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Das Kreuz mit dem Kreuzerl
Der Standard

Architekturpolitik ist ein langweiliger Ladenhüter. Selbst im Wahlkampf kratzt das Bauen nur die wenigsten. Doch wenn man sucht, dann findet man: die Parteiprogramme zur Baukultur, Versuch einer Gegenüberstellung.

30. September 2006 - Wojciech Czaja
Der Wahlkampf hat seinen Höhepunkt erreicht. Es wurde debattiert und gekämpft, Taferln wurden in die Kamera gehalten, Geschenke überreicht, Schweißperlen von der Oberlippe gewischt. Zur Diskussion stan- den Kindergeld, Krankenpflege und Postenschacherei, die einen wollen sich der Bildungsministerin entledigen, die anderen der Ausländer. Dass die bescheidene Zunft der Architekten angesichts solcher heißen, teilweise populistischen Diskussionen links liegen gelassen wird, ist langfristig betrachtet zwar bedauerlich, in der Kürze des Gefechts jedoch nur allzu verständlich. Und so ist auch die Aussage des Schreiberkollegen Christian Kühn zu deuten, als er bei der parlamentarischen Enquete 2004 meinte: „Mit Architektur lässt sich nicht die nächste Wahl gewinnen, bestenfalls die übernächste.“

Selbst wenn der Architekturpolitik auf Plakaten und in Fernsehduellen kein Platz eingeräumt wird, so kann doch jede im Parlament vertretene Partei ein einschlägiges Programm vorweisen. Die Grünen stellten ihr „Programm zur Architekturpolitik und Baukultur“ am 1. September 2006 der Öffentlichkeit vor, alle anderen rückten damit auf Anfrage heraus. Was die einzelnen Parteien unter dem Begriff Architektur verstehen, fällt höchst unterschiedlich aus und ist nicht zuletzt ein Spiegel der wirtschaftlichen Positionierung der jeweiligen Partei.

Die ÖVP sieht das Bauen als einen elementaren Bestandteil der Kreativwirtschaft; SPÖ und FPÖ sind der Meinung, dass Kultur und Wirtschaft in der Architektur keine Gegensätze und daher unbedingt zu vereinen seien. Ganz anders die Grünen: „Baukultur ist in erster Linie eine Kultur und kein Wirtschaftsfaktor“, erklärt Wolfgang Zinggl, Kultursprecher der Grünen. Man könne nicht die gesamte Architektur einzig und allein auf Kreativwirtschaft reduzieren. „Wenn ich das Wort schon höre, kriege ich Ausschlag.“

Eine klassisch konservative Haltung zum Metier der Baukunst nimmt das BZÖ ein: „In der Architektur geht es immer um den Zweck, dem ein Bauwerk genügen soll, vor allem um seine künstlerische Form.“ Und so beruft sich das BZÖ in seinem Parteiprogramm unter anderem auf Otto Wagners Worte: „Alles modern Geschaffene muss dem neuen Material und den Anforderungen der Gegenwart entsprechen.“

In Bezug auf die Bedeutung der Architektur ist man sich jedoch einig, es ist nur eine Frage des verbalen Ausdrucks: „Architektur ist ein wesentlicher Teil unseres täglichen Lebens und bestimmt unsere Lebensqualität“ (Christine Muttonen, SPÖ). „Kaum etwas ist mehr in das alltägliche Leben des Menschen miteinbezogen wie Architektur und Baukultur“ (Henriette Frank, FPÖ). „Architekten und Ingenieure stellen ein wichtiges Element in unserem Staate dar“ (Günther Barnet, BZÖ). Oder noch knapper: „Architektur ist eine Querschnittsmaterie“ (Carina Felzmann, ÖVP). Sowie: „Bauen ist ein öffentlicher Akt“ (Wolfgang Zinggl, Grüne).

Die großen und zustimmenden Jubelschreie sind nicht weiter verwunderlich. Den ansonsten unbeachteten Protagonisten der Baubranche, die hinter den Kulissen tagein, tagaus an den Strukturen dieses Landes arbeiten, wird der Hof gemacht - stellen doch die rund 40.000 Architekturschaffenden und Ingenieure in Österreich einen beträchtlichen Teil der Wahlberechtigten dar.

Seit geraumer Zeit klagen diese über die vertrackte baurechtliche Situation im Bauwesen. Der Großteil der Parteien will sich denn auch in Zukunft dafür stark machen, dass die neun länderspezifischen Bauordnungen endlich zugunsten einer bundesweit übergreifenden Fibel zusammengefasst werden. Einzig die ÖVP stemmt sich dagegen: Eine einheitliche Bauordnung sei nicht zielführend, da sich die Bundesländer allein schon hinsichtlich Geografie, Topografie, Wetter und Kulturkreis wesentlich voneinander unterscheiden würden.

