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Schön allein ist nicht genug
Spectrum

Spitzengastronomie bietet die Gelegenheit, gutes Essen und gute Architektur an einem Ort zusammenzuführen. Mit der Erweiterung des Steirerecks im Wiener Stadtpark ist PPAG die ideale Bühne für eine Begegnung gelungen, die alle Sinne anspricht.

27. September 2014 - Christian Kühn
Gutes Essen und gute Architektur haben eines gemeinsam: Schön aussehen reicht noch lange nicht. Für das gute Essen ist dieser Grundsatz allgemein anerkannt. So schön kann sich eine Speise gar nicht auf dem Teller präsentieren – wenn sie fad schmeckt, ist sie beim Gast unten durch. In der Architektur ist die Sache etwas komplizierter. Ihr Problem ist, dass sie massenhaft über Bilder verbreitet wird und deshalb oft als primär optisches Phänomen gilt. Dass Architektur auch etwas damit zu tun hat, ob ein Raum alltagstauglich organisiert ist, wie sich seine Oberflächen anfühlen und ob er gut klingt, ist für viele Menschen alles andere als klar. Aber auch hier gilt: So schön kann ein Raum gar nicht aussehen – wenn er akustisch oder funktionell misslungen ist, kann er nicht für sich beanspruchen, gute Architektur zu sein.

Die Spitzengastronomie bietet eine perfekte Gelegenheit, gutes Essen und gute Architektur an einem Ort zusammenzuführen. Das Restaurant Steirereck der Familie Reitbauer hat den ersten Schritt in diese Richtung im Jahr 2005 gesetzt, als es seinen gutbürgerlichen Standort im dritten Bezirk aufgab und in ein teilweise denkmalgeschütztes Objekt im Wiener Stadtpark übersiedelte, die sogenannte Meierei, eine ehemalige Milchtrinkhalle aus dem Jahr 1903. Deren ursprünglicher Entwurf stammt von Friedrich Ohmann, neben Otto Wagner Leiter einer Meisterklasse an der Akademie und im Stadtpark auch für die Architektur der Wienflussausmündung verantwortlich, einer Abfolge von Treppen und Pergolen, die mit Otto Wagners angrenzender Stadtbahnstation eine recht eigenartige Symbiose eingehen.

Im Vergleich zu dieser üppig dekorierten Architektur war die Meierei ein schlichtes Gebäude mit Mansarddach und großen Bogenfenstern an beiden Hauptfronten, von denen heute – nach Kriegszerstörungen und zahlreichen Umbauten – noch das Fenster zum Wienfluss erhalten ist. Schon 2005 hatten die Reitbauers das Haus für einen Betrieb auf zwei Ebenen eingerichtet: Auf Ebene der Kaipromenade gibt es einen verglasten Zubau, der unter dem Namen Meierei als Gastraum eines eigenen Lokals mit kleiner Karte betrieben wird. Über eine Treppe verbunden liegt im Geschoß darüber das eigentliche Steirereck, dem eine große Gartenterrasse vorgelagert war. Bei der aktuellen Erweiterung ging es darum, diese Gartenterrasse mit einem neuen Gastraum zu überbauen und darunter zusätzliche Räume für Küche und Lager zu schaffen.

Die Suche nach den richtigen Architekten für die Aufgabe haben sich die Bauherren nicht leicht gemacht. Ihr ursprünglicher Plan war, einen Direktauftrag an ein Büro mit großer Erfahrung und Referenzprojekten im Gastronomiebereich zu vergeben. Das Ergebnis wäre erwartbar gut gewesen, aber nicht unbedingt herausragend. Die Bauherren entschlossen sich daher, einen Wettbewerb unter acht eingeladenen Büros auszuloben, darunter auch zwei ausländische und zwei Teams von jungen Absolventen. Jedes Team bekam ein separates Briefing in Form eines Essens mit anschließendem Blick hinter die Kulissen, wo in einem Lokal der Spitzengastronomie auf einen Koch zwei Gäste kommen und die Summe des Personals annähernd gleich mit der Anzahl der Sitzplätze anzusetzen ist.

