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So viele Zimmer frei
Der Standard

Mitten im hügeligen Süditalien steht seit Kurzem das „Million Donkey Hotel2“. Eine Schnittstelle zwischen Kunst, Architektur, Partizipation und Entwicklungshilfe.

26. August 2006 - Wojciech Czaja
Eine Landschaft so idyllisch wie in der Pietro-Pizzi-Werbung. Feigenkakteen und Zypressen säumen beidseits die Straße. Hinter dem Felsvorsprung blökt eine Schafherde ihrer abendlichen Heimreise entgegen, an der römischen Brücke vorbei hinein in die Höhle, die sodann mit Baustellengitter und Vorhängeschloss versperrt wird. Buona sera. Es ist der Ort Prata Sannita, ein unbedeutendes, ein so genanntes „authentisches“ Dorf mitten in Italien, genauer gesagt in der neapolitanischen Region Campania. Das scheinbar einfache Glück der Bewohner zaubert dem seltenen Touristen glänzende Augen und ein Lächeln ins Gesicht.

Doch hinter den Kulissen ist das historische Örtchen, das wie eine Ansammlung von Steinhaufen am abschüssigen Hang klebt, ein ewiger Zeuge von Armut und Arbeitslosigkeit, von starker Abwanderung, politischem Vergessen und mafiösem Treiben seitens der Camorra. Scharenweise ist die Bevölkerung der umliegenden Provinz gegen Ende des Ersten Weltkriegs sowie in den 50er-Jahren ins übrige Europa und in die USA ausgewandert. Aus manchen Ortschaften sind sogar mehr Leute nach New York geflüchtet, als daheim geblieben sind. Heute ist Prata Sannita das Überbleibsel eines Dorfes, das anstatt aus Häusern hauptsächlich aus Ruinen besteht - manche hat sich die Natur längst wieder zurückerobert. Nur die Alten sind den steilen Treppen im mittelalterlichen Borgo, dem Stadtkern, treu geblieben. Nachmittags sitzen sie vor ihren Häusern, trinken Tee und spielen Schach.

Anfänglich waren es 3000, heute zählt der Ort nur noch 1700 Einwohner, Tendenz fallend. Genau dieser Geisterschloss-Atmosphäre und demografischen Katastrophe widmet sich seit vorigem Sommer das künstlerische Projekt „Villaggio dell'Arte“, aufgezogen vom italienischen Architekturbüro Paeseaggio, das für dieses Vorhaben aus eigenem Antrieb sogar Gelder von der EU lukrieren konnte. Das Konzept ist so einfach wie sympathisch: Jede Gruppe von Künstlern oder Architekten nimmt sich jeweils eines Dorfes an, entwickelt dafür ein Konzept, das dann in Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung umgesetzt wird, und zieht zu diesem Zweck für die Dauer eines Monats ins Dorf. Partizipation at its best.

Ziel ist es, die Bewohner darin zu motivieren, von den reichlich leer stehenden Häusern zu profitieren und aus ihrer kulturellen Agonie auszubrechen. Das zur Verfügung gestellte Budget in der Höhe von 10.000 Euro ist bescheiden; dank der damit verbundenen Auflage, das Material lediglich aus dieser wirtschaftlich schwachen Region beziehen zu dürfen, hat es jedoch sichtlich gereicht. Die Resultate, die während des Festivals „Villaggio dell'Arte“ erzielt wurden, sind stolz. Das Wiener Architekturbüro feld72, das die konzeptionelle Patenschaft über das Sorgenkind Prata Sannita innehatte, war mit von der Partie.

Ihr Beitrag ist eine Auseinandersetzung mit Migration jeglicher Art - sie schlugen den Dorfbewohnern ein Hotel vor. „Ihr seid ja verrückt“, opponierten die temperamentvollen Südländer anfänglich. „Ihr aber auch, denn ihr macht mit!“, antworteten die Architekten. Beide sollten Recht behalten. In einem stillen und besonders steilen Eckerl der Stadt wurde ein paar maroden Häusern neues Leben eingehaucht.

