetragen und zur Zustimmung des Rahmenkredits geführt.

Hinter dem aus dem Aushubmaterial erbauten Hochwasserschutzdamm befindet sich heute auf der Wiese eine potenziell überschwemmbare Fläche. Hier liegt genau die Herausforderung solcher Hochwasserschutzprojekte: An die nicht sichtbare Dimension überschwemmbarer Gebiete zu erinnern, um zu sensibilisieren, aufzurütteln und zu schützen.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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