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Wie baut man eine Stadt?
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Wohnen am Helmut-Zilk-Park in Wien-Favoriten: Die ÖBB wagen den Sprung von der Liegenschaftsverwertung zum Städtebau. Ein Bericht zum aktuellen Stand.

9. April 2016 - Christian Kühn
Mit rund 25000 Liegenschaften sind die Österreichischen Bundesbahnen einer der größten Immobilieneigentümer Österreichs. Einfluss auf Städtebau und Architektur üben die ÖBB überall dort aus, wo sie Flächen, die nicht mehr für den Bahnbetrieb benötigt werden, für andere Nutzungen freigeben. Allein in Wien gehören dazu zwei der wichtigsten Stadtentwicklungsgebiete: einerseits die benachbarten Areale des ehemaligen Nord- und Nordwestbahnhofs, andererseits das Gebiet um den neuen Hauptbahnhof. Hier entstehen Stadtquartiere, die weit über ihre engeren Grenzen hinaus wirken.

Die Bebauung des Areals um den neuen Hauptbahnhof ist inzwischen zu knapp zwei Dritteln abgeschlossen. Der Masterplan dafür stammt aus dem Jahr 2004 und geht auf die Architekten Albert Wimmer, Theo Hotz und Ernst Hoffmann, den Planer des Regierungsviertels in St. Pölten, zurück. Dieser Plan sieht am Wiedner Gürtel ein Quartier mit hauptsächlicher Büronutzung vor, das von der Bahntrasse diagonal durchschnitten wird. Hier sollte eine Mischung aus Blockrandbebauung und Hochhäusern entstehen. Die Hochhäuser gibt es, den Blockrand nur in Ansätzen. Am spektakulärsten und erfolgreichsten ignoriert wurde er vom Erste Campus, der sich für seine geschwungenen, offenen Formen einen neuen Bebauungