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Orientiert euch!
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Und jetzt alle gemeinsam: Das Wiener Museum für angewandte Kunst sucht mit der Vienna Biennale nach einer neuartigen Einheit der Künste im Zeitalter der „Digitalen Moderne“. Lässt sich so die Welt verbessern? Eine Vorschau.

6. Juni 2015 - Christian Kühn
Wie können Kunst, Architektur und Design zur Verbesserungder Welt beitragen? Schon bei seinem Amtsantritt als Direktor des Wiener Museums für angewandte Kunst im Herbst 2011 kondensierte Christoph Thun-Hohenstein sein Konzept für die zukünftige Entwicklung des MAK auf diese knappe Fragestellung. Die Kunst-, Architektur- und Designszene nickte diese Ansage freundlich ab, erinnerte sich etwas wehmütig an Installationen wie die fliegende Dampfwalze von Chris Burden, die es nun wohl so bald nicht mehr im MAK zu sehen geben würde, und ging zur Tagesordnung über.

Seither sind vier Jahre vergangen, und das MAK hat seine Sammlung neu aufgestellt, ein neues „Design Labor“ im Keller installiert, und ein vielfältiges Ausstellungsprogramm geboten. Aus Sicht der Architektur blieb vieles in guter Erinnerung, etwa die große Retrospektive zu Hans Hollein, die Recherche über die Produktionsbedingungen für Architektur im Fernen Osten („Eastern Promises“) und zuletzt „Wege der Moderne“ über Josef Hoffmann und Adolf Loos. Dazu wurden der jüngeren Szene Möglichkeiten geboten, sich zu positionieren, etwa Soma und „Alles wird gut“ mit kleinen Einzelausstellungen.

Und die Verbesserung der Welt durch Kunst, Architektur und Design? Christoph Thun-Hohenstein hatte schon zu seinem Amtsantritt angekündigt, dass diese Frage nicht nur als Leitmotiv seines Programms zu verstehen sei, sondern als eigener Schwerpunkt mit eigenem Format unter dem Arbeitstitel „Ideas for Change: Ideen für den positiven Wandel“. Ursprünglich war an eine Triennale gedacht, letztlich entschied sich das MAK für eine Biennale, deren erste Ausgabe am 11. Juni eröffnet wird.

Die Vienna Biennale ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Sie ist weltweit die einzige Mehrsparten-Biennale, in der Kunst, Architektur und Design gemeinsam thematisiert werden. Und sie hat ein klares inhaltliches Programm, das zwei Zukunftsfragen der Menschheit in den Mittelpunkt stellt: die Überbeanspruchung des Planeten Erde und die Digitalisierung des Lebens mit ihren positiven wie negativen Folgen. Im 250 Seiten starken Katalog zur Biennale, der um zehn Euro zu erstehen sein wird, sprechen die Autoren von einer „Digitalen Moderne“, die einen „radikalen Einstellungswandel sowohl in den reichen Industrieländern als auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern erfordert“. Zugleich bedürfe es, da „auch die Kreativsparten immer stärker im Sinne herkömmlichen Wachstums instrumentalisiert wurden, zu ihrer Erneuerung einer Kreativitätsreform“. Ansätze dafür seien bereits zu erkennen: „In Design und Architektur wird positiver Wandel immer mehr zum Kernthema, und auch die bildende Kunst findet Wege, zur Verbesserung der Welt beizutragen, ohne deshalb gleich ,angewandt‘ zu werden.“ Eine nachhaltige Überwindung der ökonomischen Eigeninteressen und der Selbstbezogenheit der Sparten werde aber erst möglich, wenn „sich Kunst, Design und Architektur zu einer neuartigen Einheit der Künste verbinden“.

