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Der positive Schock
Der Standard

Mit Erick van Egeraat sprach Wojciech Czaja

5. Juli 2008 - Wojciech Czaja
Standard: Unter Stadtplanung und Städtebau können sich nur die wenigsten Menschen etwas vorstellen. Woran liegt das?

van Egeraat: Das stimmt, und das hat einen einfachen Grund. Im 20. Jahrhundert haben wir auf der ganzen Welt Städte erweitert und dabei bestehende Stadtstrukturen zerstört. Viele Leute verbinden mit Städtebau daher vor allem etwas Negatives. Sehr oft wird darauf vergessen, dass wir ja auch viele alte Städte haben, die wir bis heute sehr schätzen - und auch diese wurden eines fernen Tages geplant. Geändert hat sich leider die Qualität im Umgang mit dem Neubauen und Erweitern. Früher hat man Charakter geschaffen, heute ist das eine Seltenheit.

Standard: Warum ist das so?

van Egeraat: Der Unterschied ist, dass man sich früher darum bemüht hat, die Städte aus einem Guss zu bauen und die bestehenden Strukturen aufzunehmen und weiterzudenken. Die Planer haben sich damals mit den Eigenheiten einer Stadt ernsthaft auseinandergesetzt. Viele Architekten wollen das heute aber nicht mehr. Sie bauen lieber alles neu. Das ist ein Fehler.

Standard: Worauf ist bei einer Stadterweiterung wie bei Graz Reininghaus größter Wert zu legen? Was muss - und was darf auf gar keinen Fall passieren?

van Egeraat: Auf keinen Fall darf Graz Reininghaus ein Außenbezirk oder eine Schlafstadt werden. Das Areal ist größer als die Altstadt! Und diese Altstadt wird für die Bevölkerung auch der Maßstab sein. Wenn der neue Stadtteil nicht mindestens genauso gut oder sogar besser wird, dann ist es auch nicht verwunderlich, wenn niemand hierherkommen will.

Standard: Das sind alles nur Hard Facts.

van Egeraat: Solche Hard Facts sind wichtig, sie bestimmen die Basis. Doch ohne Identität und Charakter können Sie niemals einen funktionierenden Stadtteil aus dem Boden stampfen. Leider vergessen zu viele Architekten, Investoren und Politiker die Emotion! Aber die Gefahr besteht hier kaum. Graz Reininghaus wird so langsam und vorsichtig entwickelt, dass ich positiv schockiert bin! Da kommt plötzlich ein privates Unternehmen daher und zeigt der Öffentlichkeit, wie so etwas geht.

Standard: Und zwar?

van Egeraat: Indem man bestehende Strukturen erhält und die Atmosphäre des Ortes verstärkt. Das ist einfach gesagt, aber leider nur sehr schwer zu realisieren.

Standard: Welche Rolle spielen im Städtewachstum Chaos und Zufall?

van Egeraat: Ich bin ein Liebhaber der Schönheit und Bescheidenheit. Ich denke, wer seine Arbeit beherrscht und gut plant, der schafft es auch ohne Chaos. Eine gewisse Zeit zum Wachsen und Reifen ist jedoch nötig.

Standard: Wie lange?

van Egeraat: Zehn Jahre. Mindestens zehn Jahre.

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