Artikel

Ein Wintergarten voll Südafrika
Der Standard

Seit einem guten Jahrzehnt ist Entwicklungshilfe mehr, als sie einmal war. Bauen in der Fremde hat sich als eigene architektonische Disziplin etabliert. Manch einer warnt dabei vor einem neuen Kolonialismus.

11. November 2006 - Wojciech Czaja
Vor ziemlich genau einem Jahr berichtete der Standard an dieser Stelle über ein Kinderheim in den Townships von Johannesburg. „Ästhetik ohne Geld“ lautete damals das Motto von Architekt Roland Gnaiger, der gemeinsam mit seinen Studenten der Kunstuniversität Linz ein Konzept für Orange Farm erstellte - und dieses vor Ort dann auch realisierte. Gebündelt flog die studierende Meute in die beinharte Realität des afrikanischen Südens und stellte dort - unter Miteinbeziehung der ansässigen Bevölkerung - die eigens entworfenen Pavillons aus Holz, Lehm, Erde, Grasmatten und Wellblech hin. Die Gelder und Baustoffe wurden aus der Industrie zusammengeschnorrt und bis zur letzten Türschnalle aufgebraucht.

Das Projekt in Orange Farm ist nur eines von vielen, eines von vielen in Südafrika, eines von vielen weltweit. Denn während Entwicklungshilfe bis vor wenigen Jahren ein missionarisch gefärbter Begriff war, mit dem sich hauptsächlich Hilfsorganisationen und kirchliche Verbände schmückten, hat sich das Bauen in der Dritten Welt mittlerweile zu einer eigenen Sparte der Architektur gemausert. Ganz gleich, ob Architekten ohne Grenzen, das von Samuel Mockbee ins Leben gerufene Rural Studio in Alabama oder etwa Architecture for Humanity - niemand möchte sich heute noch damit zufrieden geben, einen weiteren „white elephant“ in die Wüste, in die Steppe, in den Urwald zu stellen. Längst geht es nicht mehr darum, es besser zu machen als die anderen, sondern um das gegenseitige Lernen. So heißt es.

„Wir verstehen unsere Arbeiten und dieses Projekt nicht als Entwicklungshilfe, sondern als beidseitiges Lernen und Verstehen“, erklärt Grünen-Politiker Christoph Chorherr, der 2004 in Südafrika den gemeinnützigen Verein „Sarch“ (social sustainable architecture) gründete, „unter dieser Prämisse entstehen Bauten, die vor allem im Bildungsbereich bessere Möglichkeiten eröffnen sollen.“ Zu den jüngsten Projekten von „Sarch“, die in Zusammenarbeit mit TU Wien, TU Graz, TU Innsbruck, Kunstuniversität Linz, RWTH Aachen und Fachhochschule Kuchl entstanden, zählen Kindergärten, Schulen, Bibliotheken, Ambulanzen, Werkstätten und Wohnheime.

Bei all den Projekte gilt die Devise: Die Studenten freuen sich über eine Reise in warme Gefilde und über hart erarbeitete Semesterwochenstunden, die Einheimischen indes freuen sich über ein neues - und gestalterisch nicht uninteressantes - Dach über dem Kopf. Fast scheint es, als wäre die neue Entwicklungshilfe nach dem sanften Modell der Nullerjahre bereits hip geworden. So sieht es zumindest Johannes Porsch, der im Architekturzentrum Wien die Ausstellung „Bottom up. Bauen für eine bessere Welt“ kuratiert, die kommenden Mittwoch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden wird: „Man begibt sich an den so genannten Rand, an einen prekären Ort, an dem deregulierte Verhältnisse vorherrschen, befriedigt damit seine Neugier und implantiert dort eine eurozentristische, weiße und nicht selten hegemoniale Architektur“, bekrittelt Porsch, „da wird die Architektur zum Werkzeug einer neuen Bio-Politik.“

Porsch, selbst studierter Architekt, nahm die Partizipationsprojekte von „Sarch“ etwas genauer unter die Lupe und erkannte eine neue Architektursprache, die zwar durchaus gefällig ist, längst aber zur wiedererkennbaren Trade-mark der österreichischen Architekturschulen avanciert ist. Der Gedanke, hier mit einer frech- bunten Variante eines gewissen Postkolonialismus zu tun zu haben, lasse sich nicht ganz von der Hand weisen. Bei aller Liebe zur helfenden Hand werde man nicht umhinkommen, sich in der Durchführung der Entwicklungshilfe-Projekte auch eine gehörige Portion Werbung und Marketing einzugestehen.

