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Kons­truk­ti­ve Her­bergs­su­che
Der Standard

Ös­ter­reich stellt sich auf der Ar­chi­tek­tur­bien­na­le 2016 dem The­ma Flücht­lin­ge. Doch Ge­dan­ken da­rü­ber ha­ben sich die Ar­chi­tek­ten schon län­ger ge­macht. Da­bei geht es nicht um Hoch­glanz-Meis­ter­wer­ke, son­dern um ganz ein­fa­che Din­ge.

19. Dezember 2015 - Wojciech Czaja, Maik Novotny
Manch­mal hilft es, sich aufs We­sent­li­che zu be­sin­nen, auch wenn die­ses We­sent­li­che auf den er­sten Blick ba­nal er­scheint. „Or­te für Men­schen“, der Ti­tel des Ös­ter­reich-Bei­trags für die Ar­chi­tek­tur-Bien­na­le 2016 ist so ein Fall. Or­te für Men­schen – das ist im Grun­de ei­ne Tä­tig­keits­be­schrei­bung für das, was Ar­chi­tek­ten tun.

Doch das All­ge­mei­ne re­sul­tier­te aus dem Aku­ten: „Im Som­mer, als wir beim Brains­tor­ming zum Bien­na­le-Bei­trag sa­ßen, hat uns das The­ma Flücht­lin­ge stark be­wegt“, er­klär­te Bien­na­le-Kom­mis­sä­rin El­ke De­lu­gan-Meissl bei der Prä­sen­ta­ti­on des Kon­zepts An­fang die­ser Wo­che. Die 2016 in Ve­ne­dig aus­ge­stell­ten Or­te für Men­schen wer­den da­her drei kon­kre­te Stand­or­te in Wien sein, an de­nen sich die Te­ams Ca­ra­mel Ar­chi­tek­ten, the Next Ent­er­pri­se und Eoos in den näch­sten Mo­na­ten zur neu­en Hei­mat für Flücht­lin­ge wer­den las­sen.

So om­ni­prä­sent war und ist das The­ma in die­sem Jahr, dass es kaum wun­dert, dass auch an­de­re Bien­na­le-Na­tio­nen sich sei­ner an­ge­nom­men ha­ben: Deutsch­lands Bei­trag steht un­ter dem be­wusst pro­vo­kan­ten Mot­to: „Ma­king Hei­mat. Ger­ma­ny, Ar­ri­val Coun­try.“ Ganz im Sin­ne des Mer­kel’schen „Wir schaf­fen das!“ sol­len da­bei deut­sche An­kunfts­städ­te un­ter­sucht und die Er­geb­nis­se ei­nes „Call for Pro­jects“ vor­ge­stellt wer­den, den das Deut­sche Ar­chi­tek­turm­useum Frank­furt (DAM) im No­vem­ber aus­sand­te, um Bau­ide­en für Flücht­lin­ge zu sam­meln.

Dass dies kei­ne Schau der Hoch­glanz­vi­sio­nen wird, ist ab­zu­se­hen, denn die Bei­trä­ge, die Ar­chi­tek­ten bis­her zur kons­truk­ti­ven Nots­tands­hil­fe ge­leis­tet ha­ben, sind be­wusst prag­ma­tisch. Schon 2014 fan­den sich in Wien die IG Ar­chi­tek­tur und die NGO „Ar­chi­tek­tur oh­ne Gren­zen“ zu­sam­men, um sich un­ter dem Mot­to „Kein Ort. Nir­gends“ in Ar­beits­grup­pen auf die Su­che nach Lö­sun­gen zu ma­chen. Ei­ne da­von ist die In­nen­ge­stal­tung der Asyl­be­wer­be­run­ter­kunft Haus Da­ria, das die Ca­ri­tas in Wien-Fa­vor­iten be­treibt. Der Be­darf, so die be­tei­lig­ten Ar­chi­tek­ten uni­so­no, sei eben vor al­lem die Mo­bi­li­sie­rung des Leers­tands. Ein schi­ckes De­sig­ner-Flücht­lings­heim auf dem Prä­sen­tier­tel­ler wür­de wohl bei al­len Be­tei­lig­ten für Ma­gen­grim­men sor­gen.

