Akteur

Peter Zumthor

Gänsehaut . . . das ist mein Honorar

Von der Hektik der großen Welt da draußen hat sich Peter Zumthor noch nie beeindrucken lassen. Kommenden Freitag wird dem stillen Schweizer Architekten der Pritzker-Preis überreicht.

23. Mai 2009 - Wojciech Czaja
Eine Landschaft, als wäre eben erst Heidi durchs Bild gehüpft. Stallaromen kitzeln in der Nase, unbekümmert stehen Traktor und Heuwagen am Wegesrand, pure Bergidylle. Kaum einer würde vermuten, dass sich hier, im netten Alpendörfchen Haldenstein, eine der bekanntesten und erfolgreichsten Architekturschmieden Europas befindet. Aus aller Welt kommen sie herangereist, die potenziellen Bauherren, und rennen dem Meister die Stube ein.

Galt Peter Zumthor vor einigen Jahren noch als Geheimtipp unter NZZ-Lesern, füllen sich seine Auftragsbücher nun schneller, als ihm lieb ist. Im Bregenzerwald entsteht ein Werkraumhaus für Tischler, im niederländischen Leiden wird ein alter Mehlspeicher in ein Kulturzentrum verwandelt und in Doha (Katar) zeichnet Zumthor im Auftrag des Scheichs gerade an einem Masterplan für eine Wohngegend.

Aufregendstes Projekt, erst vor wenigen Tagen skizzenhaft dem Bauherrn präsentiert, ist ein Hotel in der Atacama-Wüste in Chile. Alles streng geheim, nur so viel sei verraten: Sollte James Bond in zehn Jahren noch im Dienste Ihrer Majestät durch die Weltgeschichte jetten, wissen wir jetzt schon, wohin die Reise gehen wird.

Nächsten Freitag wird Peter Zumthor in Buenos Aires den heurigen Pritzker-Preis entgegennehmen.

der Standard: Was bedeutet der Pritzker-Preis für Sie?

Peter Zumthor: Schön, so eine Auszeichnung! Besonders freut mich der Preis natürlich insofern, als ich ja kein Netzwerk-Architekt bin, sondern einfach nur meine Arbeit mache. Das gibt mir und all den jungen Architekten, die auf ähnliche Weise arbeiten wie ich, viel Hoffnung. Offenbar wird diese stille Arbeit in der Öffentlichkeit erkannt und wertgeschätzt.

der Standard: Im Juryprotokoll steht, Ihr Werk sei fokussiert, kompromisslos und außergewöhnlich entschlossen. Erkennen Sie sich in der Begründung wieder?

Zumthor: Eher spüre ich mich in den Worten der Jury, wo es heißt, dass der ganzheitliche Aspekt meiner Arbeit gewürdigt werde. Nicht unwesentlich ist wahrscheinlich die Tatsache, dass ich in einem sehr überschaubaren Rahmen arbeite. Vor sieben oder acht Jahren wäre es vermutlich undenkbar gewesen, jemandem wie mir den Pritzker-Preis zu geben. Damals würdigte man eher die großen globalen Player. Zu mir hätte man wahrscheinlich gesagt: „Du, Zumthor, nichts für ungut, aber du bist eine aussterbende Rasse.“

der Standard: Ihr Fortbestand ist nun gesichert.

Zumthor: Ich glaube, es ist ein Umdenken im Gang. Man will offenbar darauf hinweisen, welche Arbeitsweisen es in der Architektur sonst noch gibt, und zwar abseits des Mainstreams. Lustig, dass sich nach Bekanntgabe der Pritzker-Sache einige meiner ehemaligen Kollegen wieder bei mir rühren und sagen: "Ja grüezi, Zumthor, wir sind doch alte Freunde! Am liebsten erinnere ich mich an eine zufällige Begegnung mit Wolf Prix in einem Restaurant in Chur, als er mich seiner Begleitung vorstellte und meinte: Der Zumthor, das ist einer vom anderen Lager, aber von denen der Beste! (Erinnere ich mich da richtig, Prix?)

der Standard: Was ist das eine, was das andere Lager?

