Akteur

Richard Rogers
* 1933 Florenz 2021 London

Die Menschen brauchen Jazz

Letztes Jahr wurde dem britischen Architekten Lord Richard Rogers der Pritzker-Preis verliehen. Nun widmet ihm das Centre Pompidou in Paris, das er einst selbst entwarf, eine überaus sehenswerte Ausstellung.

12. Januar 2008 - Wojciech Czaja
Februar 1977, Paris. Es regnet in Strömen. Richard Rogers steht vor dem Centre Georges Pompidou und betrachtet sein eben vollendetes Werk, als plötzlich eine ältere Dame an ihn herantritt und ihm freundlicherweise einen Platz unter ihrem Regenschirm anbietet. Was er denn von diesem Gebäude hielte, fragt Madame. Und Rogers antwortet stolz: „Ich bin der Architekt.“ Prompt bekam er mit dem Regenschirm eins über die Rübe gezogen.

Doch Madame war längst nicht die Einzige, die sich über das stählerne Ungetüm von Richard Rogers und Renzo Piano mokierte. Die Presse bezeichnete das Bauwerk als Pompidoleum, als Erdölraffinerie, als Nôtre Dame der Röhren. Die französische Tageszeitung Le Figaro sprach gar von einem „kulturellen King Kong“, der hier mitten ins historische Quartier Beaubourg implantiert wurde. Staatspräsident Georges Pompidou ahnte bereits, worauf er sich mit dem Bau seines Kunst- und Kulturzentrums eingelassen hatte. Als er das Modell zum ersten Mal sah, soll er gesagt haben: „Das wird ein Geschrei geben!“

Die Schreie des Entsetzens verwandelten sich im Laufe der Zeit in Jubelrufe und Euphorie. Dreißig Jahre später wird Rogers abermals nach Paris geladen. Das Centre Pompidou, längst etabliert als Brennpunkt zeitgenössischer Kunst, widmet seinem einstigen Architekten Richard Rogers eine eigene Werkschau. „Ich bin sehr erfreut darüber, dass ich in dieser Ausstellung präsentieren kann, was meine Kollegen und ich in den letzten 40 Jahren alles gemacht haben“, erklärt der heute 74-jährige Rogers anlässlich der Ausstellungseröffnung, „das Centre Pompidou ist dafür der perfekte Ort.“

Selten zuvor sei eine Architekturausstellung im Pompidou so gut besucht worden, sagt die zuständige Pressesprecherin Célia Faurie. Mit hunderten Schaulustigen füllt sich die Ausstellungshalle im Erdgeschoß. Ein weiteres Dutzend pickt an der Glasscheibe draußen am Gehsteig und lugt in die Geheimnisse des bunten Innenraums. Richard Rogers et Architectes ist keine von diesen üblich verdächtigen Nabelschauen, die einzig dazu dienen, den Architekten als großen Meister über alles Irdische zu stellen. Mehr als alles andere ist die Ausstellung ein Lehrpfad für Jung und Alt - informativ und aufschlussreich.

Besucher aller Altersklassen wandern mit Fotoapparat und Skizzenblock gewappnet durch den 1200 Quadratmeter großen Raum. Tafeln werden sorgsam studiert, Interviews werden abgehört und mitgeschrieben, mit bizarren Händeformationen und körperlichen Verrenkungen versucht der eine oder andere sogar, den statischen Kräfteverlauf einer abgehängten Halle nachzuahmen.

Keine Angst vor Konstruktion

„Meine Architektursprache entsteht aus einer Faszination, die eng verbunden ist mit der Konstruktion und mit dem Prozess des Werdens“, erklärt Rogers in geschriebenen Worten als Auftakt zur Ausstellung. Prompt steht am Eingang ein überlebensgroßer Knotenpunkt einer statischen Stahlkonstruktion - in knalligem Neonpink. „Viele Architekten machen einen wunderbaren Job, indem sie die Grenzen der heutigen Architektur ausloten und strapazieren. Ohne diese Strapazen gäbe es keinen Fortschritt. Dann würden wir heute immer noch in der Höhle sitzen.“

