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Baukunst? Kunst baut
Der Standard

Niederösterreich ist für seine Architektur nicht gerade weltberühmt. Was im Bauen nicht gelingt, das vermag die Kunst zu leisten. Einblick in ein außergewöhnliches Programm vor einem ebenso außergewöhnlichen Hintergrund.

23. September 2006 - Wojciech Czaja
Architektur made in Austria ist in den vergangenen Jahren vermehrt zu einem international anerkannten Gütesiegel geworden. Viele Gebäude zeugen von diesem hart erarbeiteten Renommee. Das ist nicht zuletzt den einzelnen Bundesländern zu verdanken, die in jahrzehntelanger Arbeit die regionale Messlatte fürs Bauen immer höher und höher gelegt haben.

Niederösterreich gehört nicht dazu. „In Niederösterreich gibt es nach wie vor Berührungsängste mit professionellen Planern, die Bevölkerung ist einfach skeptisch“, erklärt Peter Obleser, Leiter der niederösterreichischen Gestaltungsakademie, „vor 20 Jahren waren wir der Meinung, dass wir uns um eine einheitliche niederösterreichische Architektursprache bemühen müssten.“ Doch mittlerweile wisse man es besser: „Architektur ist der Spiegel der Gesellschaft.Mankann die Leute zu nichts zwingen.“ Und so habe man sich im Laufe der Zeit auf Service und Beratung spezialisiert und bedient damit in erster Linie jene Bauschaffenden, die sich auf der unentwegten Flucht vor der Architektur befinden: die Häuslbauer.

Franziska Leeb –wie Obleser ist auch sie ehrenamtliches Vorstandsmitglied des niederösterreichischen Architekturnetzwerks ORTE – kontert: „Ich glaube nicht, dass die Berührungsängste kulturellen Ursprungs sind, denn das Interesse der Bevölkerung ist ja da.“ Viel eher leide Niederösterreich an seiner geografischen Weitläufigkeit und an der Tatsache, dass es keine eigene Ausbildungsstätte und keine Szene gibt. „Niederösterreich hat seit Ewigkeiten das Image, das Umland von Wien zu sein. Ein Großteil derArchitekturdiskussion wird von Wien aufgesaugt.“ Und Niederösterreich geht leer aus.

„Alle Baukunst bezweckt eine Einwirkung auf den Geist, nicht nur einen Schutz für den Körper“, sagte einst John Ruskin, Architekturtheoretiker im Großbritannien des 19. Jahrhunderts. Auf das heutige Niederösterreich umgemünzt ist zu ergänzen: Wozu die Baukunst nicht imstande ist, das muss eben die Kunst leisten. Und diese genießt in Niederösterreich eine Sonderstellung, die ihresgleichen sucht.

„Kunst im öffentlichen Raum“ nennt sich jener Apparat der niederösterreichischen Landesregierung, der im Background werkelt und bereits seit den Achtzigerjahren danach trachtet, künstlerische Projekte aller Art der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „Anfänglich war es ein Malheur“, erinnert sich Katharina Blaas, zuständige Sachbearbeiterin der Kulturabteilung, an die ersten Jahre zurück, „die Architektur war nicht gut, und die Künstlerinnen und Künstler hatten überhaupt keine Lust, sich vor diesem Hintergrund mit ihrer Kunst zu beteiligen.“

azit: Die berühmte „Kunst am Bau“ blieb auf der Strecke, die Förderungen verfielen, die Luft war draußen. Erst mit der Einführung des so genannten HamburgerModells im Jahre 1996 – ein Prozent der gesamten Landesbaukosten wird projektunabhängig in einen gemeinsamen Topf eingezahlt – gelang es, die Kunstschaffenden langfristig zu einer regen Teilnahme an den vielen Kunstwettbewerben zu animieren. Insgesamt 400 Arbeiten sind auf Initiative der Landesregierung bis heute entstanden. Vom lokalen No-Name bis hin zum internationalen Kapazunder.

