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Einstürzende Urheberrechte
Der Standard

Architekten sind Meister des Entwerfens, des Verhandelns und des Bauens. Neuerdings gelten sie auch noch als Profis im Reich der Rechte und Gesetze. Was darf die Architektur? Und vor allem: Was darf der Architekt? Ein Gespräch mit Thomas Höhne und Georg Pendl.

23. Februar 2007 - Wojciech Czaja
Welches Dach braucht die Architektur? Für den Lehrter Bahnhof in Berlin sah Architekt Meinhard von Gerkan ein pompöses Tonnengewölbe vor. Die Deckenelemente waren bereits vorproduziert, da beschloss Bahnchef Harmut Mehdorn, die Pläne des Architekten einfach zu durchkreuzen und eine Flachdecke einzuziehen. „Das sieht ja aus wie eine Aldi-Decke“, alterierte sich von Gerkan in Interviews, fühlte sich auf den Schlips getreten, klagte die Bahn - und gewann.

Manchmal scheint es, als sei Architektur eine Berufssparte der ewig Getretenen. Mit dem medienstarken Vorfall in Deutschland wurde das Gegenteil bewiesen. Doch wie sieht es in Österreich aus? Der auf Urheberrecht spezialisierte Rechtsanwalt Thomas Höhne hat eben einen maßgeschneiderten Ratgeber herausgegeben. Unter dem trocken pragmatischen Titel Architektur und Urheberrecht widmet er sich den Untiefen des architektonischen Dürfens und Müssens und bringt ein bisschen Licht in das ewige Kräftemessen um das so genannte geistige Eigentum oder - Neudeutsch - um das Copyright.

Thomas Höhne und Georg Pendl, Präsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten, gehen im Gespräch mit dem Standard der Frage nach, ob es in Österreich eine ausgeprägte Streitkultur gibt und welchen Beitrag Kammer und Architektenschaft leisten können.

Standard: Das Verhältnis von Architektur und Urheberrecht ist mit dem Lehrter Bahnhof und dem Sieg von Meinhard von Gerkan so richtig zum Thema geworden. Wie aussichtsreich bzw. wie riskant war sein Schritt, gegen die Deutsche Bahn zu prozessieren?

Thomas Höhne: Theoretisch war seine Entscheidung zu klagen sehr aussichtsreich, praktisch jedoch hoch riskant. Im Unterschied zur österreichischen Gesetzeslage, wo der Bauherr in die Ausführung der Planung nach Belieben reinpfuschen kann, hat nach deutscher Rechtslage der Planer eines Bauwerks dieselben Rechte wie jeder andere Urheber auch. Wenn ein Bauwerk gegen seinen Willen bearbeitet wird, kann er sich also dagegen wehren. Praktisch endet die deutsche Rechtsprechung in solchen Fällen aber immer in einer Interessensabwägung. In aller Regel geht dann der Architekt, obwohl er theoretisch Recht hatte, leer aus. Besonders spektakulär ist das Roland Rainer mit seiner Bremer Stadthalle passiert. In den Neunzigerjahren wurde die Stadthalle aufgestockt, Rainer hat geklagt - erfolglos.

Standard: Das heißt, vergleichbare Präzedenzfälle zum Lehrter Bahnhof gibt es in Österreich gar nicht?

Georg Pendl: Um es vorwegzunehmen: Ich als Architekt bin nicht daran interessiert, Denkmäler zu bauen. Das ist meine Kernaussage zu diesem Thema. Aus meiner Sicht ist der primäre Sinn des Urheberrechts nicht die Erhaltung von Bauwerken auf Jahrzehnte und Jahrhunderte hinaus, sondern der Schutz vor Ideendiebstahl. Der Urheberschutz soll nicht zu einem Glassturz führen. Schließlich darf man nicht vergessen, dass ein Architekt seinen Entwurf weiterverkauft. Sobald das Projekt abgegolten ist, darf der Bauherr meiner Meinung< nach damit machen, was er will. Dass das einigen Architekten gegen den Strich geht, ist klar.

Höhne: In Österreich darf der Bauherr mit einem Gebäude machen, was er will: verändern, verkommen lassen, vernichten - alles erlaubt. Damit ist die Architektur die funktionalste und zweckbestimmteste aller Künste.

Standard: Was kann man gegen Vernichtung unternehmen?

Höhne: In Wirklichkeit ist Denkmalschutz in Österreich der viel effizientere Weg, ein Bauwerk zu schützen. Doch beim Denkmalschutz ist Behutsamkeit von allen Seiten gefordert. Manchmal wird der Denkmalschutz beinahe schon inflationär über Gebäude drübergestülpt. Wenn der Denkmalschutz sich dorthin entwickelt, dass sich jeder hütet, ein Denkmal zu besitzen, weil mit dieser Zwangsbeglückung für den Bauherren nur Schwierigkeiten und strenge Auflagen einhergehen, dann ist das ja kontraproduktiv!

Pendl: Das Bild des Malers hat den Vorteil, dass es mit Samthandschuhen angefasst wird, hat jedoch den Nachteil, dass es in irgendeinem Lager im Museum eingesperrt ist. Das Haus des Architekten steht mitten im Weg und ist präsent, hat aber den - so empfundenen - Nachteil, dass es benützt wird. Unterm Strich: Das Haus muss leben. Und wenn es nicht lebt, dann ist es eine Mumie.

