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Runter von meiner Wolke, du böse Werbung!
Der Standard

Gute Miene zum bösen Spiel? Damit das beim Öffnen der Packerln nicht passiert, hat Wojciech Czaja einmal ein bisserl vorselektiert und sich die Frage gestellt: Was hat Weihnachten mit Werbung und Städtebau zu tun? Bücher geben Antwort.

10. Dezember 2005 - Wojciech Czaja
Machen wir uns nichts vor. Diese bevorstehende Nervenprobe eignet sich bestenfalls dazu, einmal laut Hilfe zu schreien angesichts der Erkenntnis, zum geknickten Misanthropen mutiert zu sein. Da helfen auch die vielen eingewickelten Gaben nicht weiter, die unter der Fichte ihrer Entblößung harren. Max Goldt spricht in seinem heuer erschienenen Buch Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens (Rowohlt, € 18,40) von ebenjenem Zauber des seitlich dran Vorbeigehens, sobald er sich Weihnachtsmärkten und Punschhütten nähert: „Weihnachten ist eine der drei großen Volksschwächen“, meint er darin. Zur ersten Stillung der großen Neugier: „Die anderen beiden sind Autos und Fußball.“

Doch bleiben wir bei ersterer Schwäche, bei W wie Weihnachten, bei W wie Wahnsinn und bei W wie Werbung. Was mit uns alljährlich und unbewusst geschieht, wenn wir durch die urbanen Straßenzüge geschoben werden, darüber haben sich in letzter Zeit einige Autoren, Architekten und Systemkritiker den Kopf zerbrochen. Das Buch Marken - Labels - Brands (herausgegeben von Martin Baltes, Orange Press, € 15,50) widmet sich den stillen Produktmelodien im Supermarkt und den ganz subtilen Marketingstrategien der Global Player, die uns unter anderem dazu verzaubern, mit buchgefüllten Einkaufstaschen nach Hause kommen.

Interviews und Essays aus dem 20. und 21. Jahrhundert - wie das klingt! - werden zusammengetragen (unter anderem kommen Karl Marx, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Roland Barthes und Paolo Landi zu Wort), die letzte Seite zitiert Andy Warhols berühmtes Städtebautheorem aus den 60er-Jahren: „Das Schönste an Tokio ist McDonald's, das Schönste an Stockholm ist McDonald's, das Schönste an Florenz ist McDonald's. Peking und Moskau haben bis jetzt nichts Schönes.“

Wem das zu viel Fastfood-Werbung ist, dem sei die Lektüre des nicht ganz so neuen, aber immer noch grandiosen und brandaktuellen Buches Culture Jamming (Kalle Lasn, ebenfalls Orange Press, € 18,50) ans Herz gelegt, ein Meisterwerk der zynischen Schreibe und - wenn man so will - die Partnerlektüre zu Naomi Kleins No Logo! aus dem Jahre 2000 (z.B. Goldmann, € 10,30).

Culture Jamming bezeichnet die kulturelle Praxis, gegen die Inbesitznahme öffentlicher Räume durch die Industrie vorzugehen. Aufgezeigt werden unter diesem Betrachtungswinkel neue Marketingstrategien aus den USA, wie etwa kleine Immobilien-Sujets in Golf-Holes, die bereits auf die bückfreudigen Nobelsportler warten, oder die Offensive des australischen Schülers David Bentley, der seinen Kopf für viel Geld an diverse Unternehmen vermietet; im Monatsrhythmus rasiert er sich das jeweilige Logo ins Haar. Die amerikanische Multiplex-Kette wiederum wirbt mittels kleiner, Chiquita-ähnlicher Aufkleber auf echt gesunden Supermarkt-Bananen, ein australischer Radiosender stempelt sein Logo auf zwei Millionen echt glückliche Eier, und IBM beamt seine Trademark in den Wolkenhimmel über San Francisco. Der echt blanke Horror? Oder etwa Städtebau à la Gotham City?

Und weil Weihnachten auch wirklich gar nichts mit Werbung, Branding und dem umtriebigen Treiben der Konzerne zu tun hat, sei noch auf ein letztes antikapitalistisches Buch verwiesen. Friedrich von Borries wirft die Frage auf: Wer hat Angst vor Niketown? Die Antwort darauf ist bei Episode Publishers erschienen und kostet € 20,80. Der Bösewicht Nike wird streng unter die Lupe genommen: Ist Niketown tatsächlich eine Stadt? Und wie kann man mit Sportschuhen Urbanismus betreiben?