An­ge­sichts des sen­si­blen The­mas war Ös­ter­reichs Bien­na­le-Te­am be­müht, zu be­to­nen, es ge­he ge­ne­rell um Räu­me für Hilfs­be­dürf­ti­ge, ob Flücht­lin­ge oder nicht. Auch ein Sym­po­si­um un­ter dem Ti­tel „Ho­me not Shel­ter“ am vo­ri­gen Wo­che­nen­de fass­te den Rah­men wei­ter, bis hin zum leist­ba­ren Woh­nen. „Ho­me not Shel­ter“ ist ei­ne Ko­ope­ra­ti­on der TU Wien mit vier deut­schen Hoch­schu­len zum The­ma „Ge­mein­sam le­ben statt ge­trennt woh­nen.“ Die Er­geb­nis­se wer­den 2016 zu se­hen sein. „Es geht bei der Auf­ga­be da­rum, so pro­gram­ma­tisch zu den­ken, dass die Me­tho­de auch an­dern­orts an­ge­wen­det wer­den kann“, sagt Ale­xan­der Hag­ner von Gau­pen­raub Ar­chi­tek­ten, der die Wie­ner Stu­den­ten be­treut.

Eben­falls Teil des Te­ams ist die Leib­niz-Uni­ver­si­tät Han­no­ver, dort ent­war­fen Ar­chi­tek­turs­tu­den­ten schon im Rah­men ei­nes Wett­be­werbs Woh­nun­gen für Flücht­lin­ge. Der Ti­tel: „The Peo­ples Pro­ject“. Mit­te die­ser Wo­che wur­den die be­sten Pro­jek­te von ei­ner Ju­ry aus­ge­wählt. Bis Fe­bru­ar 2016 sol­len die Ent­wür­fe wei­ter­ent­wi­ckelt und an­schlie­ßend auf dem Ge­län­de vor der Fa­kul­tät für Ar­chi­tek­tur und Land­schaft in Han­no­ver-Her­ren­hau­sen ge­baut und be­wohnt wer­den.

Men­schen­wür­di­ger Wohn­raum

„Die schein­bar so gro­ßen Hin­der­nis­se wie die Ein­hal­tung tech­ni­scher und äs­the­ti­scher Stan­dards so­wie die Be­zahl­bar­keit durch die öf­fent­li­che Hand sind über­wind­bar, wie die Pra­xis un­miss­ver­ständ­lich zeigt“, sagt Mar­kus Gild­ner, Ini­ti­ator und Ent­wi­ckler des Pro­jekts. „Es ist mög­lich, Flücht­lin­gen ei­nen men­schen­wür­di­gen Wohn­raum in­mit­ten un­se­rer Ge­sell­schaft zu bie­ten. Es braucht nur ech­ten Wil­len, mu­ti­ge In­ves­to­ren, wil­li­ge Be­hör­den­lei­ter und ehr­gei­zi­ge Po­li­ti­ker.“

Und manch­mal auch die Pri­vat­ini­tia­ti­ve ei­ni­ger we­ni­ger Pro­ta­go­nis­ten. Im Inns­bru­cker Stadt­vier­tel Sag­gen, nur ei­nen Stein­wurf von der In­nens­tadt ent­fernt, wur­de En­de No­vem­ber die „HER­ber­ge“ fer­tig­ge­stellt. Das Pro­jekt um­fasst 45 Wohn­ein­hei­ten für ins­ge­samt 131 Flücht­lin­ge. Die Re­vi­ta­li­sie­rung des ehe­ma­li­gen Klos­ter­schu­len-Mäd­chen­wohn­heims, das 1960 er­rich­tet wur­de und seit 2008 leers­tand, geht auf ei­ne Ini­tia­ti­ve des Or­dens der Barm­her­zi­gen Schwes­tern zu­rück.

„Tat­sa­che ist, dass die Kir­che über ei­ni­ge leers­te­hen­de Bau­ten ver­fügt“, sagt Schwes­ter Pia Re­gi­na im Ge­spräch mit dem Stan­dard . Die 71-Jäh­ri­ge ist Pro­vinz­vi­ka­rin der Barm­her­zi­gen Schwes­tern und war in das Pro­jekt stark in­vol­viert. „Nach­dem es un­se­re Auf­ga­be als Or­den ist, Men­schen in der Not zu hel­fen, war für uns klar, dass wir die Zur­ver­fü­gungs­tel­lung des ehe­ma­li­gen Wohn­heims auf un­se­rem Grund­stück als Auf­trag se­hen müs­sen. Wir sind zwar schon alt, und ei­ni­ge von uns kön­nen nicht mehr rich­tig zu­pa­cken, aber das war der Bei­trag, den wir leis­ten kön­nen.“