Diesem hohen Anspruch folgend, ist die Vienna Biennale ein Großprojekt geworden, an dem zahlreiche Institutionen beteiligt sind. Ausstellungsorte sind neben dem MAK auch die Kunsthalle Wien und die Universität für angewandte Kunst sowie der öffentliche Raum, der mit Installationen und im Rahmen eines Performing Public Art Festivals bespielt wird. Thun-Hohenstein hat vier internationale Kuratorinnen und Kuratoren eingeladen, das Programm zu gestalten. Maria Lind, Direktorin der Tensta Konsthall in Stockholm, zeigt unter dem Titel „Future Light“ im MAK eine Gruppenausstellung und in der Kunsthalle Wien filmische Installationen von Pauline Boudry und Renate Lorenz. Pedro Gadanho, Kurator für zeitgenössische Kunst des MoMa in New York, präsentiert Projekte zum „Taktischen Urbanismus“ in sechs Weltmetropropolen, Mumbai, Istanbul, New York, Rio de Janeiro, Hongkong und Lagos. Peter Weibel wirft im MAK einen Blick auf eine Stadt des ehemaligen Ostblocks: „Mapping Bucharest: Art, Memory, and Revolution 1916–2016“. Harald Gründl, Vorstand des Instituts für Design Research in Wien, hat zehn Projekte initiiert, die sich mit zukünftigen Entwicklungen in den Bereichen Mobilität, Arbeit, Geld, Gesundheit, Wohnen, Versorgung, Gastfreundschaft, Bildung, Konsum und Unterhaltung im Kontext des städtischen Alltags befassen: „2051: Smart Life in the City“.

Gezeigt werden die Projekte einerseits in einer Zusammenschau im MAK, bei der die Milliardenstadt Hypotopia, die vergangenes Jahr von Studierenden der Technischen Universität Wien vor der Karlskirche als Modell aufgebaut wurde, als roter Faden dient, und andererseits an mehreren Standorten im öffentlichen Raum, an denen „Demonstratoren“ zu den Projekten aufgebaut werden. Um die Zukunft der Arbeit unter den Bedingungen der „Digitalen Moderne“ geht es in den von Marlies Wirth unter dem Titel „24/7“ kuratierten Kunstprojekten in der MAK Galerie und in einem vom Biennale Circle mit Erwin Bauer gestalteten Ausstellungsmanifest im Obergeschoß der Säulenhalle.

Mit einem konkreten Baublock in der Seestadt Aspern befasst sich ein Wettbewerb,bei dem sieben vom Direktor des AzW, Dietmar Steiner, ausgewählte internationale Architekturbüros – Kempe Thill, Bevk Perović, Gino Zucchi, Helen & Hard, Hild und K, Lacaton & Vassal und von Ballmoos Krucker –eingeladen wurden, alternative Herangehensweisen der Stadtentwicklung zu erproben, insbesondere in Bezug auf die Nutzungsoffenheit der Strukturen. Gezeigt werden diese Projekte ab 12. Juni im Architekturzentrum Wien.

Wie weit die Vienna Biennale ihre hohen Ansprüche einlösen kann, und ob sie dabei auch die erhoffte internationale Wirkung erreicht, werden die nächsten Monate bis Anfang Oktober zeigen. Die Besucher auf das Format einer Biennale einzuschwören, bei der die „neuartige Einheit der Künste“ vor allem dann erlebt wird, wenn man sich ein paar Tage Zeit nimmt, wird vielleicht noch nicht beim ersten Mal gelingen. Der Schritt eines Museums, sich das scheinbar Unmögliche, nämlich die Verbesserung der Welt durch die Künste, zur Aufgabe zu machen, hat jedenfalls Respekt verdient.

Aber ist das nicht alles doch etwas zu gutmenschenmäßig? Sollten wir uns nicht doch an Stéphane Hessels Empfehlung „Empört Euch!“ halten? Die Botschaft der Vienna Biennale ist anders: Orientiert euch! Und sucht den Punkt, von dem aus ihr wirksam zu einer Verbesserung der Welt beitragen könnt.

Das könnte in Österreich aus aktuellem Anlass die Frage der Unterbringung von Flüchtlingen sein, die derzeit von baurechtlichen Erlässen und dem taktischen Aufbau von Zeltlagern dominiert wird. Die elende Fantasielosigkeit, mit der hier auf fast allen Ebenen agiert wird, ist beschämend. Eine „digitale Moderne“ sollte diese Aufgabe wohl anders bewältigen können, durch bessere Kommunikation und Planung, durch Architektur und Design und nicht zuletzt durch eine Kunst, die sich vielleicht als „zugewandt“ deklarieren könnte.

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