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Bauanleitung zur gemeinsamen Sache
Der Standard

Der Sieg beim kürzlich im Palais Schwarzenberg verliehenen Superscape Award ging an den Tiroler Architekten Florian Niedworok. Er entwickelte ein vielschichtiges Anreizmodell für eine lebenswerte, dichte Stadt.

4. Oktober 2014 - Wojciech Czaja
Eine Stadt über der Stadt - davon hat schon der österreichische Filmregisseur und Drehbuchautor Fritz Lang geträumt. In seinem 1927 erschienenen Monumentalstummfilm Metropolis kann man sich in verschiedenen Ebenen von einem Hochhaus zum nächsten bewegen - ob nun zu Fuß, im Auto oder auf Schienen. Metropolis war nicht nur der weltweit erste Science-Fiction-Film in Spielfilmlänge, sondern auch eine der teuersten Produktionen der damals noch kurzen Filmgeschichte. Das waren halt noch Visionen.

Sozialer Austausch

Um genau die geht es auch beim Superscape Award 2014, der letzte Woche im Wiener Palais Schwarzenberg verliehen wurde. Beim Siegerprojekt „Pocket Mannerhatten Ottakring“ kann man sich wie zu Langs Zeiten von einem Gebäude zum nächsten begeben - nicht nur auf der Straße, sondern auch hoch oben jenseits der Gesimskante. Anders als im SW-Epos jedoch geht es ums Zu-Fuß-Gehen, ums Joggen, um den sozialen Austausch beim Kräuterzupfen und Kinderwagenschieben.

„Wien wird um 300.000 Einwohner wachsen, und das bedeutet, dass die Stadt nicht nur erweitert werden darf, sondern auch in bestehenden gründerzeitlichen Vierteln verdichtet werden muss“, sagt Florian Niedworok. Mit seinem Ottakringer Vorschlag konnte sich der Tiroler Architekt bei insgesamt 45 Einreichungen - sechs davon haben es in die zweite Runde geschafft - durchsetzen.

„Wir können die Errichtung von Wohnraum und öffentlichen Regenerationsflächen der öffentlichen Hand und den Wohnbauträgern und Investoren überlassen“, so Niedworok. „Oder aber wir finden eine Möglichkeit, wie wir die Verantwortung für Nachverdichtung und Städtebau dezentralisieren und auch private Grundstückeigentümer zum Investieren und Entwickeln animieren können.“

Und die sieht so aus: „Pocket Mannerhatten Ottakring“, eine in verbaler Hinsicht vielleicht etwas zu viel wollende Anspielung auf eine Art Mannerschnittenmanhattan im Ottakringer Taschenformat, ist eine Einladung zur Zusammenarbeit zwischen Grundstückseigentümern. Statt jedes Haus mit dem üblichen, von Bauordnung und Förderrichtlinien geforderten Ausstattungskonvolut doppelt und dreifach zu bestücken, untersucht das Projekt, wie man geschickte, auch finanziell interessante Reduktionen vornehmen könnte.

„Warum muss jedes Haus eine Tiefgarage, ein Stiegenhaus, einen Lift und einen ohnehin fast nie genutzten Gemeinschaftsraum haben?“, fragt Niedworok und schlägt vor, sich zusammenzutun und Synergieeffekte zu schaffen. Über sogenannte Servitutsrechte, die im Grundbuch fixiert wären, könnte man sich darauf einigen, gewisse Räume und Freiräume eines Hauses im Kollektiv zu nutzen. Das spart Geld und Fläche und macht auf diese Weise neue Ressourcen frei - zum Beispiel für eine gemeinsame, straßenblockübergreifende Gartenlandschaft über den Dächern der Stadt. Gemeinsame Sache statt Grundstücksgrenzenegois- mus. Die Visualisierungen sind unmissverständlich.

Warum sollte man das haben wollen sollen? Der Clou liegt im Detail. Als Dankeschön für die Initiative könnte sich die Stadt beim Grundstückseigentümer beispielsweise in Form einer etwas ausgedehnten Flächenwidmung bedanken - etwa indem man das maximal bebaubare Volumen geringfügig nach oben korrigiert. Viele Fliegen auf einen Streich: 1. Die Bevölkerung nimmt ihre Ei-genverantwortung wahr. 2. Die Stadt wird lebenswerter und vielfältiger. 3. Die öffentliche Hand kann einen Teil ihres Mammutprojekts anderen übergeben, indem diese die Stadt mitverdichten. 4. Ankurbelung der Bauwirtschaft. 5. Wesentlicher Beitrag zum bevorstehenden Wohnungsengpass, der einen weiteren Anstieg der Immobilienpreise befürchten lässt.

Ob das alles so realistisch ist? „Natürlich müsste man hie und da an juristischen Schräubchen drehen, aber irgendwie müssen wir uns dem bevorstehenden Wachstum sowieso stellen“, meint der 32-jährige Architekt. „Wenn die Stadt Wien und die Bauträger und Investoren das wollen, dann wird sich auch ein Weg finden.“

20.000 Euro Siegerprämie

Auslober des mit 20.000 Euro Siegerprämie dotierten Awards ist der Wiener Immobilienentwickler JP. „Für ein gutes Wohn- und Lebensgefühl in der Stadt braucht es mehr als nur die eigenen vier Wände“, sagt JP-Geschäftsführer Martin Müller. „Es braucht auch Visionen und Utopien. Nur so kann man die Entwicklung vorantreiben. Deshalb wollen wir hier einen Beitrag leisten.“

Das weit in eine soziowirtschaftliche, kollektiv intelligente Zukunft vorgreifende Konzept, das von der Jury (Wolfgang Kos, Peter Mörtenböck, Jana Revedin und Laura Spinadel) auserkoren wurde, könnte schon bald Wirklichkeit werden. Denn wenn man dem Unternehmen glaubt, so will es mit dem Wettbewerbsgewinner mögliche Schritte zur Realisierung andenken. Man darf gespannt sein. Der Superscape Award soll biennal ausgelobt werden. 2016 geht's weiter.

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