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Wenn die Zukunft an den Wolken kratzt
Der Standard

Historische und futuristische Eindrücke vom letzten Architektur- congress in Münster. Undein Gespräch mit dem hoch hinausblickenden Leslie E. Robertson, dem Vater vieler Häuser

1. April 2006 - Wojciech Czaja
Vergangenes Wochenende ging in Münster der SFT-Architekturcongress zu Ende. Geredet wurde drei Tage lang über visionäre Architektur, über Innovationen in der Baubranche, vor allem aber über die Zukunft unserer Städte. Höhepunkt der architektonischen Diskussion war ein romantisches und ebenso hochkarätig besetztes Kamingespräch im Rittersaal des kleinen Schlösschens Wilkinghege am Rande der Stadt. Internationale Kapazunder von Kengo Kuma bis Eric Owen Moss teilten sich Wein und Wort, um einer möglichen Lösung unserer unmöglichen Situation näher zu kommen. Hier schrumpft die Erdbevöl- kerung, dort wuchert sie, hier lebt es sich vorbildlich, dort geht man jämmerlich zugrunde.

Einer dieser Redner war ein stiller und freundlich blickender Mann aus New York: Leslie E. Robertson ist zwar auch Architekt, arbeitet jedoch hauptsächlich als Bauingenieur und Statiker mit dem Schwerpunkt Hochhausarchitektur, und das rund um die Welt. Zu seinen technischen Leistungen zählen Wolkenkratzer von Philip Johnson, Cesar Pelli und I. M. Pei. Seine Gebäude heißen Sony Building, Bank-of-China-Tower und Shanghai World Financial Center. Internationale Bedeutung wird ihm nicht zuletzt dadurch zuteil, dass Leslie E. Robertson einst auch das Tragsystem des World Trade Centers in Manhattan berechnet hatte.

Heute klafft ein Loch. Sowohl auf dem Ground Zero als auch in Leslies Herzen. - Ein Gespräch mit einem Genie, das seit nunmehr 50 Jahren backstage werkelt und die Welt um die sagenumwobene und machtumflossene z-Achse bereichert. Ist das also die Zukunft unserer Städte?

DER STANDARD: Der Titel Ihres Münster-Vortrages war „How high can high-rise go?“. Nun, wie hoch kann man gehen?

Leslie E. Robertson: Das hängt von vielen Umständen ab, nicht zuletzt auch vom Investor. Aber um einen Zweifel gleich einmal vorwegzunehmen: Was das rein Technische betrifft, gibt es keinerlei praktische Grenzen. Das ist keine Träumerei, das ist die Realität. Sie sagen uns, wie hoch Sie das Gebäude wollen, und wir berechnen die Tragstruktur. Das klingt jetzt unglaubwürdig, nicht wahr? Nun, ich sage Ihnen: Unglaubwürdig sind Konzepte, die vorsehen, dass man einen Kaugummi bis zum Mond hochzieht und dann in einer Luftblase auf den Planeten herabsieht. Aber mit Beton und Stahl können Sie alles machen. Es ist nur eine Frage des Sinns und der Ästhetik.

Gerade im Fernen Osten wird man das Gefühl nicht los, dass Hochhausarchitektur als Allheilmittel für Überbevölkerung und fehlende Infrastruktur verstanden wird. Ist sie tatsächlich eine mögliche Antwort auf diese Probleme?

Robertson: Die Bevölkerungszahl ist mit Sicherheit einer der Gründe, die die Stadtplanung zu Hochhäusern antreiben. Aber ich sehe die grundlegende Motivation der High-Rise-Architektur nicht so sehr im Technischen und Ökologischen, sondern in erster Linie im allumfassenden Aspekt der Kommunikation. Und um diese Kommunikation im weitesten Sinne geht es schließlich, denn die Städte im Fernen Osten haben alle mit dem gleichen Problem zu kämpfen, und zwar mit dem täglichen Pendeln. In der Früh hin, am Abend wieder zurück. Jeden Tag das Gleiche. Das belastet die eigene Lebensqualität, und das belastet die Qualität der Stadt.

Ist ein Hochhaus nicht auch ein Imageträger?

Robertson: Freilich spielt Image eine gewisse Rolle, aber das sind wenige Ausnahmen von großen Firmen und großen Brands, die ihre Skulpturen unbeirrt in den Himmel ziehen und die der Bevölkerung dadurch im Kopf besser hängen bleiben als andere Beispiele. Den Großteil der hohen Skyline aber bilden unbedeutende und unauffällige Infrastrukturen des Wohnens und Arbeitens. Und genau da muss ich den Developern ein Kompliment aussprechen, denn die pauschale Ignoranz von früher ist längst schon einem großen Verantwortungsgefühl gewichen. Viele Projektentwickler zerbrechen sich mittlerweile sehr wohl den Kopf über soziale und stadtpolitische Konsequenzen ihrer Projekte.

Wie Energie und Ressourcen schonend ist so ein Wolkenkratzer?

