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In den Sand gesetzt
Der Standard

Dubai ist die größte Baustelle der Welt. Eifrig baut das wohlhabende Emirat an seiner Zukunft - und an einem recht zwiespältigen Image.

6. Januar 2007 - Wojciech Czaja
Etwa 120.000 Baukrane sind über die ganze Erde verstreut, Tag für Tag stemmen sie ein weiteres Stück Architektur in den Himmel. Allein ein Viertel aller weltweit existierenden Krane steht in Dubai. Für die einen ist die Metropole am Persischen Golf ein Dorado, für die anderen ist es ein Trip in die Hölle. „Die Leute wissen zwar, dass hier in Dubai viel gebaut wird“, erzählt Sibylle Mueller, Pressesprecherin des Nobelhotels Grosvenor House, „aber wenn sie dann die wahren Ausmaße sehen, sind sie regelrecht geschockt.“

Meeresrauschen sucht man in Dubai vergeblich, stattdessen kann man der Stadt, die mittlerweile über 50 Kilometer Küstenlinie in baulichen Anspruch genommen hat, täglich beim Wachsen zusehen. Nirgendwo sonst auf der Welt wird der Aspekt des Unmöglichen so eifrig bekämpft wie in den Arabischen Emiraten. Um für die Zeit nach dem letzten Tropfen Öl vorzubauen, setzt man auf die Tourismuskarte - und keilt die Sensationsurlauber, die den Wohlstand des Emirats nachhaltig stärken sollen, mit Gigantomanie und Superlative.

Bekannt ist Dubai vor allem für seine palmenförmigen Landgewinnungsprojekte, die dem Meer unter immenser Anstrengung luxuriösen Bauplatz abringen. Die Palm Jumeirah ist mittlerweile vollständig aufgeschüttet und größtenteils bebaut, das Nachfolgeprojekt Palm Jebel-Ali befindet sich derzeit in Bau, und von der Palm Deira (Fertigstellung in zehn Jahren) weiß man bereits, dass sie die ersten beiden Projekte an Größe und Attraktion haushoch überbieten wird. Man spricht davon, dass die letzte der drei Palmen die Ausmaße von San Franciscos Stadtzentrum erreichen wird.

Hatte man auf der Palm Jumeirah einst noch von luxuriös dimensionierten Grundstücken geträumt, musste man - als Folge der regen Nachfrage - die ursprünglich geplante Großzügigkeit etwas straffer fassen. Das gesamte Projekt wurde dichter bebaut, die Bevölkerung von Dubai ließ sich dennoch nicht vergrämen: Nach Auskunft des Projektentwicklers Nakheel war die Insel innerhalb von 72 Stunden vollständig verkauft. In Kürze werden 60.000 Einwohner ihre Wüste verlassen und ihr artifizielles Idyll zwischen den Meereswogen beziehen. Weitere 60.000 Touristen werden folgen - beispielsweise ins Hotel Atlantis, das mit 2000 Zimmern die größte Herberge auf der Palmeninsel sein wird (Baukosten 1,1 Milliarden Euro, Eröffnung Dezember 2008).

„Creating the 8th Wonder of the World“, heißt es auf einem Werbeplakat über die Palm Jumeirah. Auf Anfrage des Standard bestätigt Maria Abdel-Rahman, Marketing-Managerin bei Nakheel, die nicht gerade kleinliche Metapher des Baukonzerns: „Die erste der drei Palmen ist einer der wichtigsten Immobilienstandorte der Welt. Die anderen beiden Palmen werden dann einfach die Rolle des neunten und zehnten Weltwunders einnehmen.“ Aufgeschüttet wurden Stamm und Palmenwedel per Sandkanone von einem Frachtschiff aus, umgeben wird die Palme von einem Wellenbrecher aus Stein, der Wellen bis zu vier Meter Höhe aufhalten soll.

In Ergänzung zu den drei Palmen wird etwas weiter draußen im Meer „The World“ aufgeschüttet. Statt Kommerz und Konsum werden die 300 Inseln, die in Summe ein fragmentiertes Abbild der Erde ergeben, einzig und allein dem vornehmen und abgeschiedenen Wohnen dienen. Verkauft werden in diesem Falle nur die Inseln, die Bebauung erfolgt - unter strengsten gestalterischen Vorgaben - im Alleingang. Die billigsten Inseln innerhalb der Konturen Afrikas beispielsweise sind für knapp 10 Millionen Euro zu haben, für das heiß begehrte Europa, Amerika und Australien muss man bis zu 40 Millionen Euro hinblättern. 30 Prozent der Inseln sind verkauft.

