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Dirndl auf der Rodel
Der Standard

Dieses Wochenende geht die Expo in Nagoya zu Ende. Rückblick auf eine Weltausstellung. Gedanken zu einem Auslaufmodell

24. September 2005 - Wojciech Czaja
Es dämmert in der Präfektur Aichi. Die ersten Besucher stellen sich vor dem Expo-Gelände bereits an, hauptsächlich Japaner. Ausländer wurden auf dieser Weltausstellung nur wenige gezählt. Auch gut, die Geduld für die ewig lange Warterei hätten sie ohnehin kaum aufbringen können. Um neun Uhr öffnet die Expo ihre Pforten, die Warteschlange hat die magische Grenze von zwei Kilometern erreicht. Die Japaner sind ruhig und gelassen, exerzieren vor, wie eine Nation mit 130 Millionen Einwohnern auf engstem Raum zusammenleben kann.

Mit vereinten Kräften stürmen sie auf die begehrtesten Pavillons zu. Wer nicht jetzt schon ansteht, wird bei manchen Ausstellungsgebäuden mit bis zu sieben Stunden Wartezeit rechnen müssen. „Wisdom of Nature“ lautet das Motto der Expo 2005, die dieser Tage nun zum letzten Mal Besucherströme aufnehmen wird. 300.000 Menschen pro Tag werden erwartet. Anfänglich hatte sich Nagoya für die Olympischen Sommerspiele 1988 beworben, doch den Zuschlag bekam - hinlänglich bekannt - Seoul. Der Misserfolg sollte nicht von Dauer sein, die neue Vision war die diesjährige Weltausstellung. Mit dem zurückliegenden Event in Hannover hat Nagoya jedoch wenig gemein. Und mit dem ursprünglichen Gedanken einer Weltausstellung sowieso nicht.

Gerade Japan, das Land auf der technologischen Überholspur, ist auf die schier veraltete, jahrmarktähnliche Messe der materiellen Exponate nicht mehr angewiesen. Gewiss, Länder stellen sich vor, doch die Prämisse gilt hier nicht dem Prahlen und Protzen der einzelnen Nationen, sondern - das ist bald klar - einzig und allein der Unterhaltung. Unendlich viele Kinderwagen, unendliche viele Kinder, das Publikum mag zwar wissensdurstig sein, in erster Linie aber ist der Besuch auf dem Expo-Gelände ein familiär ersehnter Wochenendausflug samt Luftballon und Sonnenschirm.

Knappe zwei Quadratkilometer, an die hundert Nationen, die ihre Errungenschaften und Klischees zum Besten geben. Früher ein Naherholungsgebiet, soll der Nagakute-Park nach der Expo wieder vollständig rückgepflanzt werden. Wisdom of Nature also. Die gesamte Architektur ruht daher unter dem gar nicht so unsichtbaren Mäntelchen des Temporären, bis auf wenige herausstechende Pavillons handelt es sich durchwegs um normierte und modulare Stahlbauhallen, die für diesen Zeitraum an die unterschiedlichen Länder vermietet wurden. Lediglich eine Fassade als Identitätsstifter, um Korea von der Tschechischen Republik zu unterscheiden, ab kommendem Montag wird sich die leichte Demontage der Hallen beweisen müssen. Und bald werden sich die beiden Expo-Maskottchen Kiccoro (klein und freundlich) und Morizo (alt und grimmig) wieder ganz unbemerkt und wohl getarnt in ihren Wald zurückziehen können.

Die Länderpavillons: allesamt recht traditionell und trachtenmäßig. Haben die Niederlande beispielsweise in Hannover noch mit einem unorthodoxen Architektur-Big-Mac auf sich aufmerksam gemacht (gestapelte Stadt von MVRDV), so müssen die Niederlande diesmal als Kitschsujet herhalten. Unwürdiger als in Form eines Holland-Blumen-Marktes kann man gar nicht mehr auftreten. Im Innern ein Mole-Nachbau, aufgepinselte Hafenfassaden, eine schmerzhafte Gratwanderung zwischen edlem Trash und verzweifelter Nostalgie. Auch Russland richtet seinen Blick sehr mutig in die Vergangenheit: Die Fassade des russischen Pavillons zeigt lauter glückliche Menschen, und das Ganze - man kann sich's nicht verkneifen - erinnert ein wenig an die sozialistischen Verherrlichungen von pflügenden Mägden und euphorischen Bauarbeitern. Perestroika, was ist das? Very thrilling.

