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Manifest der Individualität
Der Standard

In Wien Simmering wurde dieser Tage ein Wohnbauprojekt schlüsselfertig übergeben: Damit nicht wieder alles zum faden und tristen Einheitsbrei wird, hat der Künstler Gerwald Rockenschaub ein paar Farben angemischt.

24. Juni 2006 - Wojciech Czaja
Der Wiener Wohnbau habe in den vergangenen Jahren eine schlimme Kehrtwendung gemacht, sagt Gert Mayr-Keber, seines Zeichens Architekt, und schaut erbost in Richtung der Wohnhochhäuser auf dem Wienerberg: „Ich bin zwar kein Hochhausgegner, aber fürs Wohnen ist diese Bauform eine Unerhörtheit.“ Geschoße werden so hoch übereinander gestapelt, bis die Flächenwidmung irgendwann einmal ausgereizt sei, den Maßstab habe man dabei völlig außer Acht gelassen. Die Projektdeveloper freuen sich zwar über die höhere Rendite, doch dass man aus dem Wohnzimmerfenster die Kleinen im Hof nicht mehr in Sichtweite hat, kümmert dabei keinen. Mayr-Keber: „Im Grunde genommen ziehen wir in einem sozialistischen Wien bisweilen asoziale Bauten hoch.“

Dennoch: Sozialer Wohnbau ist eine zutiefst österreichische Tradition. Während das linksliberale System hier zu Lande weiter gepflegt und gehegt wird - allein Wien verfügt über 210.000 Gemeindewohnungen -, hat man in vielen anderen europäischen Staaten längst darauf verzichtet. Großbritannien hat das integrative Modell überhaupt abgeschafft und liebäugelt nach vielen Jahren der kommunalpolitischen Stagnation erst jetzt mit der Idee, den Wohnbau auch für sozial Schwache wieder zu öffnen (siehe Immobilien-STANDARD).

Vorigen Donnerstag wurde in Wien ein solcher sozialer Wohnbau seinen Bewohnern übergeben. Die Schlüsselübergabe der insgesamt 88 Wohnungen ging einher mit einem feierlichen Stelldichein von Bezirksvorstehung, Wohnbaustadtratschaft, Architektur, Kunst und 88 erwartungsvollen Mietern und Eigentümern. Ort des Geschehens: Wien Simmering, jener Wiener Gemeindebezirk, der von der intellektuellen Wiener Riege als Tatort von Südosttangente, Industriebauten und riesigen Wohnsilos abgestempelt ist, den Zentralfriedhof miteingeschlossen.

So manchen auf Minimal Art getrimmten Architekten mag es schaudern angesichts der Buntheit und Tonnengewölbelei der neuen Wohnhausanlage von Gert Mayr-Keber. Doch nicht für den Architekten baut der Mensch, sondern für den Bewohner. Das Konzept hinter dem Projekt mit dem appellierenden Titel „Look“ scheint aufgegangen zu sein. Denn die Flächenwidmung des bisher brachliegenden Grundstücks sah eine niedrige Bebauung vor, und angesichts der dürftigen Rendite hatten die meisten Wohnbauträger bis dato davon die Finger gelassen. Bis sich die Buwog (seit rund zwei Jahren in Besitz der Immofinanz) der verwaisten Parzelle annahm und eben das darauf setzte, was der Plan erlaubt hatte: niedrige Mietwohnriegel mit viel Freiraum dazwischen und jene Eigentumswürfel, die seitens des Architekten so liebevoll als Stadtvillen bezeichnet werden.

