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Lernen von den Dänen
Spectrum

Mit seinen jüngsten Projekten katapultiert sich der Däne Bjarke Ingels in die erste Reihe der Weltarchitektur. Ist Dänemark auf dem Weg zu einer führenden Architekturnation?

4. Juli 2015 - Christian Kühn
Wie lange dauert der Weg an die Weltspitze? Im Jahr 2003 eröffnete in Kopenhagen das Restaurant Noma, dessen 1977 geborener Küchenchef René Redzepi sich 2005 mit neuer nordischer Küche seinen ersten Michelinstern erkochte. Zwei Jahre darauf wurde Noma mit zwei Michelinsternen ausgezeichnet, bevor es in den Jahren 2010 bis 2014 vom britischen „Restaurant Magazine“ viermal zum besten Restaurant der Welt erklärt wurde.

In der Kochkunst verwundern solche Blitzkarrieren heute niemanden. In der Baukunst sieht es anders aus. Architektur gilt als Old Man's Job; in Wien wird gerne Otto Wagners Aussage zitiert, dass der Baukunstjünger erst ab 50 ernst zu nehmen sei. Umso bemerkenswerter ist die Karriere von Bjarke Ingels, Jahrgang 1974, der nach drei Lehrjahren bei Rem Koolhaas im Jahr 2005 sein eigenes Architekturbüro eröffnete. BIG steht für Bjarke Ingels Group und ist repräsentativ für das Ego seines Gründers. BIG erregte erstes Aufsehen mit Wohnbauten in Kopenhagen, mit dem dänischen Expo-Pavillon in Shanghai und mit einem in Bau befindlichen Wohnhaus in New York: einem Hybrid zwischen Blockrandbebauung und Skyscraper.

Auf dieses Hochhaus folgte nun ein weiteres Projekt, das an Prestige kaum zu überbieten ist. BIG wird das Two World Trade Center in New York planen, den zweithöchsten der neuen WTC-Türme, für den bereits ein Projekt von Sir Norman Foster existierte, das dem zukünftigen Hauptmieter aber zu konventionell war: James Murdoch, der Sohndes Medienmoguls, vergab den Auftrag an BIG. Nun wird Fox News in ein Hochhaus einziehen, das aus sieben gestapelten und leicht gegeneinander versetzten Kuben besteht. Der Entwurf bildet zum Ground Zero hin eine ruhige Figur, die sich Richtung Tribeca abstuft und mit ihren begrünten Terrassen einen einzigartigen Beitrag zur New Yorker Skyline leisten wird.

Mit diesem Coup dürfte Ingels seine Kritiker, die ihm gerne vorwerfen, keine ernsthafte Architektur zu produzieren, zumindest verunsichert haben. Den doppelt so alten Norman Foster an diesem Ort aus einem Auftrag gedrängt zu haben positioniert ihn jedenfalls in der ersten Reihe der Weltarchitektur. Den latenten Vorwurf, er sei so erfolgreich, weil er zwar Talent, aber keinen Charakter hätte, wird er mit diesem Projekt aber kaum aus der Welt schaffen. Kann man guten Gewissens für Fox News bauen?

Ähnlichen Vorwürfen sah sich Rem Koolhaas ausgesetzt, als er für das chinesische Staatsfernsehen das CCTV-Gebäude in Peking entwarf. Koolhaas' Antwort darauf lautet in Kurzfassung: Wir müssen als Architekten aufhören, uns für Dinge verantwortlich zu fühlen, die wir nicht beeinflussen können. Wenn sich die Gelegenheit bietet, außergewöhnliche Architektur umzusetzen, sollten wir sie nutzen. Unter außergewöhnlich versteht Koolhaas dabei aber nicht primär die Form, sondern die Funktionslogik eines Gebäudes, die vom Architekten neu interpretiert werden müsse. Dass sich diese Interpretation in einer außergewöhnlichen Form äußert, ist ein Nebeneffekt, auf dessen Eintreten beim Entwurf natürlich penibel geachtet wird. Das Anliegen, die Welt durch Architektur zu verbessern, hat Koolhaas dabei nicht aufgegeben. Es tritt aber nicht mehrals großspurige Ansage auf, sondern ist in den Entwurf als Potenzial eingewoben. Das CCTV-Gebäude, das als Bauaufgabe George Orwells Ministerium für Wahrheit entspricht, ist bei Koolhaas kein Superzeichender Macht, sondern eine wunderbare Raumschleife, die jeden Moment zu kippen droht. Niemand, der hier arbeitet, kann sich dieser Botschaft, die der Hierarchie eines totalitären Staatsapparats diametral entgegensteht, völlig entziehen.

