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Reduktion und Rituale
Spectrum

Keine Beamtenburg, kein Protzpalast und doch nicht nur pragmatisch nüchtern: das neue Bürogebäude der Arbeiterkammer in Wien von ČPPA/Fellerer-Vendl.

23. Januar 2016 - Franziska Leeb
Das Haus mache mit seiner klaren Geometrie gute Figur, auch wenn es stilistisch und typologisch eher an die 1990er-Jahre erinnere, kommentierte vor einigen Monaten Christian Kühn an dieser Stelle („Spectrum“, 26. September 2015) in seinem Porträt der Plößlgasse in Wien-Wieden die jüngste bauliche Erweiterung der Wiener Arbeiterkammer.

Anstelle eines Wohnhauses aus den 1960er-Jahren entstand hier am Rand der Parkanlage hinter dem Arbeiterkammer-Hauptgebäude an der Prinz-Eugen-Straße ein neues Bürogebäude, das ein Beratungszentrum der Arbeiterkammer Niederösterreich, die IT-Abteilung der AK Wien und Niederösterreich, die interne Verwaltung der AK Wien, Konferenzräume, eine sogenannte „Chill-out-Zone“ für Teilnehmer der AK-Bildungsakademie und diverse Archiv- und Lagerräume beherbergt.

Stimmt – das Profilglas, das die äußerste Hülle der zweischaligen Fassade bildet, war in den 1990er-Jahren ebenso angesagt, wie generell der Einsatz purer Materialien mit der damit einhergehenden rauen Ästhetik eine Tendenz der Zeit war. Eine leicht herbe Direktheit, mit einem Schuss Poesie und charmantem Witz, nie unüberlegt verspielt, stets städtebaulich sensibel zeichnet schon die damaligen Arbeiten sowohl von Eva Češka und Fritz Priesner (ČPPA) als auch des befreundeten Architektenduos Andreas Feller und Jiři Vendl aus.

Immer wieder arbeiteten die beiden Teams zusammen, zuletzt bei besagtem Gebäude für die Arbeiterkammer, dem zweifellos besten neuen Beitrag zur Transformation der Plößlgasse und wohl auch einer der erfreulichen Wiener Neubauten der jüngsten Zeit, selbst wenn er wenig mit topaktuellsten Modeerscheinungen zu tun hat – vielmehr sogar gerade deshalb. Es ist keine Beamtenburg, auch kein Protzpalast und dabei trotzdem nicht nur pragmatisch nüchtern. Mit einer rationalen Formensprache wird der Charakter einer Interessensvertretung und Servicestelle von hoher Bedeutung ohne Schnörkel, frei von theatralischen Gesten, aber reich an räumlichen Erlebnissen vermittelt.

Das Gebäude ist Resultat eines im Frühjahr 2012 ausgelobten zweistufigen Verhandlungsverfahrens. Alleinstellungsmerkmal des Wettbewerbsbeitrags von ČPPA/Fellerer-Vendl war das Abrücken des neuen Gebäudes von der angrenzenden Häuserzeile. Ursprünglich sahen sie in diesem Zwischenraum einen mit auskragenden Balkonen überspannten, begrünten öffentlichen Durchgang in den Park vor, der in einer Überarbeitungsphase aus grundstücksrechtlichen Gründen ad acta gelegt wurde. Um dennoch eine Zäsur beizubehalten, wurde das Stiegenhaus in diesen Zwischenraum verlagert, das nun straßen- und hofseitig verglast Distanz schafft und Durchblick gewährt. Somit bleibt der Charakter des Solitärs erhalten. An der Ost- und der Westseite sind dem Untergeschoß attraktive Lichthöfe vorgelagert, die den Kopfbau am Abschluss der Gründerzeitzeile mit dem weitläufigen Gartenareal verschränken.

Es ist die Aufgabe der gesetzlichen Interessenvertretung der Arbeitnehmer in Österreich, „die sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu vertreten und zu fördern“, heißt es im Paragraf eins des Arbeiterkammergesetzes. ČPPA/ Fellerer-Vendl haben diesen Anspruch in Architektur gegossen und kongenial durch baubezogene Kunstprojekte ergänzt, die aus einem Kunstwettbewerb hervorgegangen sind. Die spektakulärste und weithin sichtbare Intervention am Neubau stammt von Peter Sandbichler, der für die Feuermauer in der Zäsur zum Nachbarhaus eine Wand konzipierte, die Bezug auf die Bossenstrukturen der Gründerzeitfassaden nimmt, in diesem Fall aber nicht als Geschoßgliederung eingesetzt, sondern sich als Abschluss der Gründerzeitzeile und Beginn des Neubaus in minimalistischer Weise über die ganze Wand erstreckend.

Barbara Höller schuf für das gartenseitige Atrium eine Wandarbeit mit in die Betonwand eingelassenen Paaren von verschieden langen Barren aus Glas, die die ungleichen Einkommensverhältnisse zwischen Männern und Frauen veranschaulichen. Im Inneren thematisiert Andreas Siekmann in großformatigen, piktogrammartigen Grafiken, die an die Bildsprache des Ökonomen und Sozialreformers Otto Neurath erinnern, unter dem Titel „Wirtschaftsweisen“ Inhalte aus der Welt der Wirtschaft.

Die Architekten vermieden es, mit neuen Bürotypologien zu experimentieren, wasauch dem Wunsch des Auftraggebers nach kleinteiligen Büros entspricht. Konventionell oder gar langweilig sind sie dennoch nicht. Sie öffnen sich teilweise mit Fixverglasungen zu einer großzügigen Mittelzone, die stellenweise bis an die Außenhülle führt und den Ausblick ins Freie gewährt und die sich über drei Geschoße verbindende, abteilungsinterne Treppenläufe und die begleitenden Lufträume auch in die Vertikale öffnet.

Das Konzept, mit materialsichtig belassenen Oberflächen zu arbeiten, wurde innen fortgesetzt. Nur ein gelbgrüner Kautschuk-Boden in den Bürobereichen setzt – neben Bildern aus der Kunstsammlung der Arbeiterkammer – einen farbigen Akzent. Ansonsten dominieren einfache, unbehandelte Materialien – Sichtbeton, Holzwolle-Akustikplatten, Glas, naturfarben eloxiertes Aluminium.

Die IT-Abteilung versorgt von hier aus 600 Arbeitsplätze, das Haus ist damit sozusagen das technische Herz der Arbeiterkammer. Dem entsprechen die klare Tektonik und die technoide Ausstrahlung, die Hand in Hand gehen mit einer einfachen Adaption der Bürogrößen, falls doch einmal größere Einheiten gewünscht werden sollten, und einem unkomplizierten Zugang zum technischen Innenleben in den Decken.

Die gewählte Materialität stellt eine Verbindung zur Arbeitswelt und damit zum Wirkungsfeld der beherbergten Institution her. Das Haus gaukelt nichts vor, ist reduziert – das passt in eine Zeit, in der Prunk nicht angebracht ist. Mangelarchitektur ist es dennoch keine, denn an Inhalt wurde nicht gespart; und es ist auch keine Büromaschine, sondern ein Haus, das die für das Wohlbefinden im Arbeitsleben wichtigen Rituale – den kurzen Tratsch bei der Kopierinsel, Kaffeepausen in angenehmemAmbiente, die Rauchpause auf einem der Balkone im Stiegenhaus, das Öffnen eines Fensters – fördert.

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