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Der Berg ruft
Der Standard

Nicht nur in der Stadt gilt Architektur als wesentlicher Bestandteil eines guten und frischen Marketings. Auch in luftiger Höh' hat man die Macht der Architektur erkannt - und weiß sie gut zu nutzen

13. Januar 2007 - Wojciech Czaja
Die hohen Gipfel liegen voll im Trend, die mittelmäßige Berglandschaft jedoch ist tot. Das ist das vernichtende Urteil eines städtebaulichen Porträts der Schweiz, das vom ETH-Studio Basel in Auftrag gegeben wurde. Marcel Meili, Jacques Herzog, Pierre de Meuron und Roger Diener, die famosen Autoren der kürzlich erschienenen Studie, sagen allem Land, das nicht Großstadt ist, eine trübe Zukunft voraus. Zwar erklären sie den hochalpinen Raum zum touristischen Hotspot, nicht aber die anderen Berg- und Voralpenregionen - und diese sind in der großen Überzahl. Lieblos werden sie zu „stillen Zonen“ deklariert, ja sogar von „Brachland“ ist die Rede.

Angesichts eines Winters, der nicht kommen mag, stellt sich unweigerlich die Frage, ob die Schlussfolgerung der Schweizer Studie nicht auch mit den vernichtenden Prognosen der Meteorologen zusammenhängt. Im Alpenraum ist die Rede von bis zu 4,5 Grad Celsius Temperaturanstieg bis zum Jahr 2100. So mancher Schnee wechselt dabei seinen Aggregatzustand, in den niederen Regionen ist es ums Skifahren somit geschehen. Da wird es Österreich nicht anders ergehen als der Schweiz. Doch bevor der teure Wintersport endgültig den Bach runtergeht, greifen die Investoren noch einmal tief in die Tasche und holen aus der Ressource Berg heraus, was zu retten ist.

Gleich eine Hand voll neuer Liftstationen wurde in der vergangenen Saison eröffnet oder deren Entwürfe von berühmten Händen in den Block skizziert. Prominentestes Beispiel ist die Hungerburgbahn von Zaha Hadid, womit Innsbruck - nach der Sprungschanze auf dem Bergisel und dem Rathaus von Dominique Perrault - ein weiteres Mal auf die Karte der Stararchitektur setzt. Die teilweise unterirdische Standseilbahn beginnt mit der Haltestelle „Kongress- und Konzerthaus“ direkt im Stadtzentrum und endet nach vier Stationen bei der Hungerburg. Mit diesem Novum erhält Innsbruck eine Art U-Bahn ins hoch gelegene Naherholungsgebiet. Kostenpunkt für die Hungerburgbahn inklusive der anschließenden Nordkettenbahnen: 50,6 Millionen Euro, die Eröffnung ist im Herbst 2007 geplant.

Das Konzept der neuen Architektenbahn lautet „Schale und Schatten“. Die Stationen erscheinen in Hadid'scher Manier als glatte Skulpturen, die vom Zeitgeist poliert und glattgeschleckt wurden. Die Meisterin: „99 Prozent der Architektur auf der Welt werden nicht von Architekten bestimmt, sondern von Bauherren.“ Das meiste sei immer noch sehr konventionell und gehorche vor allem kommerziellen Erwägungen. Daher sei es wichtig, möglichst vieles von dem, was als theoretische Konzeption gilt, in den architektonischen Mainstream überzuführen.

Hadid zeichnete sich ihre Ideen vom Leibe; Sichtbeton und Glas sollten es sein. Die „schillernde Ästhetik“ der Schalen nehme Bezug auf topografische Phänomene wie Gletscher-, Eis- oder Schneelandschaften. Doch die eigentliche Arbeit hatte der vor Ort ansässige Planer und Projektmanager Georg Malojer: „Der planerische Aufwand war enorm, das Glas hat uns bisweilen große Sorgen bereitet. Es gibt keine Wand ohne Verformung.“ Die Tiroler Unternehmen seien mit solchen Aufgaben nicht vertraut gewesen. Schließlich wurde das Glas in China produziert.

Ähnlich expressiv zeigt sich die neue Talstation der Galzigbahn in St. Anton am Arlberg. Wie ein wildes Reptil lauert das Gebäude von driendl* architects an der Straße und spuckt nacheinander dunkelblaue Gondeln aus. Das Glas enthüllt das technische Innenleben und lässt den Fahrgast schon von außen das Schauspiel der Bergfahrt erahnen. Statt der sonst üblichen Umlenkung in der Horizontalen holt das Rad in diesem Falle die Gondelkabinen nach unten (Seilbahntechnologie Doppelmayr). Nicht zuletzt ermöglicht dies einen ebenerdigen Zugang. Architekt Georg Driendl: „Uns war wichtig, die zukunftsorientierte Beförderungstechnik und den spektakulären Bewegungsablauf sichtbar in den Mittelpunkt zu stellen.“ Die Baukosten für die gesamte Liftanlage belaufen sich auf 22 Millionen Euro, die Talstation selbst schlug mit vier Millionen Euro zu Buche.