Zumthor: Prix setzt Zeichen in der Landschaft und in der Architekturszene. Meine Architektur jedoch ist fokussiert auf den Gebrauch und auf den Ort. Wenn ich mich entschließe, ein Projekt zu machen, dann können die Bauherren mächtig und reich sein - oder arm. Das spielt keine Rolle. Das einzig Wichtige ist, dass ich Freude an der Arbeit habe, dass die Bauaufgabe sinnvoll ist und dass meine Bauherren gerne mit mir zusammenarbeiten wollen. Wenn das zutrifft, dann ist das ein cooles Projekt.

der Standard: Erachten Sie sich dem Bauherrn gegenüber als Dienstleister?

Zumthor: Als Dienstleister führt man vorgegebene Inhalte aus. Das bin ich nicht und das will ich nicht. Ich bin eher eine Art Autor. Gern vergleiche ich mich auch mit einem Komponisten und Dirigenten. Ich liefere die Partitur, doch ohne meine 100 bis 500 Supersolisten komme ich nicht weit. Was ich damit sagen will: Schlussendlich ist das, was ich mache, eine baukünstlerische Arbeit.

der Standard: Führt das nicht regelmäßig zu Überraschungen?

Zumthor: Da eilt mir wohl ein nicht korrekter Ruf voraus: Der Zumthor, der macht, was er will! Das Gegenteil ist der Fall. Meine Bauherren wissen genau, was sie kriegen. Es gibt einen sehr guten und wertschätzenden Dialog. Manchmal kommt es auch vor, dass ein Bauherr im Prozess eine bessere Idee hat als ich. Dann muss ich die übernehmen, oder? Und wenn es umgekehrt ist und ich die bessere Idee habe, dann muss der Bauherr eben mir vertrauen. So einfach ist das.

der Standard: Wann ist ein Projekt zu Ende gedacht?

Zumthor: Wenn die Entscheidung Bestand hat. Vorausgehend ist das permanente Abwägen zwischen Sicherheit und Unsicherheit. Es ist ein ständiges Hin und Her, ein Pingpong-Spiel, ein ewiges Trial-and-Error. Doch irgendwann ist der Punkt erreicht, wo alles stimmig ist. Ich spüre das. Sie müssen sich vorstellen: Ich bin jemand, der seine Häuser sieht, bevor sie gebaut sind. Wenn ich beispielsweise in der Früh unter der Dusche stehe, mache ich einen virtuellen Spaziergang durch das Haus, an dem ich gerade arbeite. Ich schlendere hindurch und sehe mir alle Ecken und Nischen an. Und manchmal passiert es, dass ich einen Kameraschwenk mache und plötzlich etwas entdecke, wo ich mir denke: Oh Mist, da stimmt etwas nicht. Da hilft nur virtuelles Abbrechen und Neubauen.

der Standard: Passiert das manchmal auch, wenn ein Projekt schon in Bau ist?

Zumthor: Das ist mir ein einziges Mal passiert, und zwar beim Kolumba-Museum in Köln. In den virtuellen Spaziergängen, die ich so oft unternommen habe, aber auch in den Zeichnungen und Modellen war alles ganz klar und stimmig. Und als ich dann im Rohbau stand, verdammt noch mal, ist mir aufgefallen, dass ich einen Fehler gemacht habe. Im obersten Stock saß ein Durchgang an der falschen Stelle. Der Raumkörper war geschwächt. Also holte ich die Bauherren und sagte: Schauen Sie sich das an! Wir waren alle einer Meinung, und die Tür wurde um drei Meter versetzt.

der Standard: Sind Sie einer, der die Baukosten einhält?