Beinahe einheitlichen Konsens scheint es auch im Bereich des Wettbewerbswesens zu geben. Ein weiteres Debakel wie beim Haus für Mozart in Salzburg - da ist man sich einig - soll es kein zweites Mal geben. „Bei Wettbewerben ist es unabdingbar, dass jene, die den ersten Platz belegen, auch wirklich zum Zug kommen“, erklärt Frank (FPÖ). Die Politik müsse unter allen Umständen die Entscheidung einer Jury anerkennen, „alles andere führt das Wettbewerbswesen ad absurdum“. Dem stimmen auch ÖVP und SPÖ zu. Die Grünen ergänzen in ihrer Deklaration vom 1. September zudem: "Bei Verfahren, die geistige Dienstleistungen zum Gegenstand haben, gilt im Sinne der Nachhaltigkeit eindeutig ausnahmslos der Grundsatz „Bestbieter vor Billigstbieter“." Und was sagt das BZÖ zum österreichischen Wettbewerbswesen? Kein Wort davon in ihrem Baukulturprogramm. Einzig Detlev Neudeck, Mitglied des Freiheitlichen Parlamentsklubs und als solcher im Namen des BZÖ tätig, rechtfertigt so manchen Salzburger Vergabefehler: „Überall, wo Sie mit Menschen zu tun haben, wird es immer wieder zu Fehlern kommen.“ Wer sich zur Baukultur bekenne, der müsse sich daher auch zu ihren Fehlern bekennen.

„Wenn Architektur schon in aller Köpfe verankert wäre, dann wären auch schon die Häuslbauer auf den Geschmack gekommen, mit Architekten zusammenzuarbeiten“, sagt Felzmann von der ÖVP. Neben dem Austausch von Best-Practice-Modellen wünscht sie sich daher eine intensivere Vernetzung der gesamten Thematik. Das betrifft auch die Präsenz in den Medien, vor allem im Fernsehen. Über den derzeitigen Zustand des ORF - vermeintliches Stichwort „Bildungsauftrag“ - zeigt man sich durch die Bank empört. Dieses Defizit zu beheben sei ein wesentlicher Punkt.

SPÖ, FPÖ und Grüne fordern zudem, dass Architektur - beispielsweise als Schwerpunktthema innerhalb der Bildnerischen Erziehung - verstärkt Kindern und Jugendlichen näher gebracht werde. Die Grünen sprechen von „Gestaltung der gebauten Umwelt“, die Freiheitlichen setzen dafür eine hochwertige, fachliche Schulung der Pädagogen voraus, SPÖ-Kultursprecherin Muttonen unterstreicht die Wichtigkeit der Architektur einmal mehr: „Daher sollte im Rahmen der kulturellen Bildung bereits an den Schulen das Verständnis für Baukultur gefördert werden.“

Wie geht es weiter? Wird man Architektur endlich einmal auch nach der Wahl - und nicht bloß mitten im Wahlkampf - als essenzielles Anliegen der Politik begründet sehen? Als Wahlzuckerl geht so mancher Nationalratsabgeordneter sogar so weit, dass er von einer ressortübergreifenden Verankerung der Architektur spricht. Wann soll es denn kommen - das neue Bundesministerium für Baukultur?

Die SPÖ will einen so genannten Architekturrat einrichten. Christine Muttonen: „Seine Aufgabe wäre es, hochwertige Langzeitstrategien zu entwickeln und ein Architekturleitbild für den öffentlichen Auftraggeber zu erstellen.“ Ähnliches vernimmt man bei den Grünen: „Die oberste Prämisse heutiger Architektur ist die Rendite, die Letztverantwortung liegt im Wirtschaftsministerium“, kritisiert Wolfgang Zinggl, „aber sollte Architektur nicht eher in den Verantwortungsbereich eines Kulturministeriums fallen?“ Die FPÖ kontert: „Politische Verankerung kann nicht stattfinden, solange die Architektur und Baukultur an der jeweiligen Landesgrenze aufhört.“ Das gehöre behoben.

„Benötigen wir wirklich ein eigenes Baukulturressort?“, fragt Carina Felzmann. „Sehr wohl kann ich mir aber ein Ministerium oder ein Staatssekretariat vorstellen, in das die verschiedensten Bereiche der Kreativwirtschaft einfließen.“ Dazu zähle sie auch die Architektur. Infrastrukturelle Eiszeit indes beim BZÖ: „Im Rahmen einer zukünftigen Architekturpolitik sollte die Schaffung einer neuen Bürokratie verhindert werden.“ Stattdessen gibt man den Ball ab: Die Rolle der „Architekturanimatoren“ könnten ja nach wie vor die bestehenden Institutionen übernehmen, heißt es seitens des Klubdirektors Günther Barnet.

Die 2003 gegründete Plattform für Baukultur und Architekturpolitik fordert von der zukünftigen Regierung mehr Engagement und ein größeres Budget. Statt der bisher 2,5 Millionen Euro, die jährlich in die Architekturförderung einfließen, verlangt man neuerdings 73 Millionen. Das ist eine Stange Geld - nämlich genau jener Arbeitswert, den die österreichischen Architektinnen und Architekten Jahr für Jahr unentgeltlich in Wettbewerbe reinbuttern. Für ein besseres Österreich. Oder für die Katz.

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