Robertson: Sehr! New York City ist eine der am meisten Energie sparenden Städte der Welt. Warum das so ist? Weil das gesamte Leben übereinander gestapelt ist und man sich die gesamte Infrastruktur teilen kann. Und draußen in den Suburbs findet die pure Energieverschwendung statt: Die Häuser verlieren Wärme nach allen vier Seiten, jedes Haus benötigt ein eigenes Herz, was Strom und Heizung betrifft. Hinzu kommt, dass sich die Vorstädter eine Mobilität ohne Auto gar nicht mehr vorstellen können. Selbst wenn es sich nur um einen kurzen Sprung zum Bäcker handelt.

Wie sparsam sind die asiatischen Städte?

Robertson: Natürlich sind Städte wie Schanghai kurzfristig betrachtet Energiefresser, da dort rund um die Uhr gebaut wird. Doch das ist wie ein Kredit, denn langfristig betrachtet wird sich der Aufwand zugunsten der Umwelt gerechnet haben.

Das Stichwort lautet Nachhaltigkeit, denn je länger ich ein Gebäude nutzen kann, desto mehr zeugt das von einer intelligenten und Ressourcen schonenden Planung. Die Statistiken verbessern sich von Jahr zu Jahr. Heute zählen Hochhäuser bereits zu den energiesparendsten Architekturformen überhaupt. Wenn man sich heute Hongkong ansieht - und da ist der große Bauboom bereits abgeklungen -, ist das heute in ökologischer Hinsicht eine vorbildliche Stadt.
Am 11. September 2001 ist ein Teil Ihrer Arbeit eingestürzt.
Robertson: Ich habe gute zehn Jahre am World Trade Center gearbeitet, mehr oder weniger Tag und Nacht. Wenn ich Ihnen sagte, dass mir 9/11 nicht Tränen in die Augen getrieben hätte, dann wäre das ein dumme Lüge. Glauben Sie mir, in so einem Augenblick beginnt man, an seiner eigenen, jahrzehntelangen Arbeit zu zweifeln. Man fasst sich an den Kopf und stellt sich unentwegt die Frage: Woran habe ich in diesen zehn Jahren nur gearbeitet? Ich blicke tagtäglich von meinem Büro genau auf den Ground Zero. Das macht es mir unmöglich, nicht unentwegt an 9/11 zurückzudenken. Ich wünschte, die Türme würden einfach wieder stehen.

Viele Leute rufen mich auch heute noch an und möchten mich treffen, manchmal werde ich sogar zu Therapiesitzungen eingeladen. Ich muss gestehen, das ist zu viel für mich. Ich bin Bauingenieur und Architekt, aber dem großen Unglück von 9/11 bin ich nicht gewachsen. Es tut weh, und mit der Zeit macht es einen verrückt. Bemerkenswert aber ist, dass gerade in den beiden betroffenen Städten - nämlich New York City und Washington D.C. - der Widerstand gegen George W. Bushs „War on Terror“ am größten gewesen ist. Denken Sie doch einmal darüber nach!

War Ihre Karriere zu irgendeinem Zeitpunkt jemals ernsthaft gefährdet?

Robertson: In Hinsicht auf meine zukünftigen Projekte habe ich mit dem Schlimmsten gerechnet. Doch die Arbeit ging weiter. Monate später waren die ersten Gutachten und Untersuchungen zum World Trade Center abgeschlossen. Das Ergebnis war, dass die beiden Türme ausreichend dimensioniert worden waren. Ich weiß, das klingt zynisch. Versuchen Sie, das einmal den betroffenen Familien zu erklären! Aber Tatsache ist, dass das WTC eine sehr redundante Konstruktion aufgewiesen hat. Das heißt, dass man viele Säulen hätte entfernen können, ohne dass das Gebäude dadurch einstürzt. Freilich trifft das nicht auf den Fall zu, dass man alle Säulen einer Fassade entfernt, wie das am 11. September passiert ist.

Sie arbeiten gerade an einem Gebäude, das 2500 Meter hoch werden soll. Traum oder Projekt?

Robertson: Wer weiß das schon! Oft bekommen wir Aufträge von Visionären, die sich ganz einfach gerne nur mit einem bestimmten Gedanken auseinandersetzen möchten. Und dann heißt es: Berechne das einmal für mich! Und das machen wir dann. Die meisten dieser Spinnereien landen in der Schublade. Aber wer weiß, vielleicht bleibt eine diese Spinnereien eines Tages auf dem Schreibtisch liegen.

Am Ende einer Debatte angelangt - wie sieht die Zukunft unserer Städte aus?

Robertson: Die Städte werden weiter wachsen. Unaufhaltsam, auch wenn uns das nicht gefällt. Denn die Weltbevölkerung wächst - international betrachtet - rasant weiter, und die bestehenden Infrastrukturen platzen aus allen Nähten. Das betrifft auch Städte, die wir mit dem Thema High-Rise in erster Linie gar nicht in Verbindung bringen würden. Wenn Sie sich einmal ansehen, wie viele Hochhausprojekte in Mumbai auf ihre Realisierung warten, bringt das Ihren Kopf zum Bersten! Ja, auch das sind Eckpfeiler der Globalisierung. Ich denke, dass unser kapitalistisches Weltbild schon so weit gestrickt ist, dass sich uns ohnehin kein Ausweg daraus mehr erschließen wird.

Fazit also ist: In den großen Ballungsräumen und Megastädten der Welt gibt es nur eine einzige Antwort auf das Wachsen. Und diese lautet: Wolkenkratzer.

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