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Die Sprache der Religion
Der Standard

Welche Häuser hat die Religion in letzter Zeit gebaut? Und gibt es überhaupt ein Miteinander? Ein Überblick über Kirche, Synagoge und Moschee.

23. Dezember 2006 - Wojciech Czaja
Es klingelt das Telefon in Columbus, Ohio. „Bonjour, who is speaking?“ Die knisternde Stimme gehört einem älteren Mann namens José Oubrerie. Der 73-jährige Franzose, der seit nunmehr 20 Jahren in den USA lebt, hat einen besonderen Trumpf im Ärmel: Er ist einer der letzten heute noch lebenden Mitarbeiter von Le Corbusier. Aus besonderem Anlass möchte sich der Standard mit Monsieur Oubrerie über Architektur, über Kirchen, über die Église Saint-Pierre im Speziellen unterhalten. „Ich spreche nicht mit der Presse, au revoir, bye-bye.“ Monsieur Oubrerie hat aufgelegt.

Die Vorgeschichte: In den Jahren 1961 bis 1965 arbeitete Le Corbusier im französischen Firminy, einem Städtchen mit 26.000 Einwohnern, nicht weit von Lyon. Er bastelte an seiner Vision einer grünen Stadt - und realisierte unter anderem eine Unité d'Habitation und ein Kulturhaus. Am leidenschaftlichsten jedoch verfolgte er die Pläne für die Kirche Saint-Pierre. Für Corbusier selbst blieb der Betonbau nur eine Skizze im Kopf. Denn bevor das Projekt so weit war, dass man mit dem Bau hätte beginnen können, ertrank der Architekt am 27. August 1965 im Mittelmeer.

Jetzt kommt José Oubrerie ins Spiel. Schließlich ist es seinem Engagement zu verdanken, dass das Projekt nach Corbusiers Tod doch noch gebaut wurde. Immer wieder war die Finanzierung gefährdet, 1978 musste der Bau wieder eingestellt werden. Auf Corbusiers Traum machten sich Pflanzen und Tierchen breit. Über ein Vierteljahrhundert waren die kargen Stahlbetonmauern Wind und Wetter ausgesetzt, bis Oubreries permanente Bemühungen endlich zu greifen begannen und man eine finanziell und juristisch tragbare Lösung fand.

Mit Mitteln der Kommune und der EU wurden die Arbeiten 2003 ein letztes Mal in Angriff genommen, vor vier Wochen wurde das Gebäude seiner endgültigen Bestimmung übergeben. Da Frankreich aufgrund seiner strikten Trennung von Kirche und Staat keine Sakralräume errichten darf, musste der Bau kurzerhand umgewidmet werden. Er dient nun offiziell als Museum für Moderne Kunst, inoffiziell als Architekturmekka, nur gelegentlich mietet sich die Kirche ein.

In der Tat ist die monolithische Betonstruktur weniger ein Gotteshaus denn ein Denkmal für den großen Corbusier. Wofür der unverwechselbar bebrillte Erfinder des Modulors stand, das scheint in diesem Gebäude vereint. Über eine betonierte Brücke erreicht man das eigentliche Gebäude, das sich wie ein Kraftwerk in die Höhe stemmt. Von Prismen und Kanälen ist der abgerundete Pyramidenstumpf durchbrochen - sie bringen Licht in den Raum, Licht in seinen buntesten Facetten. „Mit jedem Schritt fangen Sie einen neuen Blick ein“, erklärt Yvan Mettaud, Stadtkonservator von Firminy-Vert, „anhand von Corbusiers Plänen haben wir uns vor allem bemüht, einen starken Kontrast zwischen der lichtdurchfluteten Basis und der dunklen Schale darüber herzustellen.“ Die Baukosten für die mysteriöse Höhle belaufen sich auf 7,6 Millionen Euro.

Für den großen Corbusier hatte José Oubrerie in den Sechzigerjahren sogar sein Architekturstudium hingeschmissen. Der Bau der Église Saint-Pierre in Firminy-Vert sollte sich als eine letzte Prüfung erweisen. Noch einmal traut man sich nach Ohio durchzuwählen. Bonjour. Mit besänftigenden Worten gelingt es dem Journalismus, die Architektur lieblich zu umgarnen. Monsieur Oubrerie fasst sich kurz. „Mit diesem Bauwerk habe ich meine Ausbildung beendet, vielleicht bekomme ich jetzt ja einen Abschluss.“

Ein Gebetshaus, das ebenfalls erst vor wenigen Wochen fertig gestellt wurde, ist die neue Hauptsynagoge in München. Nach Jahren der Unscheinbarkeit in einer gesichtslosen Seitengasse kehrte die Israelitische Kultusgemeinde endlich wieder in die Stadtmitte zurück. Das Planungsreferat entschied sich für den Jakobsplatz, dessen urbane Leere schon ganzen Generationen von Stadtplanern und Architekten im Magen gelegen hatte. „Wer ein Haus baut, hat eine Heimat gefunden“, sagte Charlotte Knobloch, Präsidentin der Kultusgemeinde München und Oberbayern anlässlich der Eröffnung Anfang November. Immerhin geht es hier um die Heimat von insgesamt 9300 jüdischen Mitgliedern - die zweitgrößte Gemeinde Deutschlands.

