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Nur kein zweites Graz!
Der Standard

Linz an der Donau befindet sich vollends im Kulturhauptstadt-Fieber. Einige architektonische Mammut-Projekte geleiten ins Event-Jahr 2009 - wenngleich auf wackeligen Beinen.

15. April 2006 - Wojciech Czaja
Graz durfte alles. Und nun darf natürlich auch Linz alles. Wer hätte das gedacht, nicht wahr? Zugegeben, es ist schon recht eigenartig, dass justament ein Land mit acht Millionen Einwohnern innerhalb von wenigen Jahren gleich zwei europäische Kulturhauptstädte aus dem Ärmel schüttelt. Denn schließlich ist der zahlreiche Rest von Europa auch nicht zu vernachlässigen.

Warum gerade Linz? Ähnlich, wie man am Grazer Kulturstadt-Krönchen gute 15 Jahre gewerkelt hatte, kam auch die Linzer Idee bereits in den Neunzigerjahren zustande. „1998 hatte Linz den Auftrag, den europäischen Kulturmonat auszurichten“, erklärt Erich Watzl, Vizebürgermeister und Kulturreferent der Stadt Linz, „das war ein erster Probegalopp, ob sich denn Linz auch tatsächlich im Kunst- und Kulturbereich etablieren könne.“

Das konnte es ganz offensichtlich. Am 14. November 2005 erfolgt der endgültige Beschluss seitens der europäischen Kulturminister: Linz wird Kulturhauptstadt 2009. Wer hätte das gedacht? Nicht jedenfalls der Spiegel-Redakteur Wolfgang Höbel, der Linz unlängst als den „Arsch der Welt“ bezeichnet hatte. Linz sei demnach „die Ghetto-Stadt Österreichs, das Härteste, was Österreich zu bieten hat“. SP-Bürgermeister Franz Dobusch ist vergrämt, dennoch: Das halte Linz schon aus. Also noch einmal, warum gerade Linz? „Vor 25 Jahren hat es hier noch Ruß herabgeschneit“, erklärt der 2009-Intendant Martin Heller auf Anfrage des STANDARD, „seitdem hat sich in dieser Stadt viel getan.“ Linz befinde sich heute im allmählichen Wandel zu einer postindustriellen Stadt. Im Klartext heißt das: Tradierte Kultur und Repräsentation im Bereich der Kunst seien bei Weitem nicht so ausgeprägt wie in einigen anderen österreichischen Städten, daher herrsche in Linz eine sehr offene und unvoreingenommene Stimmung.

Das sind doch schon gute Bedingungen für 2009. Und da so ein Kulturstadt-Etikett nicht nur den Tourismus ankurbelt, sondern auch die Bauwirtschaft, hat sich der STANDARD ein wenig umgesehen und fasst nun zusammen, was vor und nach 2009 alles zu erwarten ist.

Die Geschichte um das Musiktheater Linz, dessen vorläufiger Ausgang vorletzte Woche präsentiert wurde, reicht schon knappe 30 Jahre zurück. LIVA-Chef Horst Stadlmayr forderte bereits im Jahre 1977 ein Opernhaus für Linz. Ein geeignetes Platzerl hatte es zwar schon gegeben, doch bis zum ersten Standort-Clinch verging nicht allzu viel Zeit. 1998 schließlich wurde ein zweistufiger Wettbewerb ausgeschrieben, aus dem Architekt Otto Häuselmayer als Sieger hervorgegangen war. Doch Blau sei Dank kam wieder einmal alles anders, die FPÖ trommelte mit medialer Unterstützung der Kronen Zeitung zu einer Volksbefragung zusammen. Das ablehnende Ergebnis - knapp 60 Prozent stimmten am 25. November 2000 mit Nein - war zwar nicht bindend, nichtsdestoweniger senkte ein Politiker nach dem anderen sein Haupt und ließ blaubürokratisches Treiben walten. Nach Auskunft von Architekt Häuselmayer wurden mit dem Veto - das Opernhaus befand sich bereits in Planung - rund 18 Millionen Euro in den Wind geschossen.

Ein neuer Anlauf, ein neuer Wettbewerb. Am 5. April entschied sich die Jury unter Vorsitz von Carlo Baumschlager für das schlichte Projekt des britischen Architekten Terry Pawson. „Wir haben nach einem Projekt gesucht, das nicht nur ein Theater ist, sondern auch städtebauliche Qualitäten aufweist und auf den benachbarten Volksgarten eingeht“, erklärt Baumschlager. 900 Sitzplätze wird das neue Opernhaus fassen, eine Garage ist im Konzept ebenfalls inbegriffen. Die Baukosten belaufen sich auf rund 143 Millionen Euro. Mit einer Fertigstellung bis zum Hauptstadtjahr ist jedenfalls nicht zu rechnen.