Ähnliches vernimmt man aus Schladming. Um die beiden Skigebiete Planai und Hochwurzen miteinander zu verbinden, wurden Hofritter-Richter Architekten zu einem Entwurf für eine Talstation geladen, in der gleich zwei Lifte entspringen. Sie fassten die beiden Gebäude mit einem riesigen, geschwungenen Paravent aus Glas zusammen. Mit der Großform soll einer späteren Verhüttelung durch Standln und Geschäfte vorgebeugt werden. Dennoch weiß auch Gernot Ritter über den Alltag alpinen Bauens Bescheid: „Gerade im Tourismus, wo es dauernd um trendige, poppige, auch oberflächliche Dinge geht, ist es absurd zu sagen, dass alles vom Architekten geplant werden muss.“

Albert Baier, Chef der Planai-Hochwurzen-Bahnen verspricht sich vom neuen Gebäude vor allem „mehr Emotion“ - und natürlich eine dementsprechende Umsatzsteigerung. Nicht von ungefähr hört die Gondelbahn auf den Namen „Golden Jet“. Der benachbarte Konkurrent hatte seine erst kürzlich eröffnete Bahn „Silver Jet“ genannt. Doch Kleinkrieg und Konkurrenz hin oder her - auch in Schladming bringen die Architekten den unwiderruflichen Beweis, dass die Architektur mitunter der kleinste Anteil am fetten Baugeschehen ist. Die Kosten der gesamte Anlage beliefen sich auf 11 Millionen Euro, die der Talstation selbst auf 1,8 Millionen Euro. Sehr viel billiger wäre das Traditionsmodell Lederhose auch nicht gewesen.

Die steilen Hänge sind erklommen, auf geht's zum Jagatee mit Stil. Schon einmal hinterließ der Münchner Architekt Peter Schuck seine Handschrift im tirolerischen Nobelsportort Sölden. Nicht weit davon entfernt wurde er nun nach Hochgurgl zu einer Bauaufgabe in großer Höh' eingeladen. Es galt, die Ötztaler Alpen dem rundum schweifenden Blick zu erschließen. Auf 3000 Meter Höhe wird der schroffe Grat vom so genannten Top Mountain Star gekrönt. „Eine solche Aufgabe zu bekommen, ist wie ein Sechser im Lotto“, erklärt Schuck in ausladenden Gesten, „viele Skifahrer sehen den Berg nur noch als Höhendifferenz, um hinunterwedeln zu können. Dabei ist das Potenzial der Berge enorm.“

An die Stelle einer abbruchreifen Schutzhütte stellte Schuck eine rundum verglaste Hightech-Torte hin, die einen 360-gradigen Ausblick auf die schneebedeckten Gipfel ermöglicht: Im Norden sieht man nach Österreich, im Süden reicht der Blick nach Italien bis hin zu den Dolomiten. Die Fassade kann aufgeschoben werden, bei Schönwetter kann man draußen sitzen und sich mit seiner Stärkung ans Geländer lehnen. Starke Nerven sind Voraussetzung angesichts von Glas und Gitterrost.

Der Top Mountain Star hat den Marketing-Beinamen „Diamant in den Alpen“ verpasst bekommen. So unbeholfen der Titel scheint, so pragmatisch ist seine Begründung: Die Glasbrüstung wurde mit tausenden Swarovski-Steinchen ausgeschmückt, auf dass sie in der eisigen Wintersonne kräftig funkeln mögen. Peter Schuck kann nach eigener Auskunft mit Werbung durchaus leben: „Swarovski verwendet zu haben, bedeutet 100 Prozent Marketing und null Prozent Architektur. Das traue ich mich ehrlich zu sagen.“

Was sagen die Schweizer? Um eine Profitmaximierung zu erzielen, müsse man die schwächeren Regionen mit gezielten, architektonischen Interventionen zu so genannten „unique selling propositions“ (UPS) aufpäppeln.

Dezember 2006. Top Mountain Star wird feierlich eröffnet. Journalisten aus ganz Europa sind mit dabei, auch der deutsche Privatsender Sat.1 ist eigens angeflogen. Es wird ein Film gedreht, es wird viel fotografiert. Einmal vom Hubschrauber aus, dann live vor Ort. Der Architekt steht vor der Kamera. Er erklärt das Gebäude: „Wenn man hier schon baut, dann muss das Bauwerk aus dem Augenwinkel glitzern.“ Am Ende bekommt jeder ein Swarovski-Steinchen geschenkt. Das ist weder eine „stille Zone“, noch unhübsches „Brachland“. Das ist die neue Sprache der rufenden Berge.

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