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Wohnen nach Wahl
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Wohnen für jene, denen sich nicht die Frage nach „finanzierbar“ stellt, und eine neue Wohntypologie für das 21. Jahrhundert. Zwei Modelle, die Wohnbedürfnisse ernst nehmen: Vinzi-Dorf und „Wohnbau 5.0“.

28. September 2013 - Franziska Leeb
Wohnen muss für alle leistbar bleiben. Wahlkampfzeit! Das Thema Wohnbau hatte also ein paar Monate Hochkonjunktur. Ja, es liegt einiges im Argen, und im Wohnbau gibt es etliche Schrauben, an denen zu drehen wäre. Zwei aus völlig unterschiedlicher Motivation entstandene Projekte von Wiener Architekturbüros zeigen auf, dass Wohnen in erster Linie bedeutet, seine – anonyme – Bauherrschaft ernst zu nehmen, aber auch, dass nicht die dicken Regelwerke die Welt besser machen.

Alexander Hagner und Ulrike Schartner vom Büro Gaupenraub bemühen sich seit Jahren darum, auf einem kirchlichen Grundstück in Wien-Hetzendorf ein Wohnprojekt für Menschen zu realisieren, denen sich nicht die Frage nach „leistbar“ stellt, sondern danach, ob sie überhaupt wohnen dürfen. Je nach Quelle divergieren die Zahlen, aber ob es nun 100 oder 700 Menschen sind, die in Wien unter Brücken oder in Abbruchhäusern dahinvegetieren – jeder ist einer zu viel.

Nach dem Vorbild des von Pfarrer Wolfgang Pucher in Graz eingerichteten Vinzi-Dorfes soll ein solches auch in Wien realisiert werden. Hagner hat sich damit auseinandergesetzt, wie eine Unterkunft beschaffen sein muss, damit Menschen, die nicht in der Lage sind, sich in die Bedingungen und Strukturen von Notschlafstellen oder Heimen einzugliedern, sich damit arrangieren können. Sie brauchen einen sicheren Rückzugsort, der ihr Bedürfnis nach Individualität erfüllt, und ein Umfeld, das Hilfe leisten kann, wenn sie notwendig ist. Er akzeptiert diese Bedürfnisse und entwickelte dafür ein taugliches Raumprogramm.

Je kleiner, umso besser, sagt Hagner und scheitert damit schon an den vorgegebenen Raumvolumina. Eine Raumhöhe von 2,20 Meter sei besser als die vorgeschriebenen 2,50 Meter, weil ein kleiner, niedriger Raum ein erster Anreiz sein kann, einen Unterschlupf aus Pappe, Ästen und Plastiksäcken zu verlassen. Jemand, der jahrelang nicht „richtig“ gewohnt hat, ist mit vielem überfordert, was Bauordnung und gesellschaftliche Konventionen vorsehen. Wichtig sei, dass es sich um einzeln stehende Module handelt, die möglichst wenig dazu zwingen, sich mit anderen auseinandersetzen zu müssen.

Nun sieht die Flächenwidmung aber für den Bauplatz eine „geschlossene Bauweise“ vor. Also wurde der Widerspruch zur raumprogrammatischen Notwendigkeit mit einem gemeinsamen Dach mit Oberlichten über den Zwischenräumen, das alle Module überspannt, gelöst. Hagner plädiert auch für sanitäre Anlagen außerhalb der Wohnzellen, damit sie gewartet werden können, ohne dass dazu jemand in die Intimsphäre der Bewohner eindringen muss. Sein Credo: Je mehr so eine Unterkunft auf die Bauordnung zugeschnitten ist, umso weniger entspricht sie dem potenziellen Bewohner. Wiederholt war das Projekt zwar von den Behörden positiv beurteilt worden, weil aber der Bezirk dagegen Einspruch erhob, landete der Fall bei der städtischen Rechtsabteilung, der offenbar nichts anderes übrig blieb, als die Baugesetzgebung zu bemühen, um gegen das (ausschließlich privat finanzierte) Projekt zu entscheiden.

„Nach sechs Jahren zeichnet sich nun ein Licht am Horizont ab“, ist Alexander Hagner froh, denn seit wenigen Tagen sieht es so aus, als würden ein paar Abänderungen im Sinn der Bauordnung ausreichen, damit das Projekt umgesetzt werden kann. Der Kompromiss tut der Baugesetzgebung Genüge, optimal für die Zielgruppe sei er aber nicht. Die praktizierten Lösungen im Wohnbau generell als nicht optimal erachtet das Architektenteam Češka Priesner Partner Architektur (ČPPA). Überwiegend sind es nur drei Modelle, die im Wohnbau der letzten 100 Jahre praktiziert wurden: das Einfamilienhaus, das Reihenhaus und der in städtischen Strukturen etablierte Geschoßwohnbau.

Als vierter Typus fand schließlich Mitte des 20. Jahrhunderts der verdichtete Flachbau seine Befürworter. Alle vier haben Nachteile – ökologisch, ökonomisch oder qualitativ. „Wohnbau 5.0“ übertitelten ČPPA daher eine umfassende Studie, die einen fünften Lösungsansatz propagiert, der die Vorteile der gängigen Typologien vereint und deren Nachteile minimiert. Während die Nachfrage nach kleinen Wohnungen mit Grünbezug parallel mit zunehmenden Singlehaushalten, Alleinerziehern oder kinderlosen Paaren steigt, stießen die Architekten beim Versuch, solche Wohnungen innerhalb eigener Siedlungen umzusetzen, immer wieder an Grenzen.

Als Ziel setzten sie sich daher die Entwicklung einer verdichteten Bauform, die überwiegend zweigeschoßig ist und damit eine relativ hohe Dichte erreichen kann, neue Grundrisslösungen für Kleinwohnungen mit Gartenbezug anbietet, die Nachteile des Reihenhauses – wie zu große Wohneinheiten und einsehbare private Freiräume – vermeidet und dank kompakter Baukörper die Baukosten verringert. Für zentrale Lagen in großstädtischen Agglomerationen ist eine derartige Siedlungsstruktur weniger geeignet. An den Stadträndern und in den ländlichen Gebieten ist es aber eine attraktive Alternative zum flächenfressenden Einfamilienhaus mit all seinen negativen Begleiterscheinungen.

Was nach der sprichwörtlichen eierlegenden Wollmilchsau klingt, ist ČPPA – vorerst auf dem Papier – tatsächlich gelungen. Anhand eines Katalogs von zehn Wohnungstypen und deren Kombinationen zeigen sie auf, dass die angepeilten Eigenschaften erfüllbar sind. Teure Tiefgaragen werden vermieden, stattdessen entstehen auf den Dächern der Parkplätze Wege, Gärten und Spielflächen. Sie entwickelten sogar einen Typus, der individuelles Wohnen in der Gruppe gestattet. Damit könnte der Kommunengedanke im geförderten Wohnbau Auferstehung feiern, realitätsnäher ist aber sein Einsatz im betreuten Wohnen, daher wurde vorsorglich darauf geachtet, dass er den Anforderungen an ein Wohnheim entspricht.

Oft genug stehen Reglements baurechtlicher oder fördertechnischer Natur und deren Auslegung einem wirtschaftlichen und zugleich humanen Wohnbaus entgegen, was auch die Erkenntnis aus dieser Studie ist. Zugleich belegt sie aber ebenso wie das Engagement von Gaupenraub, dass baukünstlerische Kreativität sich nicht in Fassadenbehübschung erschöpfen muss.

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