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Strengere Regeln, schönere Orte
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Kann das durchorganisierte Gestaltungsregime in einer Ferienhaussiedlung zum Vorbild für den Umgang mit den Siedlungskernen werden? Hundstage in Neusiedl am See.

10. August 2013 - Franziska Leeb
Seit den 1920er-Jahren ist das „Meer der Wiener“ ein Anziehungspunkt für die hitzegeplagten Städter. Nehmen wir also die Hundstage zum Anlass, den Badeausflug mit einer Nachschau in Sachen Architektur zu verbinden. Denn im Gegensatz zu Österreichs westlichstem Bundesland Vorarlberg taucht das an Fläche wenig größere Pendant im Osten eklatant seltener im Architekturfeuilleton auf.

Und während der Vorarlberger Landeshauptmann zu Beginn dieses Jahres via Presseaussendung bekannt gab, dass das Land die Arbeit des Vorarlberger Architektur Instituts mit 155.000 Euro im Jahr unterstütze und den Beitrag der Architektur zu einem attraktiven Lebensraum für die Menschen wie auch deren Rolle als touristisches Zugpferd würdigte, wird der 1993 gegründete Architekturraum Burgenland kurz gehalten. Er erhält vom Land keine Basisförderung. Finanzielle Unterstützung gibt es bloß für einzelne Projekte, wie die Organisation des Architekturpreises des Landes Burgenland, den der Verein seit 2002 biennal abwickelt. Nun ist es gewiss nicht so, dass eine höhere Zuwendung an den trotz knapper Ressourcen recht aktiven Verein automatisch den Zustand der Baukultur verbessern würde. Dieser Zustand ist aber symptomatisch für ein allgemeines politisches Desinteresse an baukulturellen Anliegen, die über Prestigebauten hinausgehen.

Lässt man die Liste der Architekturpreisträger Revue passieren, so findet sich darunter doch manches, was auch in Vorarlberg gute Figur machen würde, schließlich arbeiten auch im Burgenland gute Architekten. Die Masse und auch der Durchschnitt des neu Gebauten bewegen sich aber weit entfernt am unteren Ende der Qualitätsskala. Dabei wären bauliche Kuriositäten wie die spiegelverglaste Großbäckerei mit Kipferlportal am Ortseingang von Neusiedl am See oder die schmucke Burg beim Frauenkirchner Erlebniscampingplatz ganz locker zu verschmerzen, würde sich nicht zusehends unverschämter ein baukulturelles Elend ausbreiten, das an der Schönheit der Ortsbilder saugt wie weiland die Reblaus an den Weinstöcken. Während man sich gegen das Insekt mit resistenten Direktträgern und der Rebveredelung zu wehren wusste, mangelt es noch an Mitteln, die geeignet sind, die Ortsbilder nachhaltig vor weiterer Verschandelung zu schützen und eine qualitätsvolle Entwicklung der Siedlungsstrukturen sicherzustellen.

Das Klischee vom charakteristischen burgenländischen Ortsgefüge mit seinengiebelständigen Streckhöfen existiert eher in der Erinnerung, in der Realität ist es nur noch in wenigen Orten vorzufinden. Es fehlten über Jahrzehnte wohl das notwendige Wissen und vor allem der Wille, diese bäuerlichen Strukturen für heutige Anforderungen zu erhalten und zu adaptieren. In der Broschüre „Pannonisch Wohnen“ der Tourismusinformation findet sich eine Reihe alter Winzer- und Bauernhäuser, die als Ferienunterkünfte adaptiert wurden. Hätte sichkeine touristische Nutzung gefunden, wären sie wohl dem Verfall preisgegeben. Unter „Verlust“ zu verbuchen sind auch die Bauten aus der Anfangszeit des Badetourismus. Um das Flair von damals wiederherzustellen, das uns eine Ansichtskarte aus dem Jahr 1929 vermittelt, die es gerade bei Ebay zu kaufen gibt, wären heute radikale Rück- und Neubaumaßnahmen vonnöten. Besagte Karte zeigt das Seebad Neusiedl am See, eine Anlage aus Pfahlbauten und Holzstegen, durchaus beeindruckend in der Größe. Seitdem einwandfrei designte Lokalitäten wie die an die Tradition der frühen Seebadarchitekturen anschließende Mole West in Neusiedl dem urbanen Volk wieder einen stilvollen Auftritt ermöglichen, scheint um den Neusiedler See nach den Jahrzehnten der Pusztaromantik ein frischer Wind zu wehen, der sich auch architektonisch – nicht immer zur reinen Freude der Naturschützer – niederschlägt.