„Es reicht, einen Blick auf die mediale Darstellung der Bauprojekte zu werfen“, so Porsch, im Vordergrund steht nicht nur das Projekt an sich, sondern auch eine kulturindustrielle Verwertung der betroffenen Menschen, deren Leben vor der Kamera in Schauwerte verwandelt wird." Die Auswahl an „Sarch“-Projekten stehe exemplarisch für diese neue Tendenz, die sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat.

Was sagt Christoph Chorherr dazu? „Für mich schwingt bei der vielen Kritik mit, dass Afrika unbedingt ganz afrikanisch ausschauen muss. Mit dem Vorwurf von Postkolonialismus kann ich daher gut leben. Was ist schon Schlechtes dabei, in Teilen Südafrikas eine europäische, ja von mir aus eine österreichische Ästhetik walten zu lassen?“ In Europa wird Internationalität mit allen Mitteln angestrebt, auf einem anderen Kontinent soll der gleiche Wunsch schließlich unterdrückt werden? „In unseren Köpfen herrscht oft ein völlig falsches Bild von Afrika, von Townships, von Armut. Das sind Klischees, die von den Einwohnern in den betroffenen Regionen völlig abgelehnt werden.“ Chorherr resümiert: „Wenn das schon kritisierbar ist, dann gibt es eine einzige Konsequenz - nämlich gar nichts mehr zu machen. Und das lehne ich strikt ab.“

In dieser Debatte zwischen Kulturpolitik und Politkultur bleibt der Ausstellungsbesucher von „Bottom up. Bauen für eine bessere Welt“ auf sich selbst gestellt. Gezeigt werden neun Projekte aus der Region von Johannesburg, an denen „Sarch“ von Beginn an als Zugpferd und Initiator miteingebunden war. Den Rahmen der Ausstellung bildet ein stilisierter Wintergarten in vornehmem Weiß, sozusagen ein Raum im Raum. „Un jardin d'hiver“ - so der Untertitel der Ausstellung - ist eine Anspielung auf Marcel Broodthaers gleichnamiges Ausstellungsprojekt aus dem Jahre 1974 und steht für einen beliebten Aufenthaltsort der Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts. Porsch: „Der Wintergarten ist ein Hort exotischer Pflanzen und ein Fluchtpunkt in die Fremde. Nicht zuletzt steht er als Metapher für Einverleibung, Domestizierung und für eine große Sehnsucht nach Unmittelbarkeit.“

Um diesen luxuriös romantischen Ort namens Wintergarten ranken sich allerlei malerische und literarische Werke. Auch die Kritische Theorie der Frankfurter Schule blieb nicht unbeeindruckt vom kleinen Urwaldimplantat an der Fassade der eigenen vier Wände. In der „Dialektik der Aufklärung“ schreiben Theodor W. Adorno und Max Horkheimer über die fetischisierenden Symbole, denen der Wintergarten ohne Zweifel angehört, wie folgt: „Die Wiederholung der Natur, die sie bedeuten, erweist im Fortgang stets sich als die von ihnen repräsentierte Permanenz des gesellschaftlichen Zwangs. Der zum festen Bild vergegenständlichte Schauder wird zum Zeichen der verfestigten Herrschaft von Privilegierten.“

Was bleibt, ist ein Häufchen Ratlosigkeit mit großen Sympathien für beide Lager. In der Brust pochen zwei Herzen: Das eine schlägt für die Architektur-Safari mit Spaß an der Arbeit und gegenseitigem Lehren und Lernen, das andere schreckt vor einer um sich greifenden Kulturglobalisierung zurück. „Ich habe die Verhältnisse in Südafrika nie erlebt. Doch selbst wenn ich einen Monat vor Ort wäre, würde ich die Verhältnisse noch immer nicht verstehen“, sagt Johannes Porsch, „daher ziehe ich mich in eine elitäre Hochburg zurück - eben in den sprichwörtlichen Wintergarten.“ Auch das ist legitim. Das Publikum ist nun eingeladen, sich anhand der Südafrika-Exponate im Architekturzentrum Wien selbst ein Bild zu machen.

[ Die Ausstellung „Un jardin d'hiver präsentiert: Bottom up. Bauen für eine bessere Welt“ wird am Mittwoch, dem 15. November, um 19 Uhr eröffnet. Zu sehen bis 5. Februar 2007. Architekturzentrum Wien, Museumsplatz 1, 1070 Wien

Vom 17. bis 19. November findet im Architekturzentrum Wien der 14. Wiener Architektur-Kongress statt. Auch dieser widmet sich dem „Bauen für eine bessere Welt“. Vorträge von Bart Lootsma, Johannes Porsch, Christoph Chorherr, Steve Badanes, Andrea Rieger-Jandl, Peter Burk u. v. m. Vorgestellt werden u. a. die einzelnen Sarch-Projekte. ]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: