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Konflikt braucht Kontrolle
Der Standard

Was verbindet Salzburg, Bludenz und Waidhofen an der Ybbs? Alle drei zählen sie zu den insgesamt 42 Gemeinden dieses Landes, die über einen eigenen Architekturbeirat verfügen. Eine mickrige Ausbeute angesichts der Tatsache, dass es in Österreich immer noch 2317 Gemeinden gibt, die keinen haben.

23. Februar 2008 - Wojciech Czaja
„Ich hab geträumt: Es war einmal ein Gestaltungsbeirat, dem ist es gelungen, mit der Architektenschaft der Stadt eine produktive Gesprächsbasis herzustellen, die Bauherren von der existenziellen Bedeutung der Architektur für ein Gemeinwesen zu überzeugen, die Politiker aller Fraktionen zu Höchstleistungen an Sachverstand und Seriosität zu zwingen, ja sogar die Altstadterhaltungskommission zu begründeten Urteilen zu verführen und zu einem konstruktiven Gesprächspartner zu machen. Dieser Gestaltungsbeirat wurde nie müde, verlor nie die Geduld und war nach den langen Sitzungen immer noch zu brillanten schriftlichen Gutachten fähig.“

Friedrich Achleitners Traum ist mittlerweile gute zwanzig Jahre alt und bezieht sich auf den allerersten Gestaltungsbeirat, der in Österreich ins Leben gerufen wurde: jenen in Salzburg. Bis in die Sechzigerjahre hinein war es in der Mozartstadt üblich, alte Bausubstanz - so sie nicht mehr unter wirtschaftlichen Bedingungen sanierbar war - einfach abzureißen und durch Neubauten zu ersetzen. Auch das erste Stadtentwicklungsmodell aus dem Jahre 1970 rief in der Bevölkerung etliche Proteste hervor: Es sah eine weitreichende Umwidmung von Grünflächen in Bauland vor. Über Jahre hinweg führte auf diese Weise die eine stadtpolitische Enttäuschung zur anderen, bis sich im November 1983 unter Neo-Stadtrat Johannes Voggenhuber schließlich der erste Architekturbeirat Österreichs konstituierte.

„Ohne das vorherrschende politische Klima in den Siebzigerjahren wäre die Einsetzung einer Architek- turkommission nicht möglich gewesen“, erklärt Paul Raspotnig von der Initiative Salzburg, der kürzlich zu diesem Thema dissertierte. Das damalige „Salzburg-Projekt“ sei eindeutig aus der Unzufriedenheit der Stadtbevölkerung hervorgegangen. Hauptziel Voggenhubers war neben einer Neuformulierung der Verkehrspolitik schlicht und einfach eine Architekturreform mit dem Einsatz eigenständiger, moderner Architektur.

„Das Salzburg-Projekt war ein offensichtlicher Erfolg“, so Raspotnig, „seit damals haben sich in Österreich etliche Nachfolger gefunden.“ In seiner Doktorarbeit „Planungsbegutachtung durch Gestaltungsbeiräte“ untersuchte Raspotnig über 40 Nachfolge-Gemeinden, die sich vom Salzburger Vorbild inspirieren ließen, und kam schließlich zu dem Schluss: „Unbestritten sind die baukulturellen Erfolge, die in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten durch die Befassung von Gestaltungsbeiräten erzielt wurden. Der Einsatz von Beiräten und Architekturreformen trug zu einer Verbesserung der Kommunikation und Transparenz bei, vor allem aber zu einer Anhebung der Qualität des Planens und Bauens im Allgemeinen und anhand konkreter Projekte.“

Hand in Hand mit der Politik

Fragt sich nur: Wie kommt es, dass nach einem Vierteljahrhundert positiver Resonanz weit über 2300 Gemeinden in Österreich immer noch ohne einen derartigen Beirat agieren? Das Fehlen einer solchen Institution ist der uninspirierten, ländlichen Einöde zwischen Gänserndorf und Zell am Ziller regelrecht anzusehen. Architektonische Qualität? Von wegen. Der Horizont dieses Landes - sieht man einmal von den wenigen architekturtapferen Hochburgen ab - ist gesäumt von Häuslbauerei, von den geschmäcklerischen Irrfahrten einiger Bürgermeister sowie von den Ansiedlungen wirtschaftlicher Unternehmen. Wer in die Ortskasse einzahlt, der schafft an.

„Man kann nicht jeder Gemeinde mit Gewalt einen Fachbeirat aufdrängen“, sagt Friedrich Achleitner, Beiratsmitglied der ersten Stunde in Salzburg und in Krems, „ein Beirat ist lediglich ein beratendes Gremium und hat daher nur dann Sinn, wenn es politischen Rückhalt gibt. Wenn der Politiker zu schwach oder zu wenig überzeugt ist, um die Entscheidungen des Beirats zu unterstützen, bringt das alles nichts.“

Achleitner erinnert sich an das Erfolgsmodell Salzburg: Der Beirat habe öffentlich getagt. Behörden, Architekten, Anrainer, ja sogar Schulklassen seien regelmäßig zu den Sitzungen gekommen und hätten sich in den Prozess eingebracht. „Die cleveren Architekten haben bald einmal erkannt, dass der Beirat die guten Projekte nicht verhindert und verlangsamt, sondern ganz im Gegenteil den bürokratischen Prozess beschleunigt und den Planern vor der Behörde unter den Arm greift.“

Auch Otto Kapfinger, Salzburger Beiratsmitglied von 1997 bis 2001, gibt zu bedenken: „Wenn ein Beirat an Ort und Stelle keine Partner hat, dann hängt er in der Luft.“ In Salzburg sei das politische Interesse an der objektiven Meinungen der anderen da gewesen, in anderen Fällen jedoch hätten sich die Bürgermeister über die Entscheidungen der Beiräte immer wieder hinweggesetzt. Beispiele gibt es genug.

