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Turm mit Sinn
Spectrum

Die Frage nach der Verträglichkeit von Hochhäusern ist ein stadtplanerischer Dauerbrenner. In Innsbruck führte eine lange Vorgeschichte zu einem ziemlich guten Ende.

9. November 2013 - Franziska Leeb
Schon lang bevor ab den 1960er-Jahren die Hochhausbauten für das erste olympische Dorf anlässlich der Winterspiele emporwuchsen, entstand mit Lois Welzenbachers Stadtwerke-Gebäude in der Salurnerstraße 1926/27 Innsbrucks erstes Hochhaus. „Generell gibt es für Innsbruck kaum rationelle Gründe für Hochhäuser“, stellte hingegen 2002 das von der Stadt Innsbruck mit einer Hochhausstudie beauftragte Autorenteam, dem unter anderen die Architekten Pietro Caruso, Hermann Czech, Jourdan & Müller, Rainer Pirker, Rainer Köberl und Max Rieder angehörten, fest, um zugleich Potenzial aufzuzeigen, wo und unter welchen Bedingungen hohe Häuser möglich seien. Dabei wurden Zonen für „normale“ Hochhäuser ausgewiesen, aber auch ein spezieller Hochhaustyp namens „Urbanissima“ definiert, der überall widmungsfähig ist, sofern bestimmte Bedingungen der Qualitätssicherung und des sozialen Mehrwerts erfüllt werden. Die Innsbrucker Studie stieß auch im Ausland als mögliches Modell für den Umgang mit Hochhausprojekten auf Interesse. Aber just die Stadt, die sie beauftragt hat, glaubte sie schon wenige Jahre später nicht mehr ernst nehmen zu müssen.

Für das nächst dem Bahnhof gelegene Areal des im Jahr 2006 aufgelassenen Postverteilerzentrums wurde 2008 vom Investor PEMA ein Entwurf eines 60 Meter hohen Turms vorgelegt, mit dem der Innsbrucker Architekt Johann Obermoser direkt beauftragt wurde. Das forsche Vorgehen des Bauwerbers, der versuchte, die gängige Praxis der Stadtplanung, bei Bebauungsplanänderungen von städtebaulich relevantem Ausmaß einen Architekturwettbewerb voranzustellen, zu umgehen, stieß auf heftigen Widerstand. Entgegen aller Bedenken wurde dasProjekt zwar im Bauausschuss genehmigt, nach neuerlichen Protesten aber anlassbezogen ein Fachbeirat einberufen. Dessen Vetogegen das Projekt machte schließlich im Herbst 2009 den Weg frei für einen Wettbewerb, zu dem neben ausgewiesen hochkarätigen heimischen Architekturbüros auch der Franzose Dominique Perrault geladen war, der mit den Rathausgalerien in der Altstadt schon zu Anfang des Jahrtausends zu einem angenehmen Stück Stadt beigetragen hat. Gewonnen haben den Wettbewerb aber Dieter Henke und Marta Schreieck, die als junge Architekten mit dem Neubau der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät beim Hofgarten vor rund 15 Jahren ebenfalls bereits ein gutes Sensorium für Innsbruck unter Beweis gestellt haben.

Ihnen gelang es nun, für den lange unter Negativ-Schlagzeilen besprochenen Standort ein dem Stadtbild zuträgliches Bauwerk zu erdenken, für das die Marketingexperten sinnigerweise den Namen „Headline“ gefunden haben. Es besteht aus einem lang gestreckten Sockelbau zwischen Bahngeleisen und Bruneckerstraße, der sich an den Traufhöhen der gegenüberliegenden Bebauung orientiert und schließlich vor der querenden Museumsstraße mit einem Turm einen vertikalen Akzent erhält. Das Gebäude sitzt knapp am Bahnviadukt. Von der nördlichen Grundstücksgrenze hält es so viel Distanz, dass der Kopfbau, der 49 Meter hoch wurde, die Blickachse aus der Museumsstraße nicht beeinträchtigt. So nimmt das Gebäude den Dialog mit der Umgebung auf: Der Schwung der Stirnfassade geleitet die Fußgänger durch die neu geschaffene Passage unter der Bahn durch und schafft eine attraktivere fußläufige Verbindung zwischen den Stadtquartieren dies- und jenseits der Bahn.

Entlang der Bruneckerstraße verjüngt sich der Sockelbau in einem sachten Knick zur Mitte hin, schwillt gegen Ende noch einmal an, um sich am Ende wieder verschmälert zum Bahnhof zu wenden. Das alles ist der Aufenthaltsqualität im Bahnhofsquartier sehr zuträglich. Bislang hatte man, auf dem Bahnhof angekommen, angesichts der heruntergekommenen Gegend um die Bruneckerstraße nur im Sinn, via einer der Passagen am Südtirolerplatz die Direttissima in die Altstadt zu nehmen. Nun bietet das Headline-Gebäude einen Anlass, die Route über die Museumsstraße zu nehmen, zu der es sich dank der auskragenden Obergeschoße witterungsgeschützt flanieren lässt, während man sich freut, dass es den Architekten gelungen ist, den Werbewildwuchs der im Haus ansässigen Unternehmen einzudämmen. Von der Untersicht der Auskragung abgehängte schmale Zylinder übernehmen die Funktion von Firmenschildern und beleuchten zugleich den Weg.

Während aus der Passantendistanz diese kleinen fußgängerfreundlichen Annehmlichkeiten das Gebäude sympathisch machen, ist es aus der Fernwirkung verblüffend, wie sehr sein Volumen im Weichbild der Stadt aufgeht. Das liegt einerseits natürlich daran, dass es sorgfältig in die Struktur der Stadt hineinmodelliert wurde, aber auch an der Art der Fassadengestaltung. Im Wettbewerb war noch Cortenstahl vorgesehen, um mit einem warmen Rostton die Farbtemperatur der Umgebung aufzunehmen. Vom Stahl ist man im Zuge der Planungsphase abgekommen und entschied sich schließlich für Keramik, bei der sich durch die Art der verwendeten Tone und Glasuren die gewünschte Farbigkeit sehr fein justieren lässt. Die Wahl fiel auf einen orange-braunen Ton, der je nach Witterung und Tageszeit leicht variiert.

Stark charakterbildend ist die Struktur dieser Verkleidung, deren aus drei unterschiedlich dimensionierten Kurven gebildeten Profile eigens von den Architekten entworfen wurden. Am Turm werden die Keramikstreifen nach oben schmäler, ehe eine wiederum breitere Attika als Abschluss deutlich signalisiert, dass hier keinerlei Ambition bestand, in den Himmel wachsen zu wollen. Die Keramikbänder fassen Turm und Flachbau zusammen und erhöhen so auch die hierarchische Stellung des Flachbaus, der von seiner Grundkonzeption her ein Raumangebot offeriert, das leider von den Mietern nur zum Teil genutzt wird. Einzig die Moser Holding bewies hohe Auftraggeberkompetenz. Die Räumlichkeiten des Verlagshauses wurden von den Innsbrucker Architekten Schlögl & Süß gestaltet, die es sehr gut verstanden, die vorgegebene Grundstruktur mit eingeschnittenen Atrien und hohen Erdgeschoßzonen zu nutzen.

Im Hotelturm, der schließlich nach einem Betreiberwechsel doch kein YOO-Hotel von Philipp Starck geworden ist, sondern der Designhotel-Ableger eines lokalen Traditionshotels, macht am meisten die Aussicht her. Eingelullt vom Gebirgs- und Stadtpanorama ist man milde gestimmt und bedauert gleichzeitig, dass sich die neuen Betreiber bei der Konzeption des Hotels nicht der Henke Schreieck Architekten bedienten. Es vielleicht nicht ganz das geworden, was in der Hochhausstudie mit dem Fantasiebegriff „Urbanissima“ benannt wurde – eine „schwammartige Struktur..., deren Hohlräume öffentliches Leben bis in große Höhen geradezu ansaugt“. Dafür bräuchte es entsprechende programmatische Vorgaben der Stadtplanung und einen dazu bereiten Investor. Aber es ist dennoch ein in der Stadt gut geerdetes Gebäude geworden. Wichtig ist, dass die Dachterrasse wie vorgesehen öffentlich und ohne Konsumationszwang zugänglich bleibt.

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