Der von den Architekten Wandel Hoefer Lorch konzipierte Bau ist Teil eines Kulturzentrums, das aus insgesamt drei Gebäuden besteht (Gesamtbaukosten 57 Millionen Euro). Der erste Eindruck ist ein wenig abweisend. Es bedarf nicht viel Fantasie um nachvollziehen zu können, dass es sich um einen der größten Synagogen-Neubauten Europas handelt. Ein Sockel aus grob behauenem Travertin stülpt sich - gleichsam einer Bastion - um den eigentlichen Gebetsraum. Hier soll man sich an die Klagemauer in Jerusalem erinnert fühlen. Erst im oberen Teil des Gebäudes getraut man sich, mit Glas zu arbeiten und den Raum mit Tageslicht zu füllen. Die Architekten: „Während der Sockel symbolisch für das Dauerhafte steht, wird die mehrschichtige, von einem Bronzegewebe umhüllte Laterne im Licht aufgelöst.“

Hat man erst einmal den Gebetsraum betreten, vermischen sich Zedernholz, Bronze und Glas zu einer gediegenen Stimmung. Erst auf den zweiten Blick hat es die Architektur geschafft, ihre wahre Schönheit zu entfalten. Warum auch nicht, Unaufdringlichkeit ist eine schöne Tugend. Doch die Gegenwart von tonnenschweren Bronzetüren und bombensicheren Glaswänden, die sich als monströse Sicherheitsmaßnahmen in den rituellen Alltag quetschen, lässt sich nicht von der Hand weisen.

„Keine Kriege werden zugleich so ehrlos und unmenschlich geführt als die, welche Religionsfanatismus und Parteihass im Inneren eines Staates entzünden“, hatte Friedrich Schiller einst gesagt. Dies zu entkräften, vermag auch die Architektur nicht. Ganz im Gegenteil, sie wird zum wörtlichen Schutzpanzer. Bei der Grundsteinlegung im November 2003 hatte man gerade noch einen Anschlag der Neonazis vereiteln können. Abi Pitum, Vorstandsmitglied der Kultusgemeinde, sieht der Realität ins Auge: „Normal wird jüdisches Leben in Deutschland erst dann sein, wenn zur Eröffnung eines Gotteshauses mit 500 Plätzen kein Bundespräsident mehr kommen muss.“

Weit weniger glanzvoll als um die christliche und jüdische Architektur ist es in Europa um die muslimische bestellt. Die atemberaubende Moschee sucht man vergeblich. Zaha Hadid hatte sich im Jahr 2000 für einen internationalen Wettbewerb ihre Vorstellung einer Großen Moschee für Straßburg von der Hand skizziert. Die klassische Formensprache ist zur Gänze einer Dachlandschaft aus betonierten Wellen gewichen. Einen gänzlich anderen Weg hatte ihr Kontrahent und nunmehrige Gewinner Paolo Portoghesi eingeschlagen. Der italienische Architekt entschied sich für eine postmoderne Orgie aus Kuppeln und Türmchen. Doch auch davon ist bis heute nichts zu sehen. Der symbolische Grundstein wurde zwar schon 2004 gelegt, doch erst vor zwei Monaten - kurz bevor die Baubewilligung ihre Gültigkeit verloren hätte - rollte der erste Bagger heran.

Von den kühnen Träumen einer zeitgenössischen Moschee ist der deutschsprachige Raum noch weit entfernt. Als im tirolerischen Telfs die Pläne für ein 20 Meter hohes Minarett öffentlich gemacht wurden, verfiel ein Viertel der österreichischen Bevölkerung in Panik und startete eine Bürgerinitiative gegen den muslimischen Gebetsturm. Der Kompromiss zwischen Bevölkerung und dem türkisch-islamischen Verein Atib: Der Turm wurde auf mickrige 15 Meter zusammengestutzt.

Währenddessen sprechen sich in der Schweiz einige Politiker bereits für ein generelles Bauverbot für Minarette aus. „Ein Minarett dient bloß dem Zweck, Präsenz zu markieren, und ist ein Eroberungssymbol, das viele Andersgläubige als Provokation empfinden“, heißt es in einer parlamentarischen Initiative im Kanton Tessin.

Vor exakt 500 Jahren wurde in Rom der Grundstein für den Petersdom gelegt. Besinnliches Fest 2006.

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