Standard: Welche Auflagen muss ein Bauwerk erfüllen, damit ein Architekt den Urheberrechtsschutz anwenden kann?

Höhne: Die primäre Frage lautet: Ist es ein Werk im Sinne des Urheberrechts oder nicht? Denn der Aufhänger für die Anwendung des Urheberrechts ist das so genannte Werk. Ein Werk ist eine eigentümliche, geistige Schöpfung. Und das führt uns zur nächsten Frage: Wann ist ein Entwurf oder ein Bauwerk eigentümlich genug? Wenn sich der Planer einfach nur aus dem herkömmlichen Formenschatz bedient, ohne dabei Individualität in den Entwurf einfließen zu lassen, dann ist dies kein Werk. Es muss persönlich sein, es muss individuell sein. Oder es muss möglich sein, die Handschrift des Schöpfers zu erkennen.

Standard: Angenommen, jemand bemächtigt sich nun eines Entwurfes oder einer Idee - welche Leistung kann sich ein betroffener Architekt dabei von der Architektenkammer erwarten?

Pendl: Wenn solche Fälle passieren, dann gibt es seitens der Kammer natürlich Rechtsbeistand. Das ist eine der heiligen Aufgaben der Berufsvertretung. Aber ich muss gestehen, dass dies im Laufe meiner Kammerfunktion, also in einem Zeitraum von acht Jahren, erst ein einziges Mal der Fall war.

Höhne: Das ist eine zivilrechtliche Angelegenheit. Man geht mit Unterlassungsklage vor. Allerdings ist eine Unterlassungsklage nur dann möglich, solange das Haus nicht steht. Sobald es steht, gibt es für den betroffenen Architekten nur noch Geld.

Standard: Warum wird der Diebstahl geistigen Eigentums so selten eingeklagt?

Pendl: Schärfen kann man eine Verletzung des Urheberrechtsschutzes nur an einem konkreten Fall. Wenn keine Klagen seitens der Architekten zu verzeichnen sind, dann gibt es in der Praxis auch keine Diskussion um das Urheberrecht. In diesem Punkt kann ich all meine Kollegen nur dazu ermutigen, etwas wehrhafter zu sein. Viele regen sich intern auf - und schlucken die ganze Angelegenheit dann einfach.

Höhne: Man weiß ja, dass es der Architektenzunft im Großen und Ganzen nicht besonders gut geht. Viele verkaufen sich unter ihrem Wert, schenken Entwürfe her, lassen sich gratis ausbeuten. Sich vor dem Hintergrund solcher Umstände gegen einen Bauherren zu wehren, kann sehr riskant sein. Wenn man sich aber für seine Rechte nicht einsetzt, dann verkommen sie.

Standard: Das heißt, man müsste das Problem an seiner Wurzel anpacken?

Pendl: Eines der schlimmsten Phänomene ist tatsächlich, dass sich manche Architekten unter ihrem Wert verkaufen - und auch unter dem Wert der gesamten Zunft! Das entzieht allen den Boden und in weiterer Folge dem Beruf seine Berechtigung. Ich habe in meiner ganzen Laufbahn kein einziges Mal einen Gratisentwurf angefertigt. Was hat man denn selbst noch für eine Wertigkeit als Architekt?

Höhne: In diesem Punkt kann man sich von den Fotografen ein Scheibchen abschneiden. Sie haben sich formiert und einen eigenen Rechtsschutzverband der Fotografen auf die Beine gestellt. Die Folge ist: Es gibt in Zeitungen und Zeitschriften kaum mehr ein abgedrucktes Foto ohne Hinweis auf den Fotografen. Und wie oft passiert es, dass Bauwerke publiziert werden, ohne dass der Urheber des Werks ersichtlich ist? Das ist ein schludriger Umgang und zeugt von einer gewissen Unkultur und Unsensibilität.

Standard: Dagegen könnte die Kammer ja vorgehen.

Pendl: Dagegen vorzugehen ist die Aufgabe jedes einzelnen Architekten, jedes Bauherrn und vor allem eine Aufgabe der Medien.

Standard: Und keine Aufgabe der Kammer?

Pendl: Ja, das wäre eine gute Idee. Ich denke, dass man in diesem Punkt nicht rechtlich vorgehen muss. Aber ich kann mir vorstellen, dass wir einiges bewegen können, wenn wir eine Zeit lang die Medien auf ihre Pflicht der Urhebernennung aufmerksam machen. Ich fürchte, dass wir da eine Ganztagskraft einstellen könnten.

Höhne: Wichtig ist, dass sich endlich Bewusstsein formiert. Der Architekt muss wissen, dass er Rechte hat. Er muss wissen, wann seine Rechte verletzt werden. Und er muss sich dessen im Klaren sein, dass er nicht nur sich selbst gegenüber eine Verantwortung hat, sondern auch gegenüber seinem Stand.

[ Thomas Höhne, „Architektur und Urheberrecht.“ € 38,- /204 Seiten. Manz Verlag, Wien 2007. ]

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