Wäre die FPÖ für ein Statement zur Verfügung gestanden, hätte man sie fragen können, wie sie nun dazu steht, dass ein paar Jahre zuvor ein Opernprojekt für rund 110 Millionen Euro wie eine heiße Kartoffel wieder fallen gelassen wurde. Kalkuliert man die damals sinnlos entstandenen Planungskosten mit ein, schlägt sich das aktuelle Verfahren mit rund 50 Millionen Mehrkosten zu Buche. Wenn man sich schon mit Sparefroh-Federn schmücken möchte, ist dies alles in allem nicht unbedingt die wirtschaftlichste Methode, mit Steuergeldern zu hantieren.

Baumschlager: „Wir hätten den Vorzug lieber einem außergewöhnlicheren Projekt gegeben. Aber es ist nun einmal die Aufgabe der Jury, auch die politische Umsetzbarkeit zu bedenken.“ Hätte der Aufsehen erregende Turm von Wolfgang Tschapeller gewonnen, würde man ein weiteres Mal Gefahr laufen, dass sich das politische Szenario von 2000 wiederholen könnte.

Was für 2009 ebenfalls auf etwas wackeligen Beinen steht, ist der Schlosszubau (Baukosten 24 Millionen Euro). Zwar soll laut oberösterreichischem Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) in den kommenden Wochen die Ausschreibung für den Architekturwettbewerb abgeschlossen sein. Doch wenn man - durch Wettbewerbs-Erfahrungen geläutert - kurz die nötigen Zeitspannen zusammenzählt, kann sich eine Fertigstellung bis 2009 wohl kaum ausgehen.

Hinzu kommt, dass das zukünftige Bauareal bis November heurigen Jahres noch von ein paar Archäologen durchkämmt werden soll. „Das gesamte Schlossareal war durch alle Zeiten ein wichtiges Siedlungsgebiet“, erzählt Museumsdirektor Peter Assmann, „wir sind gespannt, was die Archäologen in den nächsten Monaten freilegen werden.“ Na denn!

Und wie steht es um die Erweiterung des Ars Electronica Centers? Den Wettbewerb hat gegen 37 internationale Mitbewerber der Wiener Architekt Andreas Treusch gewonnen. Damit das neue AEC (6500 statt bisher 2500 Quadratmeter) rechtzeitig zur europäischen Kulturhauptstadt fertig wird, müsste der Baubeginn für die 26 Millionen teure Erweiterung noch kommendes Jahr erfolgen. Die neue Form am Linzer Donauufer wird das bisherige AEC verschlucken, was ja an sich keinen großen optischen Verlust darstellt. Ganz im Gegenteil, „der Leitgedanke des Entwurfs ist die Ausbildung eines skulpturalen Gebäudes, dessen Struktur begehbar und somit erlebbar ist“, kommentiert Treusch seinen Entwurf, „die kristalline Form bildet in ihrer Umgebung ein homogenes Ensemble und eine Landmark.“

Über ein mögliches Planetarium (14 Millionen Euro) und über das zukünftige Outfit der Pöstlingbergbahn (mindestens drei Millionen Euro) ist man sich politisch noch nicht einig. Daher endet der Linzer Spaziergang vorerst einmal in der Nähe des neuen Hauptbahnhofs. Hier ist in den vergangenen Monaten bereits der so genannte Wissensturm der Linzer Architekten Franz Kneidinger und Heinz Stögmüller in die Höhe geschossen. Eine euphorische Architekturdiskussion wird das im Auftrag der Stadtbibliothek errichtete Gebäude wohl nicht vom Zaun brechen, aber immerhin: Dieses Gebäude befindet sich nicht nur in Planung, sondern bereits in Bau (Baukosten 28 Millionen Euro). Die Eröffnung des öffentlichen Bildungshauses ist für Herbst 2007 vorgesehen.

Die Summe all dieser Projekte beläuft sich auf rund 240 Millionen Euro. Das ist ziemlich genau das Sechsfache jener Kosten, die für die Abwicklung des eigentlichen Hauptstadt-Events 2009 zur Verfügung stehen (vergleiche Graz 2003: 55 Millionen Euro).

Intendant Martin Heller setzt auf Nachhaltigkeit: „In der Planung und Konzeption ist für uns das Jahr 2010 genauso wichtig wie das Jahr 2009.“ Der kulturelle Eingriff in die Stadt müsse nach Ende der einjährigen Frist weiterhin spürbar bleiben. „Nachhaltigkeitsfragen werden bei derartigen Kunst-Events zwar oft diskutiert, aber an die Radikalität von Linz 2009 kommt so rasch kein anderer heran.“

Rund 120 unterschiedliche Kunstprojekte sind für das Kulturhauptstadt-Jahr geplant. Und fest steht: „Linz darf nur kein zweites Graz werden.“ Die Chancen, die hechelnde Kurzatmigkeit von Graz 2003 nicht zu wiederholen, stehen gut. Gleiches kann man von den architektonischen Gegebenheiten, die den Rahmen der Kulturhauptstadt 2009 bilden werden, indes nicht behaupten.

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