Die Disziplin der Kunst wurde dem weitläufigen Bundesland flächendeckend übergestülpt, selbst im entlegensten Kaff taucht schon einmal eine Platzgestaltung, eine Bushaltestelle oder einfach nur eine Skulptur auf. Das wirklich interessante Phänomen an der blau-gelben Kunst ist jedoch vor allem ihre Affinität zur Architektur. Einerseits werden immerwieder auch Architekten zu den Wettbewerben geladen, andererseits zieht es selbst waschechte Künstler in den reizvollen Bereich des Bauens. „Ich verstehe überhaupt nicht, warum die Architektur in Niederösterreich dermaßen zu wünschen übrig lässt“, so Blaas, natürlich seien Bemühungen da, aber es werde einfach nicht besser. „Ich nehme an, dass die Kunst dieses Defizit erkannt hat und nun eingreift, wo es ihr möglich erscheint.“

Einen frühen Beginn dieser architekturaffinen Kunst lieferten PRINZGAU/podgorschek vor über zehn Jahren mit der „Entdeckung der Korridore“ in Paasdorf. Sie inszenierten eine Archäologie des Fahrens und gruben ein Stück automobiler Kulturform in die Erde ein. Auf sechs Meter Länge und 35 Meter Breite wirkt dieses Fragment als Ausgrabung einer nie da gewesenen Autobahn. Katharina Blaas schwelgt in Erinnerungen: „Bei der Eröffnung hat damals sogar der zuständige Politiker abgesagt, weil das für ihn keine Kunst dargestellt hat.“ Heute ist die „Entdeckung der Korridore“ eines der bestbesuchten Exponate in ganz Niederösterreich. Nebenbei wird hier gegrillt und gefeiert – oder man spielt Tennis über die Leitplanke.

Ähnlich verhielt es sich beim Beitrag der Künstlergruppe gelatin in Staatz, eröffnet im Jahre 2000. Die hintere Hälfte eines völlig ausrangierten Gelenksbusses dient seither als Wartehäuschen einer Bushaltestelle. In diesem Falle ging die Bevölkerung sogar so weit, dass der zuständige Bürgermeister in der Lokalzeitung aufgefordert wurde, sein Amt niederzulegen. Heute haben sich die Wogen geglättet. Als vor einiger Zeit dann auch noch ein Kamerateam von 3sat anmarschierte, war alle einstige Feindschaft im Nu verflogen, seitdem wird der Bus von allen geliebt.

Noch einen Schritt weiter in Richtung Architektur wagte sich der Bildhauer Hans Kupelwieser. Seine Seebühne in Lunz am See (2004) entstand in Kooperation mit einem Statikerbüro. Indem Wasser ein- oder ausgepumpt wird, kann die Bühne entweder versenkt werden oder aber auf der Wasseroberfläche schwimmen. Direkt anschließend gibt es ein abgetrepptes Sonnendeck für Badegäste, das sich während der Lunzer Sommerspiele in ein überdachtes Theater verwandelt – ein absolutes Multifunktions-Tool also. Klingt das etwa nach Kunst? Ein Architekt hätte es nicht besser machen können.

Zu guter Letzt sei angemerkt, dass Künstler sogar in der Lage sind, städtische Plätze zu gestalten. Iris Andraschek und Hubert Lobnig verwandelten das Forum Campus Krems in einen orientalisch anmutenden Marktplatz, dermit Teppichen ausgelegt ist. Doch nicht aus gewebter Seide ist der täuschend echte Bodenbelag gefertigt, sondern aus venezianischen Emailsteinchen, Stück fürStück verfliest. „Mit den Teppichenwerden imaginäre, kommunikative Orte geschaffen“, erläutern die Künstler ihre Idee, sie sprechen weiters von Flexibilität, von Raum und Identität. Ja, auch das klingt nach Architektur.

Beinahe scheint es, als wäre in Niederösterreich die Kunst als Surrogat für die Architektur eingesprungen. Die Initiatoren hinter der „Kunst im öffentlichen Raum“ haben hart geschuftet, sie haben clevere Strategien erarbeitet, und sie haben jahrelangen, sanften Druck auf die Bürger und ihre Bürgermeister ausgeübt. Auf diese Weise gelang es, was einige andere Bundesländer schon zuvor geschafft hatten, nämlich Niederösterreich als internationale Trademark zu etablieren. „Wenn man das gleiche Rezept nun auch auf die Architektur anwenden könnte“, sagt Franziska Leeb, „dann wäre das niederösterreichische Problem gelöst.“

[ Kommenden Freitag findet im NÖ Dokumentationszentrum für Moderne Kunst in St. Pölten die Finissage der Festausstellung „kunst im öffentlichen raum niederösterreich – 10 Jahre Kulturförderungsgesetz“ statt. 29. September, 17 Uhr. Im Anschluss daran wird im Cinema Paradiso Rudi Pallas Dokumentarfilm „public art II“ über die niederösterreichische Kunst im öffentlichen Raum gezeigt, 18.30 Uhr. ]

[ Demnächst erscheint der Katalog „ORTE – Architektur in Niederösterreich 1997–2007“, herausgegeben von Walter Zschokke und Marcus Nitschke, € 39,95 / 244 Seiten, Springer Verlag, Wien – New York. ]

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