Die Ergebnisse des Wettbewerbs waren aus der Sicht der Bauherren durchwegs hervorragend. Den Zuschlag bekam das Projekt der Architektengruppe PPAG (Anna Popelka und Georg Poduschka) vor allem, weil es die Einbeziehung des Stadtparks in die neuen Räume am besten gelöst hatte. Ihr Plan sieht im Zubau keinen großen Gastraum vor, sondern eine Struktur, die aussieht, als wäre sie wie ein Kristall von der Front des Altbaus her in mehreren Fingern in den Park gewachsen. Im Inneren ergeben sich dabei zahlreiche Nischen unterschiedlicher Figuration, in denen die Tische locker platziert sind. Trotz der Nischen wirken die Räume großzügig, da jeder Finger eine beachtliche Tiefe aufweist.

Der Haupteingang mit Windfang liegt genau zwischen den beiden mittleren Fingern und wird über einen schmalen, zum Park hin offenen Hof erreicht. Der Eingangsbereich liegt hier genau an der richtigen Stelle: Nach links bietet eine Glaswand einen ersten Blick in die obere Küche, in der ein Dutzend Köche mit weißen Hauben an der Arbeit ist. Vor dem Besucher liegt ein verglastes Weinlager und rechts ein kleines Empfangspult, das nicht aussieht wie ein Empfangspult, sondern wie eine suprematistische Skulptur. Folgt man der Erklärung der Bauherrschaft, ist das aber Zufall: Das Pult ist vor allem praktisch, und seine unterschiedlichen Höhen und Tiefen bieten mehr Möglichkeiten, mit den Gästen beim Abgeben der Garderobe ins Gespräch zu kommen.

Auf die Idee, sich selbst einen Sitzplatz zu suchen, kommen die Besucher hier schon deshalb nicht, weil erst eine Drehung um 180 Grad den Blick zu den Tischen öffnet. Dass man dort eine andere Zone betritt, macht auch der Wechsel im Bodenbelag deutlich. Im Eingangsbereich ist ein Fliesenboden in einem PPAG-typisch vertrackten Muster verlegt, dessen Logik sich erst bei genauerer Betrachtung erschließt, in den Speiseräumen ein hellgrauer Terrazzo. Ursprünglich hatten die Architekten hier einen Boden aus Kunststoffgewebe vorgeschlagen. Man entschloss sich dann doch für die harte Oberfläche, aus hygienischen Gründen, aber auch aus einem viel subtileren: Auf jedem Boden klingen die Schritte der Kellner anders, und der Kunststoff hatte für die Bauherren zu viel „Eigenleben“.

Das signifikanteste Element im Entwurf von PPAG sind die großen Schiebefenster, die sich vertikal nach oben schieben lassen und dann wie große Bilderrahmen über die Dachkante des Zubaus hinausstehen. In der Fassade wechseln sich diese Schiebelemente ab mit Verkleidungen aus matt spiegelndem Aluminium, demselben magischen Material, mit dem Kazuyo Sejima die kürzlich eröffnete Louvre-Außenstelle im französischen Lens verkleidet hat. Die polygonale Geometrie des Steirerecks bringt diese Materialien zur vollen Entfaltung: Abhängig von Licht und reflektierter Umgebung bekommt jede Fläche ihren eigenen Glanz.

Neben seinen vielen praktischen Vorzügen erfüllt das Projekt damit auch eine andere Vorgabe der Bauherren: Es bietet eine signifikante und einprägsame Figur, die den Besuchern in Erinnerung bleibt.

Wem das Ergebnis nicht „wienerisch“ genug ist, sollte bei Josef Frank nachlesen, der schon 1931 postuliert hat, dass ein beliebiges Polygon einen besseren Grundriss abgibt als ein regelmäßig-rechteckiges.

Frank wollte der Architektur ihre Gravität nehmen und hat in späteren Jahren unter dem Begriff des „Akzidentismus“ Phantasieentwürfe skizziert wie das berühmte Giraffenhaus, als dessen Urenkel man das Steirereck mit seinen hochgeschobenen Fenstern durchaus betrachten darf. Architektur mit Humor ist eine Seltenheit. PPAG ist sie hier gelungen.

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