Ganz einfach: Zur Eröffnung von Niketown Berlin wurde - John F. Kennedy zu Ehren (?) - folgender Werbeslogan plakatiert: „Lass dich nicht von Deiner Stadt ausnutzen - nutze Deine Stadt aus.“ Nike beherrscht die Polemik des Kapitalismus zweifelsohne. Borries knüpft an und versucht, mit der gleichen Akribie dem Leser eine Ahnung davon mitzugeben, welch fatale Auswirkungen die Werbepolitik auf die Stadt hat.

Haben Sie sich die Werbebotschaften, die uns in der Stadt regelrecht anplärren, schon einmal bewusst angesehen, beispielsweise die Neubaugasse im dicht bebauten siebenten Wiener Innenstadt-Bezirk? Im Juni heurigen Jahres wurde es einem ganz leicht gemacht, als die beiden Künstler Rainer Dempf und Christoph Steinbrener in einem Teilstück der besagten Einkaufsstraße sämtliche Werbebotschaften in knallgelber Farbe gelöscht haben. Delete! Die Entschriftung des öffentlichen Raums lautete damals die städtische Intervention und ist nun in einer ebenso gelben Publikation dokumentiert worden (Mitherausgeber Siegfried Mattl, Orange Press, € 18,50).

Doch was der Kunst gelingt, kann die Disziplin des Urban Planning allemal. „Interaktiver Urbanismus“ nennt sich das neue Phänomen, dem das Buch Serve City nachgegangen ist (herausgegeben von Regina Sonnabend, englisch/deutsch, Jovis, € 25,50). Die Herausgeberin: „Erdulden wir die Veränderung unserer Lebensbedingungen nur, oder nehmen wir aktiv Einfluss auf deren Gestaltung?“

Am Beispiel eines stillgelegten Güterbahnhofs am Rande von Sydneys Innenstadt wird ein Stadtplanungskonzept der etwas anderen Stadt betrieben. Anhand von infrastrukturellen Experimenten und unter Miteinbeziehung von Wissensarbeiten werden „dynamische Planungswerkzeuge“ entwickelt. Was das alles genau heißt, kann man schließlich nachlesen. Und man wird insofern überrascht, als dass die anfänglich hohl klingenden Lifestyle-Floskeln, derer man sich hier so gern bedient, nicht schon die eigentliche Materie dieser Lektüre sind (was ja leider allzu oft der Fall ist), sondern eben nur bildliches Mittel zum Zweck.

Wer es dennoch abgehoben schätzt, sei dazu eingeladen, € 30,60 bei Hatje Cantz auszulegen und sich dem aggressiven Appell der Rolling Stones, aufgegriffen von Coop Himmelb(l)au, zu stellen: Get Off of My Cloud (herausgegeben von Martina Kandeler-Fritsch und Thomas Kramer. Und man denkt sich: Das ist es, was sich die Wolken über San Francisco aus der Kehle schreien würden, wären sie bloß nicht stumm . . . Das dunkelblaue Buch ist eine Art monocolore Monografie über das gesamte Sein und Schaffen des Wiener Büros, die mit 1500 Gramm fast schon so gewichtig ist wie beispielsweise die Bibel von Rem Koolhaas. Dennoch, S, M, L, XL bringt immerhin ein gutes Kilogramm mehr auf die Waagschale.

So richtig auf den Boden der Realität holt uns - als kosmopolitischer Abschluss - die ewig andauernde Diskussion rund um Ground Zero zurück. Die Odyssee eines Stadtplanungsareals, das ein weiteres Mal den Beweis antritt, dass Städtebau ohne Politik und Wirtschaft und ohne deren aggressive Werbestrategien nicht existiert. Daniel Libeskind hat zwar den Wettbewerb für die Bebauung des Ground Zero gewinnen können, doch Architekt David Childs, Traumarchitekt eines jeden US-Immobilienhais, weiß leider etwas besser, wie der Hase läuft.

Rendite statt städtebaulicher Symbolik lautet die erfolgreiche Devise. Noch mehr ärgern kann man sich über die Weltwirtschaftsmaschine, wenn man in der überaus spannend zusammengestellten Dokumentation Imagining Ground Zero nachschlägt (Official and Unofficial Proposals for the World Trade Center Site, herausgegeben von Suzanne Stephens, engl., Rizzoli New York, € 72,00).

Für diejenigen, denen trotz bester und bemühtester Werbung und Buchwiegerei für das eine oder andere spannende Buch die Lust am Konsum nun total vergangen ist, gibt es noch einen allerletzten Rettungsanker: Architektur & Baustilkunde, hübsch kompakt, ein wenig bunt und fein billig (Moses, € 5,10). Wer schon immer wissen wollte, aus welchem Land der Architekt des ehemaligen World Trade Centers stammt, für den ist das Kartenspiel mit 150 Fragen und Antworten gerade richtig. Beim neuen World Trade Center wird's dann ja etwas leichter: a) Amerikaner, b) Amerikaner oder etwa c) Amerikaner?

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