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Die grüne Pille fürs gute Image
Der Standard

Wenn schon Hochhäuser, dann zumindest begrünte, lautet das Motto des malaysischen Architekten Ken Yeang. Ein Gespräch anlässlich der Architecture World 2008 in Münster.

31. Mai 2008 - Wojciech Czaja
der Standard: Bei Ken Yeang denkt man unweigerlich an Wolkenkratzer. Warum Wolkenkratzer?

Ken Yeang: Hochhäuser sind im Grunde ihrer Natur eine sehr unökologische Art zu bauen. Um ehrlich zu sein, sind sie die schlimmste Art überhaupt. Aber die Menschen wollen Hochhäuser. Sie wollen sie bauen, sie wollen sie besteigen, sie wollen sich daran messen. Irgendwer muss sich ihrer erbarmen und etwas Gescheites daraus machen. Die Alternativen sind meist recht übel, denn die Architekten sind wie Kinder. Sie gehen unbedarft an die Bauaufgabe heran und bauen ihre Träume.

Und Sie sind der Auserwählte?

Yeang: Ja, ich habe mich selbst dazu auserwählt. Es muss zumindest einen Menschen geben, der die Potenziale dieser Megastrukturen erkennt. Man muss das Hochhaus so grün wie möglich machen. Nur so kann man dazu beitragen, dass unterm Strich die Ökobilanz unserer kapitalistischen Architektur zwar nicht gut, aber immerhin nicht katastrophal ist. Genau das versuche ich zu tun, schon ein berufliches Leben lang. Um genau zu sein, seit 1971. Öko-Hochhäuser waren damals noch absoluter Luxus.

Viele südostasiatische und amerikanische Städte könnten aufgrund der Bevölkerungsentwicklung ohne Hochhäuser kaum mehr existieren. Gibt es diesen Bedarf in Europa überhaupt?

Yeang: Ja und nein. Sie müssen in dieser Betrachtung immer an den Anfang zurückgehen. Städte wachsen. Und diesem Wachstum muss man sich stellen. Dies kann geschehen, indem Sie die Stadtkonturen nach außen erweitern. Das kann aber auch geschehen, indem Sie eine Satellitenstadt bauen. Das ist eine sehr schlechte Option! Wenn man die dadurch entstandene Mobilität und den Energiebedarf miteinbezieht, dann ist die Wahl von Satellitenstädten geradezu katas-trophal. Und die dritte Möglichkeit ist, die Stadt zu verdichten und die Bebauungseffizienz zu optimieren. Genau aus diesem Grund gibt es Hochhäuser auch in Europa. In London, in Frankfurt, in Moskau und auch überall dort, wo man sich einbildet, dass man so etwas braucht.

Gibt es eine Alternative zum Hochhaus?

Yeang: Realistisch gesehen nicht. Es ist, als würde man der gesamten Bevölkerung sagen: Nehmt alle die Pille und hört auf, Kinder zu kriegen!

Oft entstehen Hochhäuser aus reinen Prestige- und Imagegründen.

Yeang: Sprechen wir nicht davon! In Kuala Lumpur wurden die Petrona Twin Towers gebaut. Diese Stadt braucht solche Hochhäuser nicht. Kuala Lumpur ist sehr weit gestreut und weist kaum eine ernstzunehmende Dichte auf. Kein Mensch auf dieser Welt ahnt, dass Kuala Lumpur gerade einmal 1,5 Millionen Einwohner hat. Dafür kennt jeder die Silhouette dieser Türme. Damit hat die Stadt ein wirksames Zeichen erhalten und schafft es sogar, Hauptdarstellerin in diversen Hollywood-Filmen zu sein. Letztendlich kurbelt das den Tourismus und die Wirtschaft an. Denn ganz gleich, ob Eiffelturm, Empire State Building oder Sydney Opera House - auf solche Icons fährt jeder ab. Das ist das einzig Positive an den Petrona Twin Towers.

Architektur kurbelt die Wirtschaft an. Das ist doch ein starkes Argument.

