Publikation

Wir spielen Architektur
Verständnis und Missverständnis von Kinderfreundlichkeit
Wir spielen Architektur
Autor:in: Wojciech Czaja
ISBN: 3 85449 233 2
Publikationsdatum: 2005
Umfang: 112 S., 69 Abb.
Format: Hardcover,

Bunt und rund und voll daneben

Kinderfreundlichkeit - ein Begriff mit üblem Nachgeschmack: Vermeintlich kreative Architektur, und schon hat man „kindlich“ mit „kindisch“ verwechselt.

27. August 2005 - Wojciech Czaja
Die kleine Architekturkunde: Wozu gibt es Fenster? „Damit kein Regen oder Schnee ins Haus kommt. Jedes Haus muss zwei Fenster haben, sonst kann man nicht bleiben.“ Klare Sache. Und was ist ein Haus? „Da kann man schlafen. Gibt's Tisch und Sessel, drei Fenster, Tür, Uhr, Lampe. Alle schlafen im Zimmer, alle essen in der Küche.“ Kaum begriffen, ist man schon verwirrt - eben waren es noch zwei, schon sind es deren drei. Doch das macht nichts, denn so eine architektonische Umschreibung kann ja mitunter sehr subjektiv sein.

Schriftstellerin Helga Glantschnig, die in Wien mehrere Jahre als Volksschullehrerin tätig war, hat diese Definitionen ihrer Schüler über Jahre hinweg zusammengetragen und schließlich in einem Buch unter dem herzerfrischenden Titel „Blume ist Kind von Wiese“ veröffentlicht. Süß, nicht wahr? Doch wo man eingangs noch schmunzeln musste, beginnt man bald schon zu grübeln. Wenn es dann etwa heißt: „In Wohnung kann man sitzen, da sind Sessel, da kann man leben. Kasten, Tisch, Glas und Wasser gibt's, Kühlschrank, Bett und Fenster gibt's auch, Licht und Blumen. Meine Haus hat eine Zimmer und eine Küche. In Zimmer schlafen, in Küche essen und fernsehen und reden.“

Klar, da lassen sich gewisse soziale und finanzielle Bilder ableiten, nicht die besten offenbar, gewiss auch keine schlechten. Vor allem aber - das haben die Kids hier unmissverständlich bewiesen - haben sich im Alter von sieben, acht Jahren bereits Muster eingeschlichen, die man so rasch nicht mehr ablegen können wird. Ganz nach asketischem Prinzip ein Bett, ein Schrank, ein Tisch - das ist Architektur. Fazit: Als Architektin, als Pädagoge, als Planer oder Lehrerin muss man wahrscheinlich doppelte Arbeit leisten, wenn man innovative Konzepte erst einmal aufzeigen, womöglich auch umsetzen möchte. Verkrustete Strukturen haben sich eingeschlichen, das ist eine Tatsache, und die Kritik gilt hier sichtlich nicht nur den institutionellen und behördlichen Instanzen.

Die Abhilfe? Das ist ganz einfach. Klein, bunt und rund. Sehr gelb, sehr rot und sehr blau. Oder noch viel schlimmer: „Manchmal wollen Architekten der Fantasie von Kindern auf die Sprünge helfen“, so Elisabeth Plessen, Chefredakteurin der Deutschen Bauzeitung, „dann entstehen Häuser, die aussehen, wie Schiffe, Drachen oder Burgen.“ Und tatsächlich, solche Häuser werden auch gebaut. Sie tragen den Stempel des angestrengt Konstruierten und der Zwangsbeglückung, machen sie in Wahrheit doch nur den einen Erwachsenen glücklich, aus dessen Feder der geniale Entwurf denn auch stammt. Für den Rest macht es keinen großen Unterschied. Die erste Euphorie solcher gestalterischen Exzesse hat sich bald einmal gelegt, es bleibt der üble Nachgeschmack vermeintlicher Originalität, der die Kreativität des Kindes statt zu fördern nun hemmt. Oder sogar unterbindet.

Der Architekt als vermeintliches Kind - des Architekten zweite Chance? Hier ist jemand der Verwechselbarkeit zwischen „kindlich“ und „kindisch“ erlegen, die Vorstellungen von Kindsein wurden durch eigene Kindheitssehnsüchte sichtlich getrübt. Die omnipotente These „Less is more“ darf man ruhig auch schon für junge Jahre anwenden, denn - so eine österreichische Architekturzeitschrift - „erst das Zurücknehmen eines erwachsenen Schaffenwillens ermöglicht das Wachsen der kindlichen Kreativität und damit den erwünschten Freiraum.“

Was also - wenn man sie schon nicht mit den simplen Bausteinen unserer Imagination erreichen kann - ist Kinderfreundlichkeit? Das regelmäßig erscheinende „konstruktiv“, interne Zeitschrift der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten, hat da ein paar Antworten parat: keine schwer zu öffnenden Türen, rutschfeste Bodenbeläge, Steckdosenschutz oder etwa das Klingeltableau in 120 Zentimeter Höhe. Noch viel unbefriedigender ist die Lektüre so genannter Leitfäden oder Richtlinien der einzelnen Länder: „In erster Linie muss das Ziel dieser Bauten sein, den Kindern eine Hülle zu geben, die sie vor äußeren Einflüssen dieser Welt schützt.“

