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Gestapelt und gereiht
Spectrum

Eine kleine feine Wohnanlage in Brunn am Gebirge, geplant vom Büro Češka Priesner, schafft den Spagat zwischen Wohnqualität, Sparsamkeit und architektonischem Anspruch.

25. Juli 2015 - Franziska Leeb
Das Atriumreihenhaus in Brunn sei vom Plan her sympathisch gewesen, erzählt eine junge Mutter. Weit und breit sei nichts Vergleichbares – ein modernes Reihenhaus mit sichtgeschütztem Freiraum – zu finden gewesen. Zwar seien sie anfangs skeptisch gewesen, ob über das Atrium ausreichend Licht in die Wohnräume gelange, die Bedenken hätten sich aber nach der Besichtigung als unbegründet herausgestellt. Glück gehabt, denn Atriumhäuser sind eine aussterbende Spezies. Das läge daran, so Georg Hurka vom Büro Češka Priesner Partner Architektur (ČPPA), dass bei diesem Haustypus die Relation zwischen Nutzfläche und Hüllfläche relativ groß sei und sich ungünstigere Werte bei Berechnung der Energieeffizienz ergeben. Im geförderten Wohnbau werden daher Atriumtypen kaum noch realisiert. Neun konnten in einer Siedlung von ČPPA (Eva Češka, Friedrich Priesner und Georg Hurka) in Brunn am Gebirge dennoch gebaut werden – frei finanziert, im Gegensatz zum geförderten zweiten Siedlungsteil, in dem Geschoßwohnungen und Maisonetten zu einem kompakten Dreigeschoßer gestapelt wurden.

Die Siedlung an der Friedrich-Kranzelmayer-Gasse schließt westlich an die Terrassenhaussiedlung Goldtruhe von Hans Puchhammer und Gunther Wawrik an, die in den Jahren 1967 bis 1969 von der gleichen Wohnbaugesellschaft, der Gewog, errichtet wurde. Zehn Jahre, nachdem sie die nach einer alten Flurbezeichnung benannte Siedlung entworfen haben, und sieben Jahre nach Fertigstellung resümierten Puchhammer und Wawrik 1976 in der Schweizer Zeitschrift „Bauen + Wohnen“: „Die Durchsetzung von Veränderungen an dem gemeinsamen Eigentum, die Bildung einer aktionsfähigen Gemeinschaft ist vorläufig in Versuchen steckengeblieben – wie anderenorts auch. Aber die Durchdringung von Außen- und Innenräumen, die halböffentlichen Übergangsbereiche, die Möglichkeiten zum Auswuchern der Wohnungen in den Freiraum und zum Zeigen von Präsenzsymbolen nach außen werden offensichtlich sehr gern angenommen.“ Ihren ersten größeren Wohnbau haben die damals jungen Architekten als Beginn einer Entwicklung gesehen, er blieb allerdings, wie so viele Innovationen im Wohnbau, ein Exot. Allerdings einer, dessen mehrfach gewürdigte Qualitäten bis heute – trotz etwas geschmäcklerischer Färbelung im Zuge einer Sanierung – Bestand haben.