Im Video-Interview, das in der Ausstellung läuft, erinnert er sich ans erste Projekt, das damals noch in der Bürogemeinschaft Team 4 entstand - gemeinsam mit seiner Frau Su sowie mit dem Architektenehepaar Wendy und Sir Norman Foster: „Am ersten Haus haben wir jahrelang gearbeitet. Es war eine Tortur. Danach wussten wir, dass das so nicht weitergeht.“ Zwangsweise landete man bei Vorfertigung, bei Modularbauweise und bei günstigem Bauen für jedermann. Aus dieser Haltung heraus entstand schließlich das Centre Pompidou. „Irgendwo haben wir aufgeschnappt, dass am Wettbewerb angeblich 700 Teilnehmer beteiligt waren. Ich sagte: Vergiss es! Doch als wir hörten, dass wir 400 Pfund Druckkostenzuschuss bekämen, waren wir dabei!“ Rogers hält inne. „Und ich bin froh, dass Renzo und ich gewonnen haben. Denn wenn ich Wettbewerbe verliere, dann bin ich ziemlich sauer.“

Eines ist gewiss: Angst vor Farbe hat der charmante Brite nicht. Und das darf angesichts der sonst so biederen Gräulichkeit, mit der die zeitgenössische Architektur vielerorts daherkommt, durchaus als Chuzpe verstanden werden. Farbenfroh wie bereits das Centre Pompidou geben sich auch die Bauten heutiger Tage. Die Stahlkonstruktion des Flughafens Madrid Barajas ist in den schillernden Farben des Regenbogens lackiert - das Farbspektrum erstreckt sich über die ganze Länge des Terminals und dient dabei als Orientierungshilfe. Sind die Stützen orange, weiß man, dass man zum gelben Gate nicht mehr weit zu laufen hat. Gibt sich die Stahlkonstruktion jedoch als blau oder gar violett zu erkennen, dann steht einem noch ein langer Fußmarsch bevor.

Schauplatzwechsel. Unweit von Rogers' berühmten Lloyd's of London aus dem Jahr 1986 entsteht derzeit das Leadenhall Building. Mit seinen 50 Stockwerken zeichnet sich der zugespitzte Bau vor allem dadurch aus, dass die Konstruktion hinter der Glasfassade in bunten Farben schimmert - ein kleiner Tupfen im verregneten London. Und sogar der kleine Mann bekommt Farbe verpasst: Im britischen Milton Keynes, einer Planstadt aus den Sechzigerjahren unweit von London, stellt Rogers derzeit die Fertighaussiedlung Oxley Woods fertig. Die kistenförmigen Bauten mit ihren farbigen Akzenten sind der Beweis dafür, dass durchaus Gutes dabei herauskommen kann, wenn sich die Architektur der Großen mit der Häuslbauerei der Kleinen paart.

Richard Rogers holt weit aus: „Palladio, Schopenhauer und Schelling haben gesagt, Architektur sei gefrorene Musik - das will ich nicht. Meine Häuser sind Jazz.“ Die Praxis der Architektur ist untrennbar mit den sozialen und wirtschaftlichen Werten jedes Einzelnen verknüpft, erklärt Rogers, eine ästhetische Komposition, die gefrorener Musik gleicht, das ist für die Gesellschaft zu wenig.

Eigentlich wollte der gebürtige Florentiner ja Zahnmediziner werden. Doch seine Legasthenie machte ihm einen fetten Strich durch die Rechnung. Und so muss die Welt um eine verkannte Dentalkoryphäe trauern. Pech für die Medizin, Glück für die Architektur. Heute ist der zum Ritter erhobene Richard Rogers 74 Jahre alt, im Juni letzten Jahres wurde ihm in London der Pritzker-Preis verliehen. „Doch bevor Sie mich fragen: Nein, ich habe nicht vor, mich zur Ruhe zu setzen.“

[ Die Richard-Rogers-Retrospektive läuft noch bis 3. März. Täglich außer Dienstag, Centre Georges Pompidou, Paris. Von 24. April bis 10. August wird die Ausstellung im London Design Museum zu sehen sein. ]

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