Das Ge­bäu­de wur­de ge­dämmt, mit neu­en Sa­ni­tär- und Elek­tro­ins­tal­la­tio­nen aus­ge­stat­tet so­wie mit ei­ner neu­en Hei­zung ver­se­hen. Pro Ge­schoß gibt es nun ein bis zwei Bal­ko­ne, die als Frei­raum, Wä­sches­tän­der und Open-Air-Rauch­kam­merl die­nen. Da­rü­ber hin­aus wur­de das ge­sam­te Haus mö­bliert und mit Son­der­räu­men wie et­wa Spiel­zim­mer, Näh­zim­mer und Fit­ness­raum aus­ge­stat­tet. Zu den Be­wohn­ern zäh­len Fa­mi­li­en und jun­ge Män­ner aus Sy­rien, Af­gha­nis­tan, Irak, Aser­baid­schan, So­ma­lia und Ni­ge­ria.

Güns­ti­ge Bau­stof­fe

„Der Um­bau zur Her­ber­ge war ein ab­so­lu­tes Low-Bud­get-Pro­jekt“, sagt die zu­stän­di­ge Ar­chi­tek­tin Bar­ba­ra Po­ber­schnigg, Part­ne­rin im Inns­bru­cker Bü­ro Stu­dio Lo­is. „Vor dem Pro­jekt­start ha­ben wir zu­nächst ein­mal ei­ne Um­fra­ge ge­star­tet, wel­che Un­ter­neh­men Aus­lauf­mo­del­le und Fehl­be­stel­lun­gen ab­zu­ge­ben ha­ben. Auf Ba­sis die­ses Ka­ta­logs an güns­tig zu­kauf­ba­ren Bau­stof­fen ha­ben wir dann erst mit der ei­gent­li­chen Pla­nung be­gon­nen.“ Man­che Fir­men, so Po­ber­schnigg, hät­ten ih­re Pro­duk­te und Ma­te­ria­li­en so­gar kos­ten­los oder zum Ein­kaufs­preis wei­ter­ge­ge­ben.

Das Ge­samt­bud­get für Um­bau und Sa­nie­rung be­läuft sich auf 2,5 Mil­lio­nen Eu­ro. Zu­sätz­lich da­zu schlägt die Mö­blie­rung mit 1700 Eu­ro pro Zim­mer zu Bu­che. „Die Ein­rich­tung der pri­va­ten Wohn- und Schlaf­räu­me be­steht zu ei­nem gro­ßen Teil aus Fer­tig­mö­beln, die wir vor Ort mit rund 200 frei­wil­li­gen Hel­fern zwei Ta­ge lang zu­sam­men­ge­schraubt ha­ben“, er­klärt die Ar­chi­tek­tin. Die Mö­bel für die ge­mein­schaft­li­chen Wohn­be­rei­che ha­be man aus di­ver­sen Alt­be­stän­den und Woh­nungs­auf­lö­sun­gen zu­sam­men­ge­tra­gen. Ein Teil der Vin­ta­ge-Ein­rich­tung stam­me von di­ver­sen Dach­bö­den der Barm­her­zi­gen Schwes­tern.

„Wis­sen Sie, ei­ni­ge der Schwes­tern hat­ten Angst, als wir das Pro­jekt ge­star­tet ha­ben“, er­in­nert sich Schwes­ter Pia Re­gi­na. „Aber ich den­ke, die Men­schen brau­chen sich nicht zu fürch­ten. Die Er­fah­rung zeigt, dass es al­len bes­ser geht, so­bald sie nicht mehr hung­rig und hei­mat­los sind. Und wir ha­ben die­sen Men­schen ei­ne Her­ber­ge ge­ge­ben. Ei­ne Her­ber­ge, die kei­ne Hal­le ist und auch kein Zelt.“

Ein Ort für Men­schen eben. Ei­ne neue Hei­mat für die Hei­mat­lo­sen und ei­ne Frisch­zel­len­kur für die Ar­chi­tek­tur, die sich ein­mal mehr ih­rer ur­ei­ge­nen Auf­ga­be ver­ge­wiss­ern kann.

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