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Lauter kleine Bonbons
Spectrum

Schon einmal eine Kreuzung aus zweistöckigem Haus und VW-Käfer gesehen? Oder ein „Lego-Haus“ für zwei Personen? Von Spieltrieb, zuckersüßen Architekturbüros und dem Hang zum Kleinen.

4. Dezember 2004 - Wojciech Czaja
Zeige mir, wie du baust, und ich sage dir, wer du bist", sagte Christian Morgenstern einst. Keine Frage, Architektur ist stilprägend, Architektur ist imagebildend. Doch Morgenstern hat ungewollterweise nicht nur für die Architektur gedichtet, auch die Automobilindustrie hat sich ein Scheibchen vom Poem abgeschnitten und brutal adaptiert. Frei nach dem Motto „Zeige mir, was du fährst“ und so weiter werden ständig neue Kundenkreise angesprochen, ja sie werden sogar neu definiert. Jedem Typ schließlich sein Auto, die Kampagnen sind offensiv, direkt und vereinnahmend.

Ganz neu am Markt ist der kleine flinke Renault Modus, lustig türkis wie auf den Werbefotos grunzt der gestauchte und dennoch wohl proportionierte Frechdachs durch die Stadt und hat sich sogar schon einmal aufs Tageszeitungs-Cover verfahren. Anbei ein paar bunte Kleckse, in einem gelbroten Farbtupfer nun der lang ersehnte Modus-Slogan: „Grow up - what for?“ Ja, wofür auch? Statt eckig, schwarz, korrekt doch lieber „geradeaus zum Kind in Ihnen“, lautet der unüberhörbare Appell des Créateur d'Automobiles. Nun ist es endgültig: Der freche Modus stiehlt uns Erwachsenen damit nicht nur die Show, sondern auch noch die letzte Würde. Ernst sein kann man später immer noch, warum also nicht zurückfallen ins Alter von Spiel, Spaß und Schabernack? Unter dem Deckmantel der Leichtigkeit und des Humors ist es Renault gelungen, ganz präzise den Puls der Zeit zu treffen.

Doch zurück zur Baukunst. Auch die heimische Architekturszene ist schon seit Jahren dem Spieltrieb verfallen. Zumindest jene Architekten darunter, die noch jugendliche Frische in sich tragen und nicht etwa damit beschäftigt sind, sich selbst noch im hohen Alter und auf Kosten der nächsten Generation jeden Großauftrag unter den Nagel zu reißen. Aber ganz im Ernst, es ist erfreulich, wie fröhlich Häuser sein können. Selbst in der vielleicht etwas klassisch veranlagten salzburgischen Suburbia erlebte ich unlängst eine Begegnung der schlimmsten Art, eine genetische Kreuzung zwischen einem VW-Käfer und einer zweistöckigen Behausung. Irgendwie daneben, doch die Glupschaugen, die Rückscheinwerfer und - sic! - vor allem die vier „Räder“ (bitte sich dieses architektonische Attribut unbedingt unter Anführungsstrichen vorstellen!) haben ganz eindeutig auf jenen fahrbaren Untersatz hingewiesen. Man kann von Glück reden, dass das Plagiat höchstwahrscheinlich nicht die Stückzahl des formalen Vorbilds erreichen wird. Ich denke, selbst wenn der Name des Architekten eruierbar gewesen wäre, man hätte die Größe, an dieser Stelle gesenkten Hauptes einen Augenblick stillschweigend innezuhalten.

Doch es ist alles nicht so aussichtslos, wie es scheinen mag. Denn - entgegen einer anfänglichen Vermutung - ist Verspieltheit nicht in jedem Falle mit Verzichtbarkeit gleichzusetzen. Ganz im Gegenteil, viele Architekten beherrschen die Gratwanderung zwischen Ernsthaftigkeit und Spaß. Man muss ja nicht gleich ein Automobil kopieren, um originell zu sein. Viel interessanter erscheint dagegen die vielfach subtilere Auseinandersetzung zwischen Spielzeug und Architektur. Denn nicht im blinden Übernehmen, sondern erst in einer nuancierten Neuinterpretation eines Vorgefundenen kann sich Architektur allmählich wieder an (Bau-)Kunst herantasten.

So ein Haus - aus der Feder des Wiener Architekturbüros Caramel - steht in Linz. Es ist ein Haus für zwei Personen und trägt den winzigen Projektnamen „xxs“. Während also die Niederländer, allen voran Koryphäe Rem Koolhaas, MVRDV und das UN-Studio immer mehr Richtung XXL tendieren, bleibt die heimische Architektenschaft dem Kleinen verhaftet.

Diese Vorliebe ist definitiv keine Frage der Qualität, im wahrsten Sinne des Wortes ist sie eine Frage der räumlichen Quantität. Die unbeschwerte Leichtigkeit des kompakten Zwei-Personen-Hauses erinnert ein wenig an Spielzeug, diese Assoziation kann der gewählte Projektname letztlich auch nicht entkräften. Die Statik scheint unbekümmert zu schweben, als hätte jemand - unbeeindruckt vom Unterschied zwischen Dekagramm und Tonnen - zuvor ein Modell aus Lego-Steinen gebaut. So wie die dänischen Bausteine aus Thermoplasten hergestellt sind, besteht auch das Haus in Linz aus Kunststoff. In diesem Fall eine Leichtkonstruktion aus Holz, um die abschließend eine glasfaserverstärkte Lastwagenplane gespannt wird. Ein eingepacktes Caramel-Zuckerl sozusagen.

Ein Haus xxs oder ein Duplo-Stein XXL, es ist alles nur eine Auslegungssache. Immerhin ein gutes Spiel für Architekten, nichts anderes bedeutet der Produktname Lego, eine phonetische Kombination aus den jeweils ersten Buchstaben des dänischen „leg godt“, auf Deutsch „spiel gut“. Der Konzern regt auf seiner Homepage außerdem an: „Neugierige, fantasievolle und aktive Menschen haben die besten Voraussetzungen, sich in einer ständig verändernden Welt besser zu orientieren und dadurch zu Architekten unserer Zukunft zu werden.“ Es hängt in der Luft, ob der Beruf des Architekten hier nur Metapher oder schon Exempel ist.

Da stehen wir also und blicken in die Architekturlandschaft hinaus. Die Projekte sind erfrischend, sie sind hochwertig, und jedes einzelne von ihnen stellt eine großartige Alternative zum Bewährten, Altbacken-Bekannten dar. Oder wie der Direktor des Architekturzentrums Wien, Dietmar Steiner, beim jüngsten Architekturkongress feststellte: „Es ist, als ob österreichische Architekten kleine Preziosen in die Gegend werfen, den urbanen und regionalen Zusammenhang berücksichtigen sie aber nicht.“ Als sähe man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr, konzentriert man sich lieber auf das Projekt als auf die Disziplin, lieber auf das Detailverliebte als auf das nur schwer Fassbare. Architektur, das sind lauter kleine Bonbons, so der holländische Theoretiker Bart Lootsma, doch wie sieht die Bonbonniere aus? „Ich wundere mich als Holländer über die österreichische Abwehrhaltung, sich mit dieser Materie endlich auseinander zu setzen.“ Ganz gleich, ob Karamellbonbon oder nicht, etwas süßer oder saurer, besser oder schlechter: Die berufskritische Debatte ist bereits voll im Gange. Nun würde man sich von den Créateurs d'Architecture wünschen, mit der gleichen Menge an Elan und Esprit eine gesellschaftskritische Diskussion in Gang zu setzen.

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