Zumthor: Den Ruf, dass man sich nicht um die Baukosten kümmert, hat man als Architekt natürlich sehr schnell. Ein einziges Mal sind die Kosten ausgeufert, und zwar vor Ewigkeiten beim Projekt „Topographie des Terrors“ in Berlin. Die Wunschliste war lang, das Budget war klein. Und irgendwann ist alles explodiert. Doch die Regel ist, dass wir das Budget einhalten wollen und dass uns dies meistens auch gelingt. Therme Vals, Kolumba-Museum, die Kapelle in der Eifel - alles war im Rahmen.

der Standard: Und der wäre?

Zumthor: Auf den Kubikmeter umbauten Raum runtergebrochen, befindet sich das Kolumba-Museum irgendwo im oberen Drittel des Durchschnitts der neuen europäischen Museen. Anderes Beispiel: Das Thermalbad in Vals hat 26 Millionen Schweizer Franken gekostet. Das ist alles nicht exorbitant viel. Aber Sie haben schon recht: Mit Low Budget hat diese Art des Bauens nichts zu tun. Wenn ich meine Architektur mit einem Auto vergleiche, so hoffe ich doch sehr, dass ich Ihnen in der Regel einen Mercedes anbieten kann, mit dem Sie unbekümmert ein paar hunderttausend Kilometer fahren können.

der Standard: Mercedes? Ihre Details sind Handarbeit und Einzelanfertigung. Wir reden hier von Aston Martin.

Zumthor: Es sieht aus wie ein Aston Martin, und es funktioniert vielleicht wie ein Aston Martin, aber es kostet so viel wie ein Mercedes. Ich bin nicht einer von diesen Bentley-Manufaktur-Fans, der auf weiße Zwirnhandschuhe und Lederköfferchen abfährt. Das, was Sie sehen, ist das Engagement meiner 20 Mitarbeiter im Büro und der vielen Leute, die für uns arbeiten.

der Standard: Woher schöpfen Sie Ihre Inspiration?

Zumthor: Die Ideen kommen einfach, und ich weiß nicht woher. Das ist ein großes Geschenk. Eigentlich ist das ganze Leben Inspiration. Die Musik, die Literatur, einfach alles. Das Wichtigste ist, diesen Inspirationen zu vertrauen und nicht sofort alles zu zerreden.

der Standard: In Ihren Texten und Vorträgen vergleichen Sie sich immer wieder mit Peter Handke. Warum?

Zumthor: Ich mag dieses poetische Prinzip der genauen Beobachtung, das er in seinen frühen Werken verkörpert hat. Da geht es nicht um Symbolismus und um Zeichen, sondern nur um Beobachtung, mit viel Geduld und viel Genauigkeit.

der Standard: Ihr aktuelles Projekt?

Zumthor: Es werden immer mehr! Erst vorigen Montag war ein chilenischer Bauherr bei mir, ich habe ihm das Konzept für ein Hotel in der Atacama-Wüste präsentiert. Wir alle lieben dieses Projekt. Das Hotel sieht aus wie ein riesiges präkolumbianisches Tongefäß. Ich hoffe, das wird eine Referenz an Oscar Niemeyer. Jedenfalls können Sie sich nicht vorstellen, wie aufgeregt dieser Mann war. Später dann sagte er zu mir, dass er so nervös war, weil er nicht wusste, wie er reagieren sollte, falls ihm der Entwurf nicht gefiele. Daraufhin hat er die Ärmel hochgekrempelt und hat auf seine Gänsehaut gedeutet: „Look at this, it doesn't lie!“ Ein schönes Kompliment. Besser als jedes Honorar.

der Standard: Abschlussfrage zum Pritzker-Preis: Wissen Sie schon, was Sie mit den 100.000 Dollar Preisgeld vorhaben?

Zumthor: Ich habe gerade ein privates Projekt am Laufen. Hoch oben in den Bergen sind zwei Holzhäuser für mich und meine Frau entstanden. Wir haben uns etwas verausgabt. Die Graubündner Kantonalbank wartet schon auf das Geld.

Ich bin jemand, der seine Häuser sieht, bevor sie überhaupt gebaut sind. Wenn ich in der Früh unter der Dusche stehe, mache ich einen virtuellen Spaziergang durchs Projekt.

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