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Wer hat Angst vorm schiefen Winkel?
Der Standard

Mit überaus dynamisch gekanteten Gaupen durchbrach Architekt Heinz Lutter das Walmdach eines dreistöckigen Zinshauses. Der Geometrie sei Dank: Durch die Verdrehung des Grundrisses wurden dunkle Zwickel vermieden. Stattdessen geht's hinaus auf die Terrasse.

22. September 2007 - Isabella Marboe
„Das Dach ist die Krone eines Hauses: Hier gibt es Licht, Luft, Sonne und Ausblick“, sagt Architekt Heinz Lutter. Und dann fügt er hinzu: „Die spektakulärsten Filmszenen und Werbe-Shootings werden in Dachzonen gedreht, das spricht doch für sich!“ Schon einige Male frönte er dem Dachgeschoß: Sein hellblau lackierter Dachaufbau in Wien Alsergrund bewies Mut zum Experiment, für die conwert-Immobilien verhalf er einer Hietzinger Doppelvilla zur neuen Kopfbedeckung, und auch in Leopoldstadt und Meidling war er bereits über den Dächern der Stadt tätig.

Erneut trat der Bauträger conwert-Immobilien an Lutter heran, erneut handelt es sich um ein Hietzinger Objekt - diesmal aus dem Jahre 1929. Es wurde von Architekt Ernst Epstein (1881-1938) geplant, dem Wien die Bauleitung des Loos-Hauses am Michaelerplatz sowie einige schöne Zinshäuser, Büros und Cafés verdankt. Winkelförmig fasst das Gebäude einen kleinen Platz und distanziert sich so auf vornehme Weise von der viel befahrenen Lainzer Straße. Weltgewandt gleitet die Schauseite im Südosten den Platz entlang, um hinterm Eingang ums Eck zu knicken und tief zur Straße vorzustechen. Wie es einem Stadthaus mit Stil geziemt, hat es eine Sockelzone mit Geschäftslokalen und eine Rückseite, an der das Getriebe der Vorstadt verstummen und das entspannte Auge ins verwachsene Hintergartendickicht der Nachbarschaft tauchen kann.

Dach mit neuer Kontur

Nun wurde das Dach umgebaut. Die alte Form wurde respektvoll belassen. Um den drei Wohnungen jedoch möglichst viel Licht, Luft und Weitblick zu geben, treten nun klar ablesbare Baukörper aus Glas und Stahl aus dem Dach heraus. Menschen, die hoch oben im Himmel wohnen, lieben den weiten Horizont. An den aussichtsreichsten Ecken wurden daher ausufernde Terrassen angesiedelt. „Der Witz war, dass man hier möglichst nicht nach Süden schauen sollte“, erklärt Heinz Lutter, „das Haus steht frei und rundherum ist alles grün. Es war also wunderbar geeignet für Terrassen.“

Wo es die Statik erforderte, wurde die Holzkonstruktion mit Stahlträgern verstärkt. Bruchstückhaft durchdringen die dynamisch zugespitzten Raumformationen nun den grauen Eternitpanzer der Dachhülle und bringen Luft, Himmel und Aussicht ins Innere der Wohnungen.

Ein gläserner Liftturm führt auf das oberlichthelle Stiegenpodest im Süden. Von hier aus streben die Wohnungen in zügiger Dynamik den lichten Terrassenenden im Westen, Osten und Norden zu. Dramatisch ragen die Freiräume über die Gesimskanten. In einem Guss ziehen sich die Holzlatten vom Boden bis zur Brüstung hoch.

Innen verschneiden sich die mehrfach geknickten Nurglasfronten mit den geneigten Dachflächen und schaffen unverwechselbare, spannende Räume, die am Boden mit gebleichter Eiche verlegt sind.

Wie ein organisch geformter Ast entwächst der Wand plötzlich ein Kaminrohr. Man braucht sich nicht zu wundern - das ist das neue Selbstbewusstsein von Architektur. „Die schrägen Wände sind sehr skulptural, sie zeichnen die Wohnungen aus“, sagt Lutter. Hier werden gipskartonverkleidete Sparren zu Bestandteilen expressiver Raumlandschaften. Durch glasgeschlitzte Wände und Decken brechen dreieckige Fragmente des Himmels ein.

Auch vor den Bädern macht Lutter nicht Halt: Die schrägen Wände verwandeln die Sanitärräume, die in der Regel bekanntermaßen zu den langweiligsten Wohnbereichen zählen, zu grau verfliesten Erlebniszonen.

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