Doch auch Dubai hat verstanden, dass sich mit Sand im Meer - wie schön auch immer seine Konturen ausfallen mögen - keine wirklich reißerischen Aushängeschilder für ein ganzes Emirat erschaffen lassen. Als Parameter beim Mitmischen unter den absoluten Hotspots der Welt hat sich im internationalen Hochhauskampf die Angabe von Höhenmetern etabliert. Die beiden größten Baufirmen Dubais - Nakheel und Emaar - geben sich ein einsames Stelldichein in den höchsten Gefilden. Zu einem spannenden Wettbewerb gehört, dass noch keiner der beiden Mitstreiter die tatsächliche Höhe und Stockwerksanzahl publik gemacht hat. Fürs Erste lassen sich diese Größen nur erahnen. Das Konzept für den Al Burj, den größten Stolz Nakheels, hält mit etwa 180 Stockwerken die Stellung, Emaars Schöpfung soll es - nach derzeitiger Information - ebenfalls auf 180 Stockwerke bringen (Baukosten 760 Millionen Euro). Letztere ist bereits in Bau, Fertigstellung 2009. Auch Giorgio Armani mischt im Zukunftsspiel ein wenig mit: Einen Teil des Burj Dubai wird sein Luxus-Etablissement namens Armani-Hotel für sich beanspruchen.

Skidmore, Owings & Merrill (SOM), die Gestalter des 800-Meter-Riesen: „Das Design des Burj Dubai leitet sich von der Geometrie der Wüstenblume ab, es vereint historische und kulturelle Aspekte mit der Technologie eines High-Performance-Buildings.“ Selbstredend, dass die Fundamente und die Tragstruktur des Burj Dubai für den absoluten Ernstfall ausgelegt sind. Sollte der Erzkonkurrent Nakheel mit seinem Nachfolge-Wolkenkratzer tatsächlich zu einem Meter-Duell herausfordern, lässt sich der Burj Dubai notfalls noch aufstocken. Und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, denn Nakheel meint es bitterernst: „Und wenn wir uns da persönlich raufstellen und den Antennenmast in den Himmel halten müssen - wir werden das höchste Gebäude der Welt sein!“

Der Himmel wird erobert, im Meer wird Bauland geschaffen, in der Wüste werden Flüsse und Seen gegraben. Umweltverträglichkeits-Prüfungen sind dabei ein Fremdwort. Die Luft im Premium-Segment der Architektur ist dünn. Nur allzu leicht lässt sich der Mensch von der Superlative blenden. Schon heute verbraucht Dubai mit 510 Litern Wasser pro Kopf und Tag rund doppelt so viel wie ein westliches, mitteleuropäisches Land. Mit steigenden Flächen und wachsenden Häusern wird dieser Wert kontinuierlich zunehmen. Fernab der touristischen Ströme werden täglich 750 Millionen Liter Salzwasser in die entlegendsten Ecken der Wüste gepumpt, um dort in riesigen Entsalzungsanlagen zu Süßwasser verwandelt und danach wieder nach Dubai zurückgepumpt zu werden.

Kein Gebäude kommt im heißen Wüstenstaat ohne Klimaanlage aus, und dennoch hat es die Architektur verabsäumt, ihre Gebäude in Wärmedämmung einzupacken. Burgen, die lediglich aus Stahl, Glas und Beton bestehen, schlagen sich im Betrieb ordentlich zu Buche. Madan Kulkarni, Haustechnik-Leiter im kulissenhaft anmutenden Hotel Ritz Carlton erklärt: „Das Design der Gebäude zählt in Dubai mehr als jeder Energieaspekt.“ Das sei bei Hotels nicht anders als bei allen anderen Bauwerken auch.

Selbst wenn Dubais Reichtum schon bald auf dem Tourismus statt auf der Erdölgewinnung aufbauen wird, sind die fossilen Rohstoffe nach wie vor die wichtigste Nahrung arabischer Visionen. Strom wird aus Erdgas gewonnen, die Kraft aus der Sonne und die starken Winde über dem Meer und in der Wüste bleiben ungenützt. Allein die Parkuhren auf den Pkw-Parkplätzen werden mit Sonnenenergie gespeist - und darauf ist man stolz.

Mit der Zeit könnte Abhilfe geschaffen werden, denn Dubai ist wahrscheinlich der letzte Ort auf Erden, der für immer und ewig hinbetoniert ist. „Unsere Hochhäuser sind für eine Lebensdauer von zwanzig Jahren konzipiert“, erklärt der Feuer- und Sicherheitsingenieur Lester De Souza, „wenn sie ausgedient haben, werden sie einfach ersetzt.“ Unter der Regierung von Scheich Mohammed bin Rashid al-Maktoum, dem unbeirrbaren Zukunftsbastler und Machthaber von Dubai, gibt es sogar ein Dekret, das Sanierungen und Renovierungen jeglicher Art ausdrücklich untersagt. Die umstrittene Alternative in der Hochburg des Mittleren Ostens lautet daher Abbruch und Neubau.

Gibt es eine ethische Grenze für die Machbarkeit allen menschlichen Denkens? Maria Abdel-Rahman von Nakheel gibt eine unmissverständliche Antwort: „Der Scheich hat bestimmte Visionen, und diese Visionen setzen wir um.“ 30.000 Baukrane stehen derzeit in Dubai herum. Sie bauen an einer Zukunft, die keine Zukunft hat.

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