„Das ist absolut unverständlich“, so Kapfinger, „die Bürgermeister müssten doch längst erkannt haben, was für ein geschicktes und elegantes Mittel so ein Beirat im Grunde genommen ist. Er nimmt einem mitunter brisante Entscheidungen ab, übernimmt die volle Verantwortung gegenüber der Gemeinde, und der Bürgermeister ist aus dem Schneider. Wer das Spiel beherrscht, der kann auf diese Weise Unglaubliches erzielen.“

Optisch auf der sicheren Seite

Wer hat denn nun Interesse an einem Gestaltungsbeirat? Eine stichprobenartige Umfrage an der Strippe hat zu bemerkenswerter Ablehnung geführt. Gestaltungsbeirat? Brauch ma net. Wiener Neustadt beispielsweise verfügt über einen Stadtentwicklungsbeirat, hat an einem solchen in Belangen der architektonischen Gestaltung jedoch kein Inter-esse: „Wir streben individuelle Lösungen bei jedem Bauvorhaben an und wollen kein weiteres Gremium schaffen, das den Prozess zusätzlich bürokratisiert“, sagt Rainer Spenger, Pressesprecher des Bürgermeisters, „wir haben schon vor Jahren angedacht, einen solchen Beirat zu gründen, sind aufgrund der guten Erfahrungen mit anderen Instrumenten aber wieder davon abgekommen.“

Auch Siegfried Schafarik, Bürgermeister von Knittelfeld, erklärt auf Anfrage des Standard: „So viele architektonische Gestaltungsmöglichkeiten gibt es bei uns nicht. Ich habe nicht das Gefühl, dass ein solcher Bedarf besteht.“ Dazu sei man als Gemeinde mit 4,5 Quadratkilometern ganz einfach zu klein. Und aus Ried im Innkreis hört man: „Wie in jeder Stadt in Österreich sind auch bei uns einige bauliche Sünden begangen worden. Von der Idee eines Gestaltungsbeirats bin ich jedoch nicht ganz überzeugt“, so Stadtamtsdirektor Norbert Sitar, „mit Vertretern der Architektenkammer sind wir optisch bereits auf der sicheren Seite.“

In der Tourismusgemeinde Velden erkennt man die Architektur durchaus als Imageträger eines Ortes an, doch für einen eigenen Gestaltungsbeirat wähnt man sich auch am fremdenverkehrsmäßig wohlgenährten Wörthersee zu klein. Bürgermeister Ferdinand Vouk: „Wir sind einen anderen Weg gegangen und können auf eine eigene Bauberatung für unsere Bewohner sowie auf einen Revitalisierungsberater zurückgreifen.“ Helmut Million, Stadtbaudirektor von Ternitz, gibt sich etwas offener: „Einen solchen Beirat haben wir nicht. Wenn sich eines Tages ein Modell ergibt, das finanzierbar ist, so könnte dies für uns aber durchaus interessant werden.“

In seiner Dissertation über Gestaltungsbeiräte in Österreich hat der Autor Paul Raspotnig auch diesen Punkt bedacht - und hat die Statuten und Aufwendungen der einzelnen Gremien unter die Lupe genommen. Fazit: Luxuriös spendabel gibt sich die Stadt Salzburg. Rund 65.000 Euro betragen die jährlichen Kosten für den unabhängigen Beraterstab. Durch die häufigen und sehr langen Sitzungen sowie durch die Tatsache, dass die Mitglieder oft aus fremden Landen eingeladen werden, ist Salzburg österreichweiter Spitzenreiter. Raspotnig: „Das ist ein Luxusbudget, aber auch eine Luxusstadt.“

Muss nicht sein. Vorarlberg, wo mittlerweile jede vierte Gemeinde über eine externe Planungsbegutachtung verfügt, tritt den Gegenbeweis an. Mit 10.000 bis 20.000 Euro pro Jahr kommt man in Gemeinden wie Feldkirch oder Hohenems bereits über die Runden. Paradebeispiel Zwischenwasser: Das 3000-Einwohner-Dorf, das die architektonische Latte ebenfalls hoch legt, findet das Auslangen mit gerade mal 5700 Euro. Ein durchaus übersichtliches Sümmchen also.

Dass es so billig auch geht, scheint viele zu überraschen. Für Christian Resch, Bürgermeister der Stadtgemeinde Mistelbach, tut sich damit ein weites Feld auf: „Ein eigener Gestaltungsbeirat? Das Thema hat sich noch nie gestellt. Aber die Argumente sind einleuchtend, und ich nehme das gerne als Inspiration auf.“ Demnächst wird Paul Raspotnig einen Leitfaden für Stadtoberhäupter publizieren.

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