Angetrieben vom Helferlein-Syndrom ist auch die ÖVP, im Sommer 2003 stellt sie ihre Vorstellungen einer urbanen Kinder-Offensive vor. Gemeinderat Wolfgang Gerstl, Leiter der Gruppe „Vernünftig fließender Verkehr“, träumt „vom kleinen Verkehrszeichen in ein Meter Höhe, kindgerechter Beschriftung in Museen bis hin zum Kinderpissoir.“ Rosige Aussichten also, sehr schnuckelig. Doch bedarf es tatsächlich dieser plakativen Eingriffe? Kindergerechtigkeit als Vorwand zum Bau eines Elfenbeinturms? Das Zurechtfinden in der Welt der Erwachsenen hat noch nie ein Problem dargestellt. Sich zu strecken oder gar zu hüpfen, um im Lift oder auf der Gegensprechanlage das Knopferl zu drücken, das macht die Kindheit nicht unüberwindbar - das macht sie nur spannender und spielerischer. Wer im wahnwitzigen Reagieren auf diese herbeikonstruierte Sorge mittels Herabsetzen der Höhe von Klingeln, Türgriffen, Verkehrsschildern oder Stufen auf Zwergenhöhe einen ernst gemeinten Beitrag einer Stadtregierung sieht, hat hier sichtlich etwas missverstanden.

„Was ist schon kinderfreundlich?“, fragen sich Arno Lederer und Jórunn Ragnasdóttir, zwei schulbaugezeichnete Architekten aus Deutschland, „Ein zweiter Handlauf, niedrige Waschbecken, oder ein Fenster mit Brüstungshöhe auf 60 cm? Das alles sind doch Selbstverständlichkeiten, die mit Kinderfreundlichkeit nichts zu tun haben.“ Und auch Architekt Herman Hertzberger betont in einem Interview: „Man spricht gern auch vom kindlichen Maßstab. Daran glaube ich nicht. Kinder gehen Treppen wie Erwachsene. Ich habe noch niemals gesehen, dass man für Kinder kleine Treppen braucht.“

Man kann sich anstrengen, wie viel man möchte - Kinderfreundlichkeit lässt sich nicht planen, schon gar nicht lässt sie sich bauen. Wie denn auch? Kinder lieben das Unfertige, sie werden dort zum Gestalter und Akteur, wo es noch etwas zu entdecken gibt, wo nicht alles determiniert ist, wo sie vor allem eigene Ideen hinzufügen können. Heidi Schroft, Direktorin am Bundesgymnasium Rahlgasse in Wien: „Oft bleibt kein Platz mehr für Neugier. Wird kindliche Neugier erst einmal unterdrückt, wird ein großer und schöner Aspekt des Lernens zerstört.“

Seien wir doch ehrlich: Kinderspielplätze sind langweilig. Holzig, bunt, eine Schaukel, eine Rutsche, und ab geht die Post. Der Lernaspekt dabei hält sich in Grenzen, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass hier eher die Wünsche der Erwachsenen, als die Bedürfnisse der Kinder erfüllt werden. Eingebettet in rindenmulchige Sicherheit und in des Mutters Blick aus dem Wohnzimmerfenster - das ist nicht wirklich sexy. „Tatsächlich spielen Kinder auf Rampen von Tiefgaragen, auf Autoparkplätzen, Podesten und Stiegen - überall dort, wo es nicht erlaubt, zumindest nicht geplant ist“, erzählt Architekt Volker Giencke. Er nennt sie Sehnsuchtsbündel, Kreativkapseln und Systemverweigerer, sein unüberhörbarer Appell lautet daher: „Baut die schönsten Tiefgaragen der Welt und Parkplätze primär für Kinder und sekundär für Daihatsus und Maseratis.“

In Artikel 13 der UN-Kinderkonvention vom 20. November 1989 heißt es: „Das Kind hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere vom Kind gewählte Mittel sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben.“ Man wird also nicht umhin kommen, endlich einmal die Kinder als seriöse Ansprechpartner wahrzunehmen. Denn jemand anderer als das Kind selbst wird uns den Schlüssel zum Begriff der Kinderfreundlichkeit nicht liefern können.

Ist das nun der blauäugige Aufruf, Kinder an den Einreichplan heranzulassen? Nein, das nicht. Doch warum es beispielsweise im Schulbau - schließlich sind Kinder ja die Endverbraucher - niemals zur Kommunikation zwischen Bauherren, Planern und Kindern kommt, ist ein unentschuldbares Versäumnis. Fakt ist, dass Bund, Land und Gemeinde, dass Bauherren und Architekten, dass Erwachsene im Allgemeinen diese junge Generation unserer Gesellschaft schier unterschätzen. Kleine süße Gschrappen, die jüngste Randgruppe unserer Gesellschaft? Solange gelb behaubte Knirpse in der Zweierreihe durch die Straßen ziehen und es nicht einmal den Kindergartenerziehern und Lehrerinnen gelingt, sich ihres dümmlichen Babytonfalls zu entledigen, wäre auch alles andere wohl zu viel verlangt.

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