Und Österreich? „Der österreichische Pavillon wird auf der Expo als Symbolträger und Interaktionsplattform zur Stärkung des positiven Images Österreichs in der japanischen Bevölkerung beitragen“, erklärt Regierungskommissärin Mares Rossmann. Im Klartext und in chronologischer Reihenfolge beim Durchschreiten des Pavillons: Walzer, Almglück, Gletscher, Sachertorte und Rodelpartie. Hermann Dorn und Klaus Baumgartner, die unter dem Titel „trecolore architects“ zusammenarbeiten, sind mit ihrem Projekt „The Slope“ vergangenes Jahr als Gewinner des zweistufigen Verhandlungsverfahrens hervorgegangen.

Mit einem kleinen Trick ist es den beiden Kärntner Architekten gelungen, Österreich als Brandmark auf der diesjährigen Expo zu etablieren. Das Zauberwörtchen lautet Interaktion, und zwar überall. Anfänglich die kleine Nachbildung eines historischen Wiener Ballsaals, vollflächig verspiegelt, krönende Lobmeyr-Luster von der Decke baumelnd: Zwei geübte, des Walzers Mächtige nehmen sich der eintretenden Besucher und Besucherinnen an und geleiten diese im Dreivierteltakt ans andere Ende des Raumes, von wo es nun weitergeht. Duft einer Heuwiese, Klang eines Wasserfalls, schließlich und endlich die lang ersehnte Eisbar, von der die ganze Expo spricht. Sehr kalt, sehr vereist, Hingreifen ist angesagt. Zu guter Letzt ab in den Austro-Shop, wo Ribiselwein, Manner-Schnitten und sonstige, mehr oder weniger heimische Exponate mit nach Hause genommen werden möchten.

Michael Schmidt, Deputy-Director des Österreich-Pavillons: „In Japan wird bewusst mit Klischees gearbeitet, die man in einem europäischen Umfeld gar nicht mehr präsentieren dürfte. Ein österreichisches Dirndl ist hier ein absolut positiver Imageträger.“ Und auch die Pavillon-Direktorin Katharina Steinkellner: „Japan funktioniert anders als Europa. Dass der Besuch einer derartigen Ausstellung eine ablenkende und unterhaltsame Flucht aus der harten Arbeitswelt bietet, darf man als Europäer unter gar keinen Umständen kritisieren.“

Stattdessen möge man rodeln, den hölzernen Berghang des Österreich-Pavillons hinab. Lachende Kinder, doch auch den Erwachsenen ist auf diesen zwanzig Metern sichtlich gute Unterhaltung abzulesen. Irgendwie erinnern diese Szenen ein wenig an Lost in Translation, jenen Film, in dem Bill Murray und Scarlett Johansson sich etwas schwer damit tun, die uns so fremd erscheinenden Facetten der japanischen Kultur zu begreifen. In Europa würde dieser Pavillon, würde wahrscheinlich die gesamte Expo erfolglos bleiben - die Spielregeln sind da wie dort nicht die gleichen. Dass ein Land wie Japan auf derartige österreichische Bilder angewiesen ist, liegt letztendlich nicht an Japan selbst, sondern an der beharrlichen Tourismusmaschinerie hier zu Lande, die sich unentwegt um Mozart und Apfelstrudel dreht. Doch wo Distanz, da auch Toleranz - oder?

Als Präsentationsplattform von technischen und allerlei sonstigen Errungenschaften neigt sich das Modell „Weltausstellung“ allmählich einem Ende zu, keine Frage. Auf medialer Ebene funktioniert der Wettkampf ohnehin viel besser. Das bevorstehende Schanghai 2010 dürfte dann noch so ein letztes heroisches Aufflackern sein. Doch die Eventgesellschaft Japan hat die Expo um neue, unterhaltsame Aspekte bereichert, unter diesem Blickwinkel lässt sich die diesjährige Expo überhaupt erst begreifen. Zwanzig Millionen Besucher - das sind um 30 Prozent mehr als erwartet. Ein stolzes Zehntel davon hat den österreichischen Beitrag bereist. Die österreichischen Veranstalter haben - sozusagen - transkulturelle Weitsicht an den Tag gelegt, die Zahlen sprechen für sich.

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