Man könnte diese Haltung als „kritischen Opportunismus“ bezeichnen. Im Unterschiedzu Koolhaas geht Ingels dabei mit einer bemerkenswerten Portion Humor ans Werk. Für jedes der Projekte von BIG hat er eine Erklärung parat, die den Entwurf wie eine Ikea-Bauanleitung erklärt. So gewinnt man Bauherren, die in der Regel keine Freunde von Komplexität sind. Tatsächlich sind die Projekte von BIG alles andere als simpel. Mit dem 8 House in Kopenhagen, einem Gebäude mit 60.000 Quadratmetern Wohnungen und 10.000 Quadratmetern Büro- und Geschäftsflächen, ist Ingels der wahrscheinlich komplexeste Wohnbau der Welt gelungen, eine gigantische Achterschleife mit Wohnungen auf zehn Geschoßen, von denen die meisten ohne Lift über Rampen erreichbar sind. Ebenfalls in Kopenhagen liegt ein in Bau befindliches Heizkraftwerk, das Ingels mit einer Skipiste umhüllt und mit einem Schornstein ausstattet, aus dem der Abgasdampf nicht kontinuierlich aufsteigt, sondernin ringförmigen Portionen auspufft, womit aus einer diffusen Umweltbelastung eine abzählbare wird. Mit dem dänischen Schifffahrtsmuseum in Helsingør, 50 Kilometer nördlich von Kopenhagen, hat BIG 2013 seinen ersten Kulturbau errichtet. Statt wie vorgesehen ein altes Trockendock mit einem Museum zu füllen, entwarf BIG ein versenktes Museum um das Dock herum, dessen Hohlraum nur von einigen Brückenbauten durchzogen wird.

Dass Bjarke Ingels ausgerechnet von Dänemark aus eine Weltkarriere starten konnte, ist kein Zufall. Gestaltung hat in Dänemark hohen Rang, nicht zuletzt aufgrund der großen, von Architekten getragenen Designtradition, also im kleinen Maßstab des täglichen Lebens. Andererseits zeichnet sich Dänemark durch eine hervorragende Stadt- und Raumplanung aus. Als das Kulturministerium 2006 einen Kanon mit den wichtigsten kulturellen Leistungen des Landes zusammenstellte, gehörte dazu auch der „Fünf-Finger-Plan“, die Raumplanung für die Region Kopenhagen. Last but not least wissen die Dänen seit der Schaffung der Øresund-Region durch die Brückenverbindung zwischen Oslo und Kopenhagen, was sie vorausschauender Planung zu verdanken haben: einen boomenden Wirtschaftsraum mit 3,8 Millionen Bewohnern.

Zwischen Design und Raumplanung ist in Dänemark viel Platz für gute Architektur und Freiraumplanung. Ab 2017 wird diesen Themen ein neues Haus gewidmet sein, das vom Dänischen Architektur Center bespielt wird. Es entsteht gerade in prominenter Lagean der Wasserkante der Altstadt. Das gemischte Raumprogramm umfasst inklusive einiger Wohnungen 17.000 Quadratmeter. Dieses Projekt musste BIG noch dem Übervater überlassen: Der Entwurf stammt von Rem Koolhaas.

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