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„Squatten? Das klingt so illegal!“
Der Standard

Die Belgrader Architektin Iva Cukic will die Stadt vor der kompletten Privatisierung bewahren. Deshalb gründete sie vor einigen Jahren das „Ministarstvo prostora“, das Raumministerium. Wojciech Czaja traf die „Premierministerin“ letzte Woche in Alpbach.

6. September 2014 - Wojciech Czaja
STANDARD: Lesen Sie gerne Comics?

Cukic: Und wie! Sehr gern sogar. Ich bin nur etwas verwirrt über den Gesprächsbeginn.

STANDARD: Es gibt eine Science-Fiction-Comic-Serie von Warren Ellis und Chris Weston aus dem Jahr 2001. Die heißt „Ministry of Space“.

Cukic: Na echt? Die kenne ich gar nicht! Jetzt verstehe ich.

STANDARD: 2010 haben Sie das „Ministry of Space“ gegründet. Was genau kann man sich darunter vorstellen?

Cukic: Das „Ministarstvo prostora“ heißt nicht nur so, sondern ist auch tatsächlich ein Raumministerium. Wir sind ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Belgrad, und wir übernehmen all jene Agenden, die die serbische Regierung mangels Interesse, Sensibilität und Kompetenz in den letzten Jahren verabsäumt hat. Wir setzen uns mit öffentlichem Raum auseinander, erforschen und entdecken, wo es ungenutzte Ressourcen gibt, nutzen diese und geben der Bevölkerung ihren städtischen Raum zurück.

STANDARD: Wie das?

Cukic: Leute, kommt, das ist euer Raum! Nutzt und verwendet ihn! Das ist unsere Message.

STANDARD: 2011 haben Sie die alten Belgrader Inex-Filmstudios gesquattet.

Cukic: Squatten klingt so illegal. Sagen Sie das nicht! Wir haben die alte, abgefuckte Betonruine, in der früher Inex-Film beheimatet war, ausgemistet, renoviert und wieder instand gesetzt. Heute befinden sich darin Ausstellungsräume und sogar ein paar ganz einfache Wohnungen, die wir an bedürftige Menschen vergeben. Außerdem veranstalten wir auf dem Inex-Areal immer wieder Festivals und Feste.

STANDARD: Weiß der Grundstückseigentümer darüber Bescheid?

Cukic: Mittlerweile ja. Eines Tages ist plötzlich ein fremder Mann aufgetaucht, hat sich das Haus angesehen und hat sich sehr genau nach allem erkundigt. Erst am Ende hat er seine Identität gelüftet. Seitdem mögen wir uns. Wir haben ein Übereinkommen, dass wir das Grundstück so lange nutzen dürfen, bis er dafür eine andere Nutzung gefunden hat.

STANDARD: Arbeitet das Raumministerium denn legal oder illegal?

Cukic: Beides. Schreiben Sie das so rein? Ach, ist doch egal. Das wissen eh schon alle. Aber ganz im Ernst: Wo es geht, bemühen wir uns auf ganz offiziellem Wege um Bewilligungen für Projekte und Veranstaltungen sowie um Sponsorengelder. Und wo es nicht geht, legen wir eine Art freundliche Guerillataktik an den Tag.

STANDARD: Die wie aussieht?

Cukic: Hingehen, aufbauen, Strom anzapfen und loslegen.

STANDARD: Welche Taktik ist Ihnen lieber?

Cukic: Ganz ehrlich? Guerilla-Style! Wir sind vier Minister, wobei ich die Premierministerin bin, wenn Sie so wollen, aber wir haben dutzende bis hunderte Helfer - abhängig vom jeweiligen Projekt. Auf illegale Weise geht alles viel schneller. Auf diese Weise hatten wir bisher am meisten Erfolg.

STANDARD: Sind Sie schon einmal in Schwierigkeiten gekommen?

Cukic: Nein, noch nie. Außer dass mich ein Grundstückseigentümer schon einmal verprügeln wollte.

STANDARD: Arbeiten Sie auch mit dem einen oder anderen echten Ministerium zusammen?

Cukic: Wir sind ein echtes Ministerium! Wir haben zwar schon einmal versucht, mit einem anderen Ministerium zu kooperieren, aber daraus wurde nichts.

STANDARD: Nehmen sich die anderen Ministerien des Leerstandes in Belgrad bzw. allgemein in Serbien an?

Cukic: Nein. Ganz und gar nicht.

STANDARD: Wie viele Gebäude stehen denn seit der Wende 1989 leer?

Cukic: Genaue Zahlen habe ich nicht. Um nicht zu sagen: Genaue Zahlen existieren nicht, weil sie niemals erhoben wurden. Ich würde den enormen Leerstand in Serbien aber nicht so sehr auf 1989 zurückführen, sondern eher auf den Jugoslawienkrieg und auf den Zerfall des Landes Anfang der Neunzigerjahre. Durch den Krieg, durch die Sanktionen, durch die damals enorme Korruption und nicht zuletzt durch die Privatisierung, die wie eine turbokapitalistische Keule auf das Land eingeschlagen hat, kam es zu einer großen Veränderung auf dem Immobilienmarkt.

STANDARD: Was passiert mit den leeren Gebäuden heute?

Cukic: Sie stehen leer und verfallen vor sich hin. Nur um Ihnen ein Beispiel zu nennen: Allein in Belgrad stehen derzeit 14 traditionelle Kinos, die nach dem Zerfall Jugoslawiens privatisiert wurden, leer. Das sind klassische Spekulationsobjekte. Sie stehen so lange leer, bis ein attraktives, unschlagbares Angebot kommt.

STANDARD: Ein solches unschlagbares Angebot ist der Bau der neuen Belgrader Waterfront an der Save.

Cukic: Hinter dem Projekt verbirgt sich der arabische Investor und Projektentwickler Eagle Hills (Tochterunternehmen von Emaar Properties, Anm.) mit Sitz in Abu Dhabi. Die Menschen mögen das Projekt, weil sie erstens die Pläne für die Uferpromenade mitsamt dem 200 Meter hohen Belgrade Tower und dem größten Einkaufszentrum auf dem Balkan schön finden. Und zweitens herrscht allgemeiner Konsens darüber, dass es gut sei, wenn ein Investor wie Muhammad al Abar Geld nach Belgrad bringt. Immerhin reden wir da von etwa vier Milliarden Euro.

STANDARD: Das Raumministerium kämpft gegen das Projekt an. Warum?

Cukic: Weil es eine große Gefahr birgt. 14.000 Quadratmeter Land, die direkt an der Save liegen und die in Belgrad heute zu den letzten öffentlichen Wassergrundstücken zählen, würden damit auf einen Schlag privatisiert werden. Dessen und auch all der damit verbundenen Konsequenzen sind sich die meisten Belgrader nicht bewusst.

STANDARD: Wie schaut Ihre Aufklärungskampagne aus?

Cukic: Wir machen öffentliche Veranstaltungen und laden die Menschen zu moderierten Gesprächen ein. Eines der Themen, die wir immer wieder anreißen: Wer braucht schon Luxuswohnungen, wenn es in Belgrad nicht an Luxuswohnungen mangelt, sondern an leistbaren Billigwohnungen?

STANDARD: Leistbar bedeutet?

Cukic: Im Durchschnitt kostet eine klassische Wohnung in Belgrad 1400 Euro pro Quadratmeter, und das bei einem durchschnittlichen Einkommen von 500 Euro pro Monat. Das ist eine „mission impossible“. Ganz zu schweigen von den Wohnungen im Belgrade Tower. Wir brauchen keine Wohnungen um ein paar Tausend Euro pro Quadratmeter. Wir brauchen Wohnungen um 500 Euro pro Quadratmeter! Dafür versuchen wir die Menschen zu sensibilisieren.

STANDARD: Klappt das?

Cukic: Aufklärung und Sensibilisierung brauchen Zeit.

STANDARD: Denken Sie, dass das Projekt jemals realisiert wird?

Cukic: Nein. Nicht in dieser Form. Ich denke, dass sich die Regierung mit Emaar Eagle Hills darauf einigen wird, das Land für 99 Jahre zu verpachten. Der Belgrade Tower mit seinen Luxuswohnungen und Luxusbüros ist in erster Linie ein medientaugliches Lockmittel. Ob er jemals realisiert wird oder nicht, ist nebensächlich. In erster Linie geht es darum, das Grundstück zu blockieren und daraus dann Kapital zu schlagen.

STANDARD: Sie legen sich mit ganz schön großen Kapazundern an. Woher nehmen Sie Ihre Energie?

Cukic: Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich dazu beitragen will, Belgrad zu retten und vor der kompletten Privatisierung zu bewahren. Wenn die Regierung nicht schleunigst umdenkt und auch weiterhin bei jedem großen Kaufangebot mit den Ohren schlackert, weil hinter dem Dollar-Zeichen so viele Nullen stehen, dann wird die Stadt bald komplett ausverkauft sein. So weit darf es nicht kommen.

STANDARD: Wird es das Raumministerium in der nächsten Legislaturperiode noch geben?

Cukic: Daran besteht kein Zweifel.
[ Iva Cukic (32) studierte Architektur und arbeitete anschließend zwei Jahre in einem klassischen Architekturbüro. Danach war sie Assistentin an der Universität Belgrad. 2010 gründete sie das Raumministerium, dem sie nun als Premierministerin vorsteht. Zu den bisherigen Projekten gehören Squattings sowie Kulturfestivals und Kunstinstallationen im öffentlichen Raum. Bei den Baukultur-Gesprächen in Alpbach hielt sie kürzlich einen Vortrag über leistbares Wohnen. ]

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