Akteur

Peter Eisenman
Eisenman Architects - New York (USA)

„Naiv wie Wittgenstein“

Peter Eisenman im Gespräch über die lokalen Bezüge seiner Mak-Schau, über divenhafte Architekten und softe Radikale.

22. Dezember 2004 - Jan Tabor, Matthias Dusini
Vor wenigen Monaten starb der französische Philosoph Jacques Derrida, dessen Dekonstruktivismus einen großen Einfluss auf Peter Eisenmans Architektur hatte. 1986 arbeiteten die beiden für ein Gartenprojekt in Paris zusammen. Beiden gemeinsam ist das Interesse für politisch diskreditierte Figuren. Derrida trug viel zur Neubewertung des deutschen Philosophen Martin Heidegger bei, Eisenman versuchte eine Ehrenrettung des faschistischen Architekten Giuseppe Terragni.

Falter: Fehlt Ihnen Derrida?

Peter Eisenman: Ja. Einer der Räume unten in der Ausstellung des Mak sollte ihm gewidmet sein. Ich schreibe gerade ein Buch für den Passagen-Verlag mit dem Titel „The Architecture of the Desaster“, das ihm gewidmet sein wird. Nach seinem Tod kann man Derridas Bedeutung besser einschätzen als zu Lebzeiten. Er wird noch wichtiger werden.

Warum?

Ohne die starke emotionale Präsenz seiner Person werden wir sein Werk aus einem neuen Blickwinkel betrachten. Manche Leute verschwinden in der Geschichte, Derrida nicht. Man wird ihn in derselben Liga sehen wie Kant, Hegel oder Heidegger. Er ist wahrscheinlich wichtiger als Benjamin und Adorno.

Wenn man dieses Ranking auf die Architektur überträgt, in welcher Liga würden Sie sich selber sehen?

Wahrscheinlich werde ich, wenn ich tot bin, wichtiger sein als in der Gegenwart. Weil die Geschichte Zeit hat, zu verdauen, was ich gesagt und getan habe. Das heißt nicht, dass ich mich ganz oben in den Rängen sehe.

Wird Sie die nächste Generation als Theoretiker oder als Architekt in Erinnerung behalten?

Ich bin Architekt. Wenn gesagt wird, dass ich eine alternative Architekturpraxis in den Vereinigten Staaten vertrete, sage ich: Nein, es ist die einzig mögliche. Ich habe bisher 800 Millionen Euro verbaut. Das können nicht die Werke eines Philosophen sein. Meine Architektur und meine Theorie hängen zwar zusammen, sind aber nicht zwangsläufig voneinander abhängig. Sie können in die Ausstellung runtergehen und dort etwas fühlen: Sie werden glücklich oder traurig sein, sich irritiert oder verloren vorkommen, ohne irgendetwas über die Architektur wissen zu müssen.

Sie haben in Cambridge studiert, wo auch der Philosoph Ludwig Wittgenstein gelehrt hat. Gibt es einen Bezug der Ausstellung zum Wittgenstein-Haus in Wien?

Diese Ausstellung ist sehr ortsspezifisch. Sie bezieht sich auf Freud, Wittgenstein, Loos, sogar Karl Kraus. Ich bin 1962 zum ersten Mal nach Wien gekommen und habe mir damals das Wittgenstein-Haus angeschaut. Es ist naiv. Loos ist ein Architekt, der keine philosophischen Texte schreiben, und Wittgenstein ein Philosoph, der keine Architektur machen kann. Diese Ausstellung atmet den Geist beider. Die Ausstellung ist in gewisser Weise naiv wie das Wittgenstein-Haus, nicht so raffiniert wie Loos, der weiße Schachteln mit sehr komplexem Innenleben geschaffen hat. Die Ausstellung würde in Berlin oder New York jedenfalls ganz anders ausschauen.

Warum?

Kein New Yorker wäre imstande, Ihre Frage nach Wittgenstein und seinem Haus zu stellen. Erst neulich musste ich jemanden korrigieren, der behauptete, Wittgenstein sei in Oxford gewesen.

Woher kam das Interesse an der Wiener Moderne?

Wittgenstein war ein einfacher Weg, meine intuitiven Gedanken über Le Corbusier, Giuseppe Terragni oder Mies van der Rohe philosophisch zu verorten. Loos habe ich erst später verstanden. Aber wie viele Leute würden hier in Wien die Bezüge sehen, die Sie angesprochen haben?

Vielleicht zehn?

Das ist schon viel.

In den letzten Jahren haben Sie den Personenkult um die so genannten Stararchitekten kritisiert. Sie selbst sprechen aber auch immer von großen Namen: Loos, Le Corbusier, Zaha Hadid oder Rem Koolhaas. Ist das nicht ein Widerspruch?

Rem war in meinem Institut ein Niemand, den ich von der Straße aufgelesen habe. Ich habe ihm seinen ersten Preis verschafft und das Geld für sein erstes Buch „Delirious New York“, das er in meinem Studio geschrieben hat. Zaha war eine seltsame Studentenfreundin von Rem. Das sind für mich heute keine Stars, sondern Freunde.

Ihre Kritik richtet sich vor allem dagegen, dass das Bild in der Architektur wichtiger geworden ist als der reale Raum. Wie wollen Sie hinter das Image vordringen?

Seit 9/11 befinden wir uns in einer Zeit des Terrors. Wir haben ein großes, spektakuläres Medienereignis gesehen. Die Ausstellung hier im Haus verneint das spektakuläre Bild. Sie ist antimonumental im Gegensatz zu Zahas Mak-Ausstellung.

Wieso ist das so?

Zaha ist von ihrer Persönlichkeit her eine Diva. Das zeigt sich darin, wie sie in einen Raum hereinrauscht, die ganze Luft absorbiert. Das bin nicht ich. Ich möchte sie nicht übertreffen, sondern in eine andere Richtung gehen. Nach innen.

Sie wollen implodieren?

Implosion ist eines meiner Lieblingswörter.

Auf den ersten Blick wirkt Ihre Ausstellung radikal antimuseal. Dann aber sieht man, dass sie wie jede andere auch Werke präsentiert. Ist die Bezeichnung „soft radical“ zutreffend?

Das ist gut. Die Ausstellung ist sehr viel weniger radikal, als ich ursprünglich gedacht hatte. Sie ist so elegant, auch mit dem Licht, das von oben durch die Säulen einfällt. Peter Noever, der Direktor des Mak, hätte keine Ausstellung akzeptiert, die nur aus Säulen besteht. Jetzt will er sogar Aufkleber mit Werktiteln haben. Peter ist ein softer Radikaler.

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Für den Beitrag verantwortlich: Falter

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