So nähert sich derzeit in Neusiedl die Lagunensiedlung „Am Hafen“ der Fertigstellung, wahrscheinlich eine der letzten direkt am See möglichen Wohnbebauungen. Dass die Errichtung trotz des Welterbe-Status der Kulturlandschaft Fertö/Neusiedler See und trotz der strengen Kriterien des Naturschutzes überhaupt möglich ist, liegt daran, dass der Untergrund bereits in den 1970er-Jahren aufgeschüttet wurde. Nun ließen sich das Für und wohl noch mehr das Wider für Immobilienprojekte in den Uferzonen trefflich diskutieren, was die Entwurfskultur angeht, ist hier allerdings Beachtliches gelungen. Geplant von den Architekten der Mole West, Halbritter & Hillebrand, konstituiert sich die Siedlung aus einem dichten Gewebe unterschiedlicher ein- bis zweigeschoßiger Reihenhaustypen mit privaten Freiräumen und direktem Seezugang auf zwei Inseln und einem Streifen entlang der Seestraße.

Ein ambitioniertes Grün- und Freiraumkonzept zeugt von Bedachtnahme auf die Zwischenräume und das Umfeld. Damit die Homogenität des Siedlungsbildes gewahrt bleibt und nicht von den Eigentümern schon von vornherein oder in Hinkunftdurch eigene Gestaltungsaktivitäten verwässert wird, erarbeiteten die Architekten ein strenges Reglement, das Oberflächenmaterialien und Farben definiert und weitere Anbauten verbietet. Wie es scheint, unterwerfen sich die Siedlungsbewohner diesem Gestaltungsregime bereitwillig. Der Status der Eigentümerschaft im hochwertig gestalteten Ganzen trägt schließlich auch zum Distinktionsgewinn des Einzelnen bei. Nun stellt sich aber gleichzeitig die Frage, warum dieser Mechanismus bei den Hauseigentümern auf dem Festland nicht funktioniert beziehungsweise ob gleichermaßen strenge Regeln nicht auch dem Wildwuchs überall anders Einhalt gebieten könnten.

Es gibt zwar einen Welterbe-Gestaltungsbeirat, der Vorhaben prüft, die maßgebliche Auswirkungen „auf die räumliche, funktionelle und strukturelle Entwicklung des Welterbes und seines Erscheinungsbildes haben“, ansonsten herrscht das freie Spiel der Kräfte und Geschmäcker. Einzig Neusiedl leistet sich einen Gestaltungsbeirat. Dort wurden immerhin Spielregeln für das Bauen in der Hauptstraße aufgestellt, denen zufolge die Bauhöhe mit einem Obergeschoß limitiert wurde und Dachgaupen untersagt sind. Rein ästhetisch argumentierte Regulative greifen aber wahrscheinlich zu kurz. Es gibt wohl erst eine Chance, von einem Status des „Anything goes“ zu einem kollektiven Verständnis für das Bauen im Kontext zu gelangen, wenn auch die sozialen, ökonomischen und ökologischen Folgen von Zersiedelung und Verschandelung deutlich kommuniziert werden.

Die burgenländischen Siedlungsstrukturen bergen viel Potenzial für eine zeitgemäße und zugleich ensemblegerechte Weiterentwicklung innerhalb der Siedlungskerne. Dieses zu aktivieren ist ein Gebot der Stunde, wenn man das Ausfransen der Ortsränder stoppen und die Kompetenz für harmonische Gefüge nicht vollends an die Community der betuchten Ferienhausbesitzer abgeben möchte.

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