Yeang: Korrekt. Und wenn jeder Architekt damit argumentiert, geht die Welt demnächst in einem unvorstellbaren Super-GAU zugrunde. Ich bemühe mich, gegen diese Entwicklung anzukämpfen. Leider gibt es zu wenige Denker meiner Sorte. Die meisten lassen sich vom Marketingwert der Architektur blenden. Die Ausmaße dieser Haltung sehen Sie in Schanghai und in Dubai. Das kann unmöglich die Zukunft unserer Städte sein. Doch ich befürchte, dass ich mich irre.

Was wollen Sie dagegen tun?

Yeang: Grüne Hochhäuser bauen und optimistisch bleiben.

Beim Wettbewerb für die neue Zentrale der Europäischen Zentralbank in Frankfurt haben Sie ein grünes Hochhaus entworfen. Gewonnen haben Sie nicht.

Yeang: Nein, gewonnen hat Wolf Prix. Ich gönne ihm den Sieg. Sein Entwurf war einfach besser und konsistenter. Lassen Sie ihn bei dieser Gelegenheit herzlich von mir grüßen! Wir hören uns viel zu selten. Ich bekomme immer nur Weihnachtskarten von ihm zugeschickt. Ich glaube, die schickt er mir, um „sorry“ zu sagen - eben dafür, dass er mich mit dem Wettbewerbssieg für die Europäische Zentralbank in Frankfurt übertroffen hat.

Ist es nicht ein immenser Aufwand, in ein Hochhaus so viel Grünzeugs hineinzubringen?

Yeang: Der Aufwand ist enorm, das stimmt. Natürlich wäre es sinnvoll, stattdessen die Grünflächen in einem Park nebenan anzulegen. Das würde zudem die Bebauungsdichte reduzieren. Doch für ein solches Konzept finden Sie weltweit keinen einzigen Investor und keine Stadtverwaltung.

Einen Versuch wäre es wert.

Yeang: Aussichtslos. Es zieht einerseits Rendite-Verluste mit sich und zeugt andererseits von unglaublicher Banalität. Die wenigen Investoren, die es sich leisten wollen, grüne Hochhäuser hochzuziehen, machen das nur im seltensten Fall aus ökologischen Überlegungen. Sie machen das in erster Linie, um das Image aufzupolieren und um als innovativer Schirmherrscher dazustehen.

Also alles nur Bluff?

Yeang: Grüne Architektur ist ein Placeboeffekt. Im Hintergrund ihrer Headquarters produzieren die Konzerne unverändert weiter und qualmen giftige Abgase in die Luft. Ich erkenne in der Not derer Handlungsmuster jedoch eine große Tugend. Denn diese grünen Bauwerke dienen der Bevölkerung als Propagandamittel und fordern zum Nachdenken auf. Einige wenige wird man damit im Herzen erreichen. Das ist den Aufwand wert.

Was ist die Herausforderung im grünen Bauen?

Yeang: Ich vergleiche die Natur immer mit einem menschlichen Körper. Jede Architektur darin ist ein künstlicher Eingriff, ein Fremdkörper. Es bedarf intensiver Arbeit und hoher Qualität, um diese Kombination von Natürlichem und Künstlichen am Laufen zu halten. Hinzu kommt, dass Pflanzen sehr anspruchsvoll und sehr stur sein können.

Trifft das auch auf Ken Yeang zu?

Yeang: Ich war früher viel sturer, als ich es heute bin. Mit 59 Jahren weiß man, dass man über den Hügel ist und dass die Seniorenepoche nicht mehr allzu weit weg liegt. Aber was erzähle ich denn Ihnen da, Sie sind ja noch ein Baby! Schauen Sie: Mit 20 bis 30 experimentiert man, mit 30 bis 40 schärft man sein Wissen, mit 40 bis 50 reift man heran und setzt das Wissen qualitätsvoll um. In dieser Zeitspanne machen die Architekten das meiste Geld. Ab 50 wird es endlich ruhiger - und vor allem anstrengender. Irgendwann merken Sie, dass Ihnen die Zeit davonläuft. Dann ist jeder Tag wertvoll. Zwischen 55 und 60 zieht man sich zurück und geht in Pension.

Das dürfen Sie keinem europä-ischen Architekten sagen.

Yeang: Ich weiß. Architekten können sich niemals zur Ruhe setzen. Und das ist eine Pein. Den jungen Menschen gegenüber finde ich das völlig unverantwortlich. Man sollte wissen, wann man seine Grenzen erreicht hat. Ich sage Ihnen einmal etwas: Ich habe im Laufe meines Lebens vier unterschiedliche Charaktere ausgearbeitet. Die erste Persönlichkeit ist ein weißes Quadrat: unschuldig, symmetrisch, ausgeglichen. Die zweite Person ist ein schwarzes Quadrat: böse, düster und in der Rolle eines Außenseiters. Die dritte Persönlichkeit ist ein graues Quadrat. Endlich hat man begriffen, dass es nicht nur Gut und Böse gibt, sondern auch den Graubereich dazwischen. Aber immer nur Quadrate - das ist auf Dauer langweilig. Und so habe ich den vierten Charakter entwickelt - einen knallbunten Regenbogen. Das möchte ich sein, ein knallbunter Regenbogen! Jeden Tag aufs Neue. Wenn man allerdings mit 70 oder 80 immer noch hartnäckig an der Architektur herumbastelt, dann kann man kein Regenbogen mehr sein. Und das finde ich sehr traurig.

Wann werden Sie in Pension gehen?

Yeang: Ich hatte vorgehabt, mich in ein paar Jahren zurückzuziehen. Doch dann bin ich 2005 mit meiner Familie nach London gezogen. Und da ticken die Uhren ein bisschen anders. Wir werden sehen.

Wie werden Sie in Ihrem Ruhestand auf Ihre Zeit als Architekt zurückblicken?

Yeang: So wie heute. Es ist einer der tollsten Berufe, die es gibt. Und es einer der schwierigsten. Sie müssen ein Allrounder sein. Wussten Sie, dass in den USA Architekten die höchste Scheidungsrate aufweisen? Das sagt doch alles! Das Leben als Architekt ist stressig. Jeder Tag ist anders. Einmal zeichnen Sie, einmal reisen Sie, einmal verhandeln Sie, einmal streiten Sie, dann stehen Sie bis zu den Knöcheln im Beton. Oder das Wasser steht Ihnen bis zum Hals. Und was den Beruf vor allem so schwierig macht: Egal, wie gut Sie sind - bei jedem Projekt wird mit Sicherheit etwas schiefgehen. Denn an einem Projekt arbeiten zwischen ein paar Dutzend und ein paar tausend Leute mit. Wer ist am Ende schuld? Ausbaden muss es immer der Architekt.

Haben Sie die Nase voll?

Yeang: Überhaupt nicht. Ich schätze meine Situation, und ich bin sehr glücklich darüber, dass es mir gelungen ist, so viele Träume umzusetzen. Aber viele Leute glauben, dass das Leben als Ken Yeang immer nur großartig ist. Nein, das ist es nicht. Ich könnte Ihnen viele Horrorgeschichten erzählen.

Ihre schlimmste Erkenntnis?

Yeang: Architekten sind der Meinung, sie könnten die Welt verändern. Meine schlimmste Erkenntnis war zu merken, dass das nicht stimmt.

Zum Abschluss: Sie gelten als einer der innovativsten Architekten weltweit. Sind Sie's?

Yeang: Das ist eine gemeine Frage. Es ist, als ob ich mich in der Früh in den Spiegel schauen und mir die Frage stellen müsste: Bin ich schön? Meistens beißt man sich auf die Lippen und sagt dann ganz leise: Mir und meinen Freunden gefalle ich, das ist die Hauptsache. Nun zu Ihrer Frage: Mit Gewissheit gehöre ich zu den wenigen, die die Vision einer grünen Zukunft propagieren und sich dafür mit aller Kraft einsetzen.

[ Architecture World Münster: Donnerstag, 5. Juni, bis Samstag, 7. Juni 2008, Messe- und Congresszentrum Halle Münsterland.
Mit Vorträgen von Ken Yeang, William Alsop, Ben van Berkel, Hitoshi Abe, Greg Lynn, Thom Mayne, Elke Delugan-Meissl, Wolf D. Prix u. v. m. ]

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