Zeitschrift

archithese 5.2005
Was ist Schönheit
archithese 5.2005
zur Zeitschrift: archithese
Herausgeber:in: FSAI
Verlag: niggli
Ein seltsames Phänomen: Heutzutage gilt es in Fachkreisen als nachgerade degoutant, von «schöner Architektur» zu sprechen. Architekten und Kritiker sind sich einig darüber, dass Räume spannungsvolloder interessantsind, kaum jemand aber nähme das Adjektiv schönin den Mund. Eine Kategorie, die als venustasüber Jahrzehnte den architekonischen Diskurs geprägt hat, ist marginalisiert, wenn nicht tabuisiert.

Ohne Zweifel ist dieses Phänomen ein Resultat fachinterner Diskurse, welche die Bestimmungen und Funktionszuweisungen von Architektur grundlegend verändert haben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann sich die architektonische Moderne in Abkehr vom Eklektizismus zu formieren. Und das bedeutete auch: in Abkehr von der bisherigen, von der Beaux-Arts-Tradition bestimmten Ausbildung. Die Universitäten, die nun zu den wichtigen Ausbildungsstätten avancierten, waren technisch ausgerichtet, und die Debatte um die Schönheit wich anderen Fragen – etwa der, wie Architektur auf die Anforderungen der Gesellschaft zu reagieren habe. Nicht, dass die Frage nach dem Schönen nicht weiterhin für den Entwurfsprozess von Bedeutung gewesen wäre – nur diskutiert wurde sie kaum. Schönheit war als Luxusphänomen verdächtig. Erst der Postmoderne gelang es, das alte Thema erneut aufzugreifen – wenn auch nunmehr ironisch gebrochen. Nachhaltig geändert aber hat sich nichts. Schönheit in der Architektur ist weiterhin ein Tabu.

Ausgangspunkt für dieses Heft bildete die Erkenntnis, dass sich das, was für den Sektor Architektur zutrifft, in anderen Bereichen deutlich anders darstellt. Gerade in der Populärkultur ist die Suche nach dem Schönen derzeit virulent: Sendungen wie The Swan basieren auf der nicht in Frage gestellten Übereinkunft, dass ein breit akzeptiertes Schönheitsideal existiert. Webpages, bei denen Besucher die Fotos anderer Menschen bewerten, zeugen von dem fast manischen Wunsch, durch Zusicherung von Schönheit das Ego zu stabilisieren. Und, fragt man das breite Publikum, so besteht – wie Jörg Seifert schreibt – durchaus eine Vorstellung davon, was schöne Architektur sei, auch wenn das der Fachöffentlichkeit meist nicht gefällt.

Wahrscheinlich ist es in der Kunst leichter, über Ästhetik zu sprechen, und so werden mit Annelies S¢ trba, Adrian Schiess und Helmut Federle in diesem Heft drei Künstler präsentiert, die sich in ihren OEuvres seit langem mit Schönheit auseinander setzen. Vor allem aber wird eines in den Farbflächen von Schiess und den Städtevideos von Štrba deutlich: dass Schönheit seit jeher mit Ambivalenz verbunden ist und bedrohlich werden kann. Die Kategorie des Erhabenen erhält hier neuerliche Aktualität.

Die beiden Sakralbauten, die wir vorstellen, zeigen, wie unterschiedlich Schönheit bei einer identischen Bauaufgabe verstanden werden kann. Und wie unterschiedlich Schönheit im zeitgenössischen kulturphilosophischen Diskurs verortet wird, dokumentieren die beiden theoretischen Beiträge von Wolfgang Welsch und Beat Wyss, die das Gerüst dieses Heftes bilden. Dazu tritt der abschliessende Essay von Friedrich von Borries und Matthias Böttger mit dem Postulat eines Begriffs, den die Autoren Peter Weiss entlehnt haben: einer nötigen «Ästhetik des Widerstands », auch für die Architektur. Redaktion

02 Editorial

10 Wiederkehr der Schönheit?
Bermerkungen zum aktuellen Schönheitsdiskurs
Wolfgang Welsch

16 Magische Beschwörungen der Urbanität
Reflexionen über die Städtevideos von Annelies Štrba
Hubertus Adam

22 Fragmente der Schönheit
Adrian Schiess: Installation in Amden, 2005
Hubertus Adam

24 Veredlung und Verwandlung
Diener & Diener Architekten, Helmut Federle und Gerold Wiederin: Forum 3, Basel
Christiane Gabler

28 Glücksgefühle der Schönheit
Helmut Federle im Gespräch mit Hubertus Adam

32 Spröde Eleganz
smarch: Neuapostolische Kirche Solothurn-Zuchwil
Ahmed Sarbutu

36 Nicht einfach nur ein Fisch
Sanaksenaho Architects: St. Henry’s Ecumenical Art
Chapel, Turku, 1995 – 2005
Tarja Nurmi

40 Zwischen gläsernen Sägen und röhrenden Hirschen
Anmerkungen zum ästhetischen Werturteil von Architekten und Laien
Jörg Seifert

46 Campanellas Traum
Die Zukunft des Schönen
Beat Wyss

50 Mach mich schön!
Reality-Shows perfektionieren den Menschen
Mathieu von Rohr

56 Funktion und Norm
Die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie: Arbeitsgebiet,
Instrumentarien der Operationsplanung und Schönheitsbegriff
Mathias Remmele

58 Inhalte runterfahren, Stimmung halten
Die architektonische Ästhetik des Neo-Liberalismus
Friedrich von Borries, Matthias Böttger

Traductions

66 Retour de la beauté?
Remarques concernant l’actuel discours sur la beauté
Wolfgang Welsch

68 Daniele Marques
Maison sur le lac des Quatre-Cantons
Judit Solt

Rubriken

Architektur aktuell:
72 Daniele Marques
Haus am Vierwaldstättersee
Judit Solt
78 sauerbruch hutton architekten
Umweltbundesamt, Dessau
Hubertus Adam

84 fsai

Buchrezensionen:
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Weiterführende Links:
niggli Imprint der Braun Publishing AG

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