Sozialer Wohnbau eben: gut geschnittene Grundrisse, nette Loggien, der architektonische Herzschlag in der Brust des Kenners jedoch schnellt dabei nicht empor. Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass es justament dem planenden Architekten zu verdanken ist, dass ein Teil der Baukosten - nebenbei bemerkt bescheidene 1060 Euro pro Quadratmeter - in das Töpfchen der „Kunst am Bau“ floss. Beauftragt wurde der Wiener Künstler Gerwald Rockenschaub: „Ich bin zwar schon früh in das Projekt eingestiegen, aber die Architektur war eigentlich schon fertig.“

Kunst am Bau - das ist in diesem Fall keine Skulptur, die unbeholfen neben dem Spielplatz klotzt, sondern schlicht und einfach ein Farbkonzept, das über die gesamte Wohnhausanlage gepinselt wurde. „Im Grunde genommen bin ich kein Freund von Kunst am Bau, weil sie oft keinerlei Zweck erfüllt“, erklärt Rockenschaub, „und eine nutzlose Plastik oder nur ein funktionsloses, dekoratives Element wäre hier nicht sinnvoll gewesen.“

Stattdessen strahlen die 28 Erker, in die sich jeweils die Wohnzimmer einer Wohnung ausbeulen, in den buntesten Farben. Die Unordnung war intendiert, und diese kann man nur erzeugen, wenn man auch wirklich wild in den Farbtopf taucht: „Jeder Künstler hat früher oder später einmal mit Farbe zu tun, und bei diesem Projekt bin ich mit der Farbe halt sehr freestyle umgegangen.“

Machen 28 bunte Erkerchen die qualitativ gute, wenngleich nicht sonderlich aufregende Architektur etwa schöner? „Der Mensch ist ein Individuum“, meint Architekt Mayr-Keber, „alle lieben das Einfamilienhaus mit dem kleinen Gemüsegartl davor.“ Und da diesem persönliche Kleinrefugium bei größeren Wohnformen in der Regel nur wenig Platz eingeräumt werde, sei es umso wichtiger, jede erdenkliche Chance auf Heterogenität auch wirklich zu nutzen.

Edelbert Köb hatte den Vorsitz des Kunstbeirats, der Rockenschaub hier mit Kunst am Bau beauftragt hatte. Warum Rockenschaub? „Der gesamte Beirat wollte sich den sonst üblichen Pastelltönen des sozialen Wohnbaus entziehen. Mit der Entscheidung, Rockenschaub ins Projekt einzubeziehen, erwartete man ein farbkräftigeres Konzept.“ Nebenbei bemerkt der Mumok-Direktor, dass diese intensive Farbgebung ganz in der Tradition des Wohnbaus stehe. Denn auch schon Mondrian, Rietveld und das Bauhaus griffen in ihren Design- und Architekturentwürfen gerne in den knalligen Bereich des Farbkastens.

Dass die Buntheit die zukünftige Bewohnerschaft nicht zwangsbeglückt, zeigen die innenarchitektonischen Reaktionen auf die künstlerische Farbwalterei. Einige Mieter und Eigentümer haben sich schon vor der offiziellen Schlüsselübergabe am Fassadencouleur orientiert und die Farben im Innenraum fortgeführt. Was will man mehr?

Der Architekt spricht von einem „Manifest der Individualität“, der Künstler meint, das Projekt habe ihm Spaß gemacht, und Buwog-Geschäftsführer Gerhard Schuster erfreut die Tatsache, dass so gut wie alle Wohnungen bereits vermietet und verkauft wurden.

Die Wohnhausanlage „Look“ wird wahrscheinlich nicht den Weg in die Hochglanz-Gazetten der Architektenschaft finden, und Gert Mayr-Keber wird mit diesem Projekt auch nicht als nächstjähriger Pritzker-Preisträger infrage kommen. Doch es ist etwas gelungen, was von wahrscheinlich größerer Bedeutung ist: „Look“ hat die Herzen seiner Bewohner erschlossen. Das war den Gesichtern bei der Schlüsselübergabe vorigen Donnerstag deutlich anzusehen - und damit hat auch der Buwog-Werbeslogan seine Richtigkeit unter Beweis gestellt: „Glücklich wohnen.“

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