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Zuschnitt 04
Holzaltern
Zuschnitt 04
zur Zeitschrift: zuschnitt

Ganzheit aus Alt und Neu

1994 wurde der Zubau an einen alten Hof in Graubünden von Peter Zumthor realisiert. Der Neubau sollte den Erben ein zeitgemäßes Wohnen ermöglichen und dennoch die Atmosphäre des kleinen Blockhauses erhalten. Unter einem neuen Dach wurde dem Bestehenden nur das hinzugefügt, was ihm aus heutiger Sicht fehlte: eine moderne Küche, Bad und Toilette, zwei Kammern mit größeren Fenstern, eine zusätzliche Holzfeuerung. Die Räume sollten innen wie außen eine Einheit erkennen lassen. Von der Fassadenstruktur unterscheidet sich der Holzbau zwar, farblich wird er sich aber immer mehr dem Altbau anpassen. Peter Zumthor wollte die Spuren der Abnutzung, die der alte Hof aus dem Jahre 1760 an allen Ecken zeigt, erhalten und »die Dinge erzählen lassen«. Mit den Jahren wird auch der Neubau zu sprechen beginnen. Holz als Verbindung zwischen Alt und Neu.

15. Dezember 2001 - Peter Zumthor
»Der kleine Hof, schmale Existenzgrundlage einer Bergbauernfamilie über Generationen (der Stubenteil datiert von 1760), war für die Erben so zu erneuern, dass er zeitgemäß bewohnt werden kann, ohne seinen Zauber zu verlieren - den Zauber seiner abgeschiedenen Lage am Nordhang (gugalun = den Mond anschauen), die Natürlichkeit des Fußpfades, der als einzige Erschließung zum Haus hinabführt, die Spuren des Alters: des schmalbrüstigen, auf schlechtem Fundament schief gewordenen Stubenteils mit seinen zahlreichen Flickstellen im Holzwerk, die erkennen lassen, wie klein die Fenster und wie niedrig die Decken und Türen ursprünglich waren. Der Entwurf respektiert diese Dinge. Unter einem gemeinsamen neuen Dach wurde dem Bestehenden nur das hinzugefügt, was ihm aus heutiger Sicht fehlte: eine moderne Küche, Bad und Toilette, zwei Kammern mit größeren Fenstern, eine zusätzliche Holzfeuerung. Dabei haben wir versucht, darauf zu achten, dass eine neue Ganzheit entsteht, in der Alt und Neu aufgehen. In zehn Jahren, wenn die Sonne die neuen Holzbalken geschwärzt hat, wird man sehen, wie dieses Ziel erreicht wurde.«

»So besteht für mich die Suche nach dem neuen Objekt, das ich entwerfen und bauen will, zu einem großen Teil darin, darüber nachzudenken, wie wir die vielen Orte unseres so unterschiedlichen Wohnens in der Welt wirklich erfahren - im Wald, am Fluss, auf der Brücke, auf dem Platz, im Haus, im Zimmer, in deinem Zimmer, im Sommer, am Morgen, in der Dämmerung, im Regen. Ich höre das Geräusch der Autos, die vorbeifahren, die Stimmen der Vögel und die Schritte der Passanten. Ich sehe das angerostete Metall der Tür, das Blau der Hänge im Hintergrund, das Flirren der Luft über dem Asphalt. Ich spüre die Wärme, die abstrahlt von der Mauer in meinem Rücken. Die Vorhänge in den schlanken Fensternischen bewegen sich leicht im Wind. Die Luft riecht feucht vom gestern gefallenen Regen, dessen Wasser im Erdreich des Pflanzentroges gespeichert ist. Alles, was ich sehe, die Platten aus Zement, welche die Erde halten, die Drähte des Spaliers, die gedrechselten Stäbe des Geländers auf der Terrasse, der verputzte Bogen über dem Durchgang - alles zeigt Spuren der Abnutzung, des Gebrauchs, zeigt Spuren des Wohnens.

Und wenn ich genau hinsehe, beginnen mir die Dinge etwas zu erzählen über ihr Wozu und Warum und über die Art, wie sie hergestellt wurden. Denn all dies tritt in ihrer Form und Präsenz zutage oder liegt in ihrer Form und Präsenz verborgen.«

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Für den Beitrag verantwortlich: zuschnitt

Ansprechpartner:in für diese Seite: Kurt Zweifelzweifel[at]proholz.at

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