Die weitaus kleinere Anlage von ČPPA nimmt durch die parallele Stellung der zwei Siedlungsteile entlang eines Mittelweges auf das Wegenetz der Goldtruhen-Siedlung Bezug. Durchwegung zwischen den Siedlungen gibt es allerdings keine – dafür sorgt ein Maschendrahtzaun. Zäune grenzen auch die Gärten der erdgeschoßigen Wohnungen untereinander und zum Weg hin ab. Das ist der größte Wermutstropfen in der kleinen feinen Anlage. Die von ČPPA ursprünglich vorgesehenen Wände zwischen den Gärten beziehungsweise Zaun-Wand-Kombinationen zum Weg hin hätten nicht nur den Privatgärten Schutz vor Einsehbarkeit gegeben, sondern auch dem Freiraum mehr Halt gegeben. Zäune sind billiger zu errichten und deshalb nicht auszurotten, die Mieter investieren dafür das Ersparte in Sichtschutzlösungen, die sie im Baumarkt finden. Zumindest einige Relikte wie die an den Enden abschließenden Mauern und die in Sitzhöhe mit Betonwänden umfangenen Grüninseln geben eine vage Idee davon, was die Architekten vorgehabt hätten. Strukturell und in der Höhenstaffelung leitet die Siedlung von der Goldtruhe zum benachbarten kleinteiligen Einfamilienhaussiedlungsgebiet und zum Grüngürtel über. Straßenseitig geben die fensterlose Wand der Atriumhauszeile und vor dem Geschoßwohnungstrakt, ein niedriger Winkel, der Tiefgarageneinfahrt, Müllraum sowie Fahrradabstellraum zusammenfasst und zugleich die Besucherparkplätze umgrenzt, eine städtebaulich beruhigende Fassung. Dies schafft mit einfachen Mitteln Distanz zur Öffentlichkeit und ein angenehmes Entree. Ein direkter Durchgang vom Parkplatz zwischen Müllraum und Fahrradabstellraum zur siedlungsinternen Freifläche sorgt für kurze Alltagswege.

Bei den 99 Quadratmeter Wohnfläche umfassenden Atriumhäusern entstanden durch Rücksprünge kleine Vorplätze um die überdachten Eingänge. Die langgestreckten Grundrisse erlauben die Unterteilung in Drei- oder Vierzimmerwohnungen. Wohnraum und jeweils zwei Zimmer haben Zugang zum 15 Quadratmeter großen Atrium. An der Eingangsseite wurden im Süden sichtgeschützte Terrassen ausgebildet, die in die Gärten übergehen.

Ein abwechslungsreiches Freiraumangebot ergänzt den Trakt mit den Geschoßwohnungen. Das von oben belichtete Treppenhaus bildet eine Zäsur zwischen dem Kopfbau mit Kleinwohnungen und führt auf den nordseitigen Laubengang, von dem aus die Maisonetten im zweiten und dritten Stock erschlossen sind. Im unteren Geschoß öffnen sie sich auf Terrassen, die durch Sichtbetonwände zum jeweiligen Nachbarn hin und semitransparent gelochte, leicht nach vorn geneigte Metallbrüstungen genug Intimität bieten. Zwecks Betonung der Horizontalen wurde in die Brüstung ein durchlaufender Pflanztrog integriert, der nach Belieben mit Blumentöpfen und Kisten ausgestattet werden kann. Das erleichtert den Bewohnern die Wahl der Pflanzgefäße, die somit nicht sichtbar sind, und trägt zur visuellen Beruhigung bei. Mittlerweile ist der Trog über die ganze Länge gut bestückt: Es zeigt sich, wie mit ganz kleinen Maßnahmen eine große Wirkung – ästhetisch wie praktisch – erzielt werden kann. In den oberen Maisonettegeschoßen öffnen sich die Fenster der südlichen Zimmer auf vom Flur aus begehbare Terrassen mit massiven Brüstungen, die fast Hofcharakter haben.

Große Experimente sind im geförderten Wohnbau heute – leider – nicht mehr möglich. Wie schon bei früheren Wiener Siedlungen zeigt ČPPA aber, dass der Wohlfühlfaktor in einer Siedlung nicht von spektakulären Zeichen, sondern kleinen Gesten abhängt. Empathie für die Bedürfnisse der Bewohnerschaft und das Wissen um die Wichtigkeit der oft nebensächlich bis gar nicht behandelten Schnittstellen zwischen privatem Rückzugsraum und der Umgebung bewirken mehr als Farb- und Materialschlachten. Ebenso wie der Nachbar aus den Sechzigerjahren, auch eines der raren gelungenen Beispiele im niederösterreichischen Siedlungsbau.

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