Im vorigen Sommer wurde die alte Substanz erst einmal leer geräumt, der Schutt entfernt. Manche Mauern waren schon seit einem Jahrhundert ungenutzt. Daraufhin nahm man das tatsächliche Bauen in Angriff: drei Hotelzimmer, ein Gemeinschaftsbad und eine kleine Bar - alles einzelne Räume, die von den Gässchen direkt zu betreten sind.

In Anlehnung an den Hollywood-Film Million Dollar Hotel wurde das neue Etablissement „Million Donkey Hotel“ genannt. Erklärung der Architekten: „Nun, eine Million Dollar haben wir nicht, und eine Million Esel bräuchten wir, um da oben auch nur einen Stein zu bewegen.“ Doch es ging auch ohne Esel. Stattdessen meldeten sich freiwillige Ortsansässige sonder Zahl zu Wort. „Eigentlich sind wir von zehn oder 15 Helfern pro Tag ausgegangen“, erklären die Architekten von feld72. Doch es kam anders: Bis zu vierzig Freiwillige arbeiteten mit, teilweise sogar 70-jährige Pensionisten, die früher als Schmiede, Maurer oder Maler tätig gewesen waren. Insgesamt hat das Dorf beachtliche 4300 Arbeitsstunden in das Hotel der tausend Esel hineingebuttert.

Mancher Streit zwischen alten und stolzen Padroni machte dem engagierten Zusammentrommeln auch schon einmal einen Strich durch die Rechnung. Man nahm den Hut und ging. Wie sieht es nun aus, das so genannte Hotel? Von außen sieht man nicht viel. Allein ein schwarz-weißer Schriftzug, der einen glauben macht, man habe sich in einen Spaghetti-Western verirrt, prangt über der Tür und flackert in die Nacht hinaus. Der Rest steht bereit zum Erkunden und Erschlafen. Das aufregendste Zimmer heißt „Il letto volante“, das fliegende Bett.

Über ein Betonschammerl erklimmt man das hoch gelegene Bett, das auf einfach zusammengeschweißten I-Trägern aufgelagert ist, und rollt sodann wie ein ratternder Zug durch das Fenster hinaus. Und schon befindet man sich außerhalb des Hauses, ja sogar außerhalb des Dorfes, und blickt hoch ins Gestirn. Damit das Freiluftabenteuer auch bei hyperaktivem Schlafverhalten nicht allzu kurz kommt, wird der Gast durch einen Käfig geschützt. Highlight des wenigzimmrigen Hotels ist aber ohne Zweifel das Bad - ein fetter, gusseiserner Schlüssel öffnet einem den Weg. In tiefes Froschgrün getaucht, sieht man von einem Ende des Raumes zum anderen nicht. Dicht an dicht hängen die durchsichtigen Gummifäden der Moschiera, des italienweit anzutreffenden Fliegenvorhangs von der Decke herab.

Von den insgesamt fünf Kilometer Hängeware sind lediglich die eigentlichen Sanitärbereiche ausgespart worden - man ertastet sie im vorsichtigen Schleichen. Das „Million Donkey Hotel“ in Prata Sannita ist ein neues Ziel für sanften Tourismus. Mehr noch ist es ein behutsamer, sozio-architektonischer Eingriff in einen Ort, der lange Zeit von einem Schleier der Traurigkeit bedeckt war. Mittlerweile hat sich - nur wenige Schritte von den Zimmern entfernt - ein Padrone gefunden, der die Hotelgäste des Morgens mit einem Frühstück verköstigt.

Andere wiederum haben sich bereit erklärt, die Organisation in die Hand zu nehmen und als Putzkolonne mit frischer Bettwäsche aufzutreten. Ein weiteres Zimmer befindet sich - auf Eigeninitiative der Bewohner - bereits in Bau. Was kostet eine Nacht? „Jeder gibt so viel, wie es ihm wert erscheint“, erklärt Annamaria Lauro, die zuständige Dame im Dorf. Ein teurer Spaß also.

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