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Hohe Häuser
Der Standard

Kommende Woche startet die Architektur-Biennale in Venedig. Der österreichische Beitrag befasst sich mit unserem Bild von Politik - und präsentiert 196 Parlamentsbauten aus aller Welt

31. Mai 2014 - Wojciech Czaja
Das Bauwerk soll aus Ziegel sein und folgende Räume beinhalten: ein Sitzungszimmer sowie einen Saal für die Abgeordneten für jeweils 300 Personen, eine Lobby mit anschließendem Antichambre, einen Raum für den Senat mit 1200 Quadratfuß sowie zwölf Zimmer zu je 600 Quadratfuß für Beamtenschaft und Gremium. Erwartet werden Grundrisse und Schnitte, Ansichten aller Fassaden sowie eine Schätzung des Ziegelvolumens der Masse aller Wände."

So lautete die Ausschreibung für den Neubau des Kapitols in Washington, D.C., die am 24. März 1792 im Dunlap's American Daily Advertiser veröffentlicht wurde. Den Wettbewerb gewann der schottische Arzt William Thornton mit einer - wie Jurymitglied George Washington damals befand - Neuinterpretation des französischen Klassizismus des 18. Jahrhunderts voller „Grandeur, Einfachheit und Komfort“.

Ein Jahr später war Baubeginn. Zwar litt das Haus zu Beginn unter einem undichten Dach, bröckelndem Putz und schimmelnden Fußböden. Zudem erwies sich das Gebäude schon bald nach seiner Fertigstellung als viel zu klein, woraufhin es massiv erweitert werden musste. Und auch die charakteristische, 82 Meter hohe Kuppel kam erst ein halbes Jahrhundert später hinzu. Dennoch: Kein anderes politisches Bauwerk der letzten 200 Jahre prägte unser Bild des demokratischen Raumes so stark wie das sich über viele Jahrzehnte allmählich aufplusternde Flickwerk am Capitol Hill.

Genau diesem Phänomen widmet sich der österreichische Pavillon in Venedig, der kommenden Freitag im Rahmen der 14. Architektur-Biennale eröffnet wird. Plenum. Places of Power nennt sich der Beitrag des diesjährigen Kommissärs Christian Kühn, der anlässlich der bevorstehenden Sanierung des österreichischen Parlaments eigentlich eine Chronologie sowie einen Ausblick auf die Zukunft von Theophil Hansens Tempelbauwerk skizzieren wollte, letztendlich aber einen globaleren Weg einschlug.

Das Resultat dieser ausufernden Reise ist ein mächtiges Kompendium, in dem die Parlamentsbauten aller Herren Länder präsentiert und miteinander verglichen werden. 196 Regierungssitze von A wie Andorra bis Z wie Zimbabwe geben Aufschluss über Architekt, Baujahr, Errichtungskosten, Größe, Form, architektonischen Stil, Regierungsform, Bevölkerungsdichte, Bruttoinlandsprodukt (BIP), Human Development Index (HDI) und Democracy Index (DI). Es ist die angeblich erste Studie dieser Art weltweit.

Politik muss alt ausschauen

„Wir haben monatelang geforscht, was gar nicht so einfach war, weil die meisten Staaten einige der Informationen wie etwa Grundriss, Raumaufteilung und Entstehungsgeschichte nicht gerne aus der Hand geben, sofern sie denn überhaupt dokumentiert sind“, erzählt Kühn. Fündig wurde man letztendlich vor allem in Zeitungen und alten Fachzeitschriften. „Ich muss gestehen, dass mich das Sammelsurium am Ende enorm überrascht hat. Damit hätte ich niemals gerechnet.“

Die größte Überraschung: Nur ein kleiner Bruchteil der weltweiten Parlamentsgebäude ist älter als 100 Jahre. Drei Viertel aller Regierungshäuser wurden erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts errichtet. Nach zeitgenössischer Architektur und neuen, womöglich sogar innovativen Bildern muss man dennoch lange suchen, denn wenn es um Politik geht, wiegt die Vergangenheit mehr als die Zukunft. Das zeigen die kleinen, weißen Modelle an der Wand des österreichischen Pavillons ganz ohne Zweifel.

„Es geht um Stabilität, Zentralität, Repräsentation und Macht“, sagt Christian Kühn im Gespräch mit dem Standard. „Und offenbar wird die Architektur mitunter schamlos missbraucht, um Assoziationsfelder wie Französische Revolution, Aufklärung und Neoklassizismus zu eröffnen - auch dort, wo die vorgesetzte Architektursprache dieser Idee ganz offensichtlich näher ist als die Politik des jeweiligen Landes.“

Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Regierungssitze in Helsinki, Finnland, und Pjöngjang, Nordkorea, einander zum Verwechseln ähnlich sehen. Das ist den Kims nicht unrecht. Und der Umstand, dass sich William Thorntons Kapitol in Washington, D.C., am Erdball dutzende Male wiederfindet, hängt wohl damit zusammen, „dass sich in unseren Köpfen ein formal-politisches Muster eingeprägt hat, von dem wir uns nicht mehr so leicht trennen können“, so Kühn.

In Abuja, Nigeria, tagt die Regierung in einem weiß-grünen Ding, dem die Ähnlichkeit zum Washingtoner Vorbild kaum abzusprechen ist. In Luanda, Angola, steht eine tomatencremesuppenrosarote Kapitol-Kopie, die erst vor wenigen Jahren aus dem autoritären Erdboden gestampft wurde. Und in Melekeok im mikronesischen Inselstaat Palau ragt ein hölzerner Kapitol-Nachbau aus dem Regenwald, der zugleich das einzige Bauwerk der neu gegründeten Hauptstadt ist. Rundherum nur Dschungel. Das Bild ist irritierend.

Dass man den Blick auch in die Zukunft richten kann, beweist ein Wettbewerbsentwurf von Coop Himmelb(l)au. Für die albanische Hauptstadt Tirana plante das Wiener Büro 2011 eine auffällige, in jeder Hinsicht reminiszenzlose Skulptur mit einem gläsernen Sitzungssaal, der vom öffentlich zugänglichen Dach Einblicke ins Regierungsgeschehen offenbaren sollte. Nachdem man dafür jedoch das Mahnmal für den einstigen Diktator Enver Hoxha hätte abreißen müssen, wurde das Projekt wieder verworfen. Realisiert wird nun eine kleinere Version dieser Idee als Annex zum historischen Gebäude des ehemaligen Geheimdienstes, ebenfalls von Coop Himmelb(l)au. Geplanter Baubeginn ist Herbst 2014.

Von Um- und Neubauplänen ist man in Österreich indes so weit entfernt wie Pjöngjang von freien Wahlen. Obwohl es im Hohen Haus in Wien wie anno dazumal in Washington, D.C., bereits an allen Ecken und Enden bröckelt und rieselt (und bisweilen auch reinregnet), war ein offener, transparenter Neubau, wie er von vielen Architekten gefordert wurde, niemals mehr als nur eine hypoethische Vision.

Das 1883 fertiggestellte Parlament - und somit eines der ältesten Regierungsgebäude der Welt - soll in den kommenden Jahren einer sogenannten „nachhaltigen Sanierung“ unterzogen werden. Kolportiertes Investitionsbudget: 360 Millionen Euro. Darauf hatte sich die 25-köpfige Kommission unter Führung von Architekt Ernst Beneder vor einem Jahr geeinigt. Nach langem Hin und Her, das bisweilen den Anschein erweckte, man sei in Schilda und nicht in Wien, steht seit 25. April 2014 der Generalplaner fest. Derzeit werden - unter Ausschluss der Öffentlichkeit - die Verhandlungsgespräche geführt.

Wien? Verpasste Chance

„Es gab einen interfraktionellen Konsens“, verrät Parlamentssprecher Alexis Wintoniak. „Der Rest unterliegt der Verschwiegenheitspflicht. Wir rechnen mit einer Entscheidung bis Herbst.“ So lautet das vorläufige Ergebnis des „Auswahlverfahrens mit wettbewerbsähnlichem Charakter“, das alle zuvor getätigten Studien und Planungsschritte - und davon nicht wenige an der Zahl - zunichtemacht. Transparente Prozesse sehen anders aus.

„Ich kann nicht verstehen, dass das Parlament in erster Linie als historische Sanierung eines Ringstraßenjuwels gesehen wird“, sagt Biennale-Kommissär Christian Kühn mit einer gewissen Unzufriedenheit in seiner Stimme, „und nicht als Jahrhundertchance, um im Medium Architektur über heutige Auffassungen von Demokratie zu diskutieren.“ In Venedig wird das nachgeholt, was in Wien verabsäumt wurde.
Am Samstag, den 7. Juni findet im Österreich-Pavillon in Venedig eine Podiumsdiskussion mit Christan Kühn, Wolf Prix, Harald Trapp und Kulturminister Josef Ostermayer statt. 13.30 Uhr, Giardini.

Pocketkatalog „Plenum. Places of Power“. Birkhäuser-Verlag. € 24,90 / 422 S.

„UmBau 27. Plenum. Orte der Macht. Sonderausgabe Biennale Venedig“. Birkhäuser-Verlag. € 19,90 /168 Seiten.

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