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Länderballett im dünnen Nervenkleid
Der Standard

Auf der Expo 2008 in Zaragoza fließen die Krokodilstränen. Das Thema „Wasser und nachhaltige Entwicklung“ animiert anscheinend zu überbordendem Pathos. Österreich hingegen setzt auf die Kunstkarte - eine wahre Erfrischung.

21. Juni 2008 - Wojciech Czaja
Stephanie Cumming und Luke Baio wippen ihre Hüften im Takt. Sie ist Kanadierin, er ist Brite, gemeinsam geben sie das perfekte Almdudler-Pärchen ab. Spärlich bekleidet mit Bikini, Lederhose und Walkstoff-Jackerl betreten sie eine überdimensionale Schneekugel und fangen an zu tanzen. „Es wäre so einfach, den Erwartungen der Leute gerecht zu werden“, sagt Stephanie, „gerade bei Österreich scheint jeder schon genau zu wissen, was ihn erwartet.“

Genau diesen Vorurteilen soll die zeitgenössische Tanzperformance der Künstlergruppe Liquid Loft entgegenwirken. „Unsere Performance ist absurd. Wir wollen die Leute nicht mit Klischees abspeisen, sondern wollen sie überraschen, amüsieren und ihnen ein Fragezeichen auf den Weg mitgeben.“ Die künstlichen Schneeflocken tun ihr Übriges.

Letztes Wochenende eröffnete die Expo 2008 in Zaragoza. Rund 100 Länder beteiligen sich an der diesjährigen Weltausstellung. Auffallend ist, dass sich darunter kein einziges englischsprachiges Land findet. Das heurige Motto „Wasser und nachhaltige Entwicklung“ animiert trotz hochgesteckter Ziele nicht gerade zu Glanzleistungen. Der Großteil der Länderpavillons erstickt in textlastigen Ausstellungen und statistischen Aufbereitungen. Alles sehr dramatisch. Doch spätestens nach einer Handvoll bereister Länder ist im Kopf das absolute Chaos ausgebrochen. Andere Pavillons wiederum oszillieren zwischen touristischer und wirtschaftlicher Selbstdarstellung und gehen am Thema völlig vorbei.

Und alle schwingen sie die Moralkeule: Wasser sei ein kostbares Gut, auf das wir in Zukunft besser aufpassen müssten, dröhnt es überall aus den Lautsprechern. Nicht einmal auf Plattitüden wird verzichtet. Durstige Elefanten in der Savanne werden in einem Atemzug mit der Sprinkleranlage im hübschen Vorstadtgärtchen bemüht. Kontraste wie diese sollen sich uns noch nie zuvor offenbart haben.

Schon bald entpuppt sich der moralische Zeigefinger als reine Persiflage. Denn mit dem Wasser wird auf dieser Weltausstellung herumgepritschelt und herumgespritzt wie nur was. Wasserfälle ergießen sich aus großer Höhe, immer wieder schreitet man über künstliche Seen, spannt den Regenschirm auf und begutachtet physikalische Wasserspiele, die der Aufklärung dienen sollen. Ja, sogar eine Art Fluss durch das Innere der Erde wurde angelegt, weil's eben lustig ist.

Der Österreich-Pavillon (Baukosten 1,4 Millionen Euro) fällt aus alledem in mehrfacher Hinsicht aus der Reihe. Mit Verlaub: Das ist ein guter Ort, um längst verloren geglaubte Patriotismusgefühle wieder ein wenig aufzufrischen. Der architektonische Beitrag der Arge Strauss-Solid-Ritter, die vor zwei Jahren den Wettbewerb um die Pavillon-Gestaltung gewonnen hatte, verzichtet dabei gänzlich auf das Medium Wasser und begnügt sich mit der assoziativen Aufarbeitung in den unterschiedlichsten Aggregatzuständen.

„In unserem Pavillon gibt es kein Wasser“, sagt Christoph Hinterreitner vom Architekturbüro Solid, „das ist unsere Antwort auf das Thema Nachhaltigkeit. Alles andere wäre zynisch und vermessen.“ Auf insgesamt 550 Quadratmetern baute Hinterreitner mit seinen Kollegen eine künstliche Landschaft, die in kaltes, blaues Licht getaucht ist. Als einer der wenigen Pavillons wartet Österreich mit Interaktion und mit Kunst auf. Wissenschaft, Predigt und Pädagogik - das überlässt man getrost dem Rest der Welt.

Auf einem 360-Grad-Panorama ist eine Filminstallation von Liquid Loft zu sehen. Mit ihren Körpern bauen die Tanzkünstler architektonische Räume. Nur zur Eröffnung und am Österreich-Tag am 19. Juli tritt Liquid Loft auch live auf - und verwandelt die eingeschweißte Bühne in einen Raum erstklassiger Darbietung. Die übrige Zeit steht die pneumatische Konstruktion freiwilligen Tänzerinnen und Tänzern zu Verfügung. Wer will, kann dabei in Lederhose, Dirndl, Frack und Ballkleid schlüpfen.

„Freilich ist dieses Projekt eine Gratwanderung“, gesteht Robert Punkenhofer, Direktor des Österreich-Beitrags, „andererseits finde ich es erstaunlich, wie Kreative mit den Österreich-Klischees umgehen.“ Früher habe man Berührungsängste gehabt, nun taste man sich mit Selbstironie und Augenzwinkern an das Thema heran.

Nicht zuletzt liegt es an den Künstlern, dass sich die Alpenrepublik zwar komisch, aber durchaus seriös präsentiert und dabei nicht - wie viele andere Teilnehmer der Expo - ins Folkloristische abdriftet. Walter Niedermayr umwickelt den Pavillon mit einer Fotomontage vom Pitztaler Gletscher. Lucy und Jorge Orta präsentieren eine Skulptur, die den Hype ums viele Designermineralwasser aufs Korn nimmt. Tomas Eller wiederum dokumentiert den beschwerlichen Versuch der architektonischen Aneignung: Er dringt in Schluchten und Gletscherspalten vor und trotzt der wilden Natur mit Raumabsteckungen. Faszinierend. Klirrend kalt.

Kein Ort für subtile Gesten

Auf dem Großteil des Expo-Geländes geht es jedoch weniger subtil zu. Die Tour du Monde ist ein reißerischer Strom der Peinlichkeiten. Griechenland trumpft mit einem Wasserbecken auf, um das sich zwölf dorische Plastiksäulen tummeln, Russland ist stolz auf seinen fragmentarischen Nachbau des St. Petersburger Neptunbrunnens, die afrikanischen Länder werben mit bunt gekleideten Buschprotagonisten, die gerade an irgendwelchen Hölzchen herumschnitzen, und im japanischen Pavillon gibt es einen Manga-Frosch mit Babystimme, der in einer filmischen Montage durch die jahrhundertealten Holzschnitze von Katsushika Hokusai hüpft.

Auffällig pädagogisch gibt sich Deutschland. Durch den gesamten Pavillon ist ein 120 Meter langer Kanal gelegt. Der Ritt auf dem Floß ist wie eine Fahrt durch die Grottenbahn. Hier ein bisschen Musik, dort ein wenig Donner. „Keine Angst, es ist nur ein Sommergewitter, das über Deutschlands Himmel wandert“, beschwichtigt eine süße Frauenstimme. „Hört ihr, wie der Regen ganz langsam nach unten sickert? Der weite Weg durch Sand und Stein schenkt ihm die Reinheit von Kristallen.“ Man bleibt etwas ratlos zurück ob der hier ausgesprochenen Botschaft.

Ideen für die Expo von morgen

Die Expo 2008 in Zaragoza wirft viele Fragen auf. Die dringlichste, die es in den kommenden Jahren zu beantworten gilt, hat mit dem Sinn und Zweck einer solchen Veranstaltung zu tun. Ursprünglich als Hort des Austausches und der Begegnung konzipiert, gehen dem 1851 ins Leben gerufenen Format allmählich die Ideen aus. Dank erhöhter Mobilität kann man heute binnen weniger Stunden ganz woanders sein, durch Fernsehen, Internet und Google Earth braucht man längst keine Weltausstellung mehr, um auf dem Laufenden gehalten zu werden.

„Die Expo in Zaragoza ist wie ein Lunapark, mit dem wesentlichen Unterschied, dass die Leute hier keinen Spaß haben“, stellt ein kritischer Besucher fest. So gesehen gibt es nur wenige Länder, die es verstanden haben, dem Medium Weltausstellung einen neuen, der heutigen Zeit angemessenen Sinn zu geben. Belgien, Schweiz, Litauen und eben auch Österreich - diese wenigen Pavillons nutzen die Gunst der Kunst. Das ist ein erfrischender Neuanfang angesichts des sonst schon durchgescheuerten Nervenkleids. Respekt.

Die EXPO in 30 Sekunden

Die Weltausstellung ist noch bis 14. September 2008 zu sehen.

Die Gesamtinvestitionskosten belaufen sich auf rund 9 Milliarden Euro. Von der EXPO profitiert vor allem das umliegende Zaragoza. Neben diversen infrastrukturellen Maßnahmen erhielt die Stadt

einen neuen Bahnhof für den Hochgeschwindigkeitszug AVE (Arch. Carlos Ferrater). Durch die gute Verkehrsanbindung rechnet man nun mit insgesamt 6 Millionen Besuchern. Die auffälligsten baulichen Maßnahmen auf dem EXPO-Gelände selbst sind der Torre del Agua (Arch. Enrique de Teresa), der neue Palacio de Congresos (Arch. Nieto Sobejano) sowie der 300 Meter lange Brückenpavillon über den Ebro - eine gigantische Geste von Zaha Hadid. Nach Ablauf der Weltausstellung wird das Areal in einen Business-Park umfunktioniert. Die Pavillons werden entkernt, übrig bleibt eine Stahlbetonkonstruktion, die bereits den Bedürfnissen der zukünftigen Nutzer angepasst ist.

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