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Adieu Tristesse!
Der Standard

Kann Architektur glücklich machen? Muss immer alles in Anthrazit ange- pinselt sein? Und wer will überhaupt Authentizität? Fragen über Fragen, ein paar neue Konzepte, und wenn alles gut geht, sind am Ende sogar die Bewohner glücklich

9. November 2005 - Wojciech Czaja
Beim allabendlichen Durchblättern der Hochglanz-magazine frisst uns der Neid. Es reicht weder die Zeit noch das Geld, um sich dem medial so viel propagierten und Lifestyle-tauglichen „Wohntraum“ hinzugeben. Stattdessen fragt uns Ikea: „Wohnst du noch oder lebst du schon?“, und in der Realität finden wir nur allzu schwer Antwort auf diese rhetorische Frage.

Flashback: Zimmer, Küche, Kabinett. Zu wenig Stauraum, alles quillt über. „Der Wohnbau ist noch lange nicht zu Ende gedacht. Wir sind nur wenige Schritte von dem veralteten Gesamtkunstwerk entfernt, das keine Verletzung duldet“, so Architekt Helmut Wimmer, der in Österreich schon so manchen sozialen Wohnbau auf die Beine gestellt hat. Für Wimmer ist das alles erst „der Anfang eines freien Wohnbegriffs, der der heutigen Gesellschaft und den heutigen Gesellschaftsformen gerecht wird. Wohnung ist ein wertvolles Gut, das unterschätzt nur jeder.“

Der hoch gepriesene Le Corbusier hat expressis verbis vor dem schlechten Geschmack der Gesellschaft kapituliert, wie soll man also für die Masse bauen? „Authentische Materialien“, lautet die Devise im Architektenclub - anders kann man sich nicht erklären, warum alle Wohnhäuser - meistens in unverblümt ehrlichen, manchmal recht hässlichen Oberflächen und Farben daherwatscheln. Und wenn schon Farbe, dann bitte Anthrazit - das jedenfalls ist die Insider-Bezeichnung für einen edlen Farbton, den andere ganz gerne als dunkles Mausgrau bezeichnen würden.

Margarethe Cufer, eine der wenigen Bauenden, die sich stets traut, einen knallorangen Farbkübel über ihre Gebäude zu schütten, über die farblos monochrome Mode in der Architektur: „Damit kann ich in letzter Zeit immer weniger etwas anfangen. Und ich bin fest davon überzeugt, dass das in Wien mit den Schlechtwetter-Phasen zusammenhängt. Ein graues Gebäude im Winter mag zwar architektonisch gesehen spannend sein, aber dem Großteil der Bevölkerung ist es einfach zu trist.“

Glücklich Wohnen, Variante 1: Nein, es muss nicht immer Grau sein. Dass Farbe nicht nur zu einem besseren Gemüt, sondern auch zu einer besseren Orientierung beitragen kann, beweist eine Siedlung in Süßenbrunn. Architekt Adolf Krischanitz hat in Zusammenarbeit mit dem Farbkünstler Oskar Putz eine Reihenhausanlage geplant, in der sich die Bewohner wie kleine Farbpigmente fühlen dürfen. Jedes Haus in einer leicht anderen Form, jedes Haus vor allem in einer leicht anderen Farbe. Oskar Putz: „Farbe geht jeden etwas an, sie ist Bestandteil des Alltags, sie ist Teil der Mode.“ Nein, bunt ist die Siedlung in der Wiener Pilotengasse nicht, sie ist lediglich farblich gestaltet, denn - so der Farbkünstler: "Heute macht man einfach alles bunt. Heute so bunt, morgen wieder anders bunt. In meinen Augen ist „bunt“ ein furchtbares Schimpfwort, das nichts anderes bedeutet als fleckig, sinnlos nebeneinander platzierte Farbkleckse."

Glücklich Wohnen, Variante 2: Askese lautet die Devise. Die einen verweigern sich der Farbe, die anderen der Buntheit, es gibt aber noch ganz andere Formen der Askese in den eigenen vier Wänden. In Wien sind in den vergangenen Jahren unterschiedliche (themenbezogene) Wohnsiedlungen aus dem Boden gestampft worden. Die Sargfabrik, die autofreie Mustersiedlung oder die Frauenwerkstatt, die ausschließlich von Frauen geplant wurde - sie alle verbindet das Phänomen des Verzichts, seien es nun die Autos oder die Männer. Entgegen der amerikanischen Devise der disneyländlichen Üppigkeit finden sich in diesen Siedlungen Menschen zusammen, die gemeinsam der Devise „Weniger ist mehr“ frönen möchten. Am augenscheinlichsten wird das in der so genannten Sargfabrik der Architektengruppe BKK-2. Hier gilt die Absage ganz eindeutig der Privatsphäre, denn die kompakten Wohneinheiten, die auf engstem Raum minutiös gestapelt wurden, sind besonders einsichtig und stülpen recht unverfroren den Aspekt der Gemeinschaft über den der eigenen Intimsphäre.

Glücklich Wohnen, Variante 3: Ein Grundriss in Grundzügen. „Meine Optimalvariante wären grundrisstechnisch drei, vier oder fünf gleich große, neutrale Räume, weil diese Altbaustrukturen am freiesten bespielbar sind“, erklärt Architektin Margarethe Cufer, „aber die Bauträger sind aus ihrer Sicht der Dinge natürlich nicht ganz so angetan von derartigen Ideen.“ Stattdessen Vorzimmer, Wohnzimmer, Kinderzimmer und Schlafzimmer. Fläche kostet. Dennoch tauchen immer öfter Architekturkonzepte auf, die richtig Spaß zu machen scheinen. Offen, flexibel, drehbar, mehrgeschoßig und lichtdurchflutet. Ein kurzes Hallo aus den Avantgarde-Niederlanden: „Es gibt eine unendliche Vielzahl an Möglichkeiten, wie Menschen leben können“, schreibt Maarten Kloos in seinem Buch „Formats for Living“, in dem zeitgenössische Grundrisse aus Amsterdam präsentiert werden. „Das Bild des städtischen Wohnens wird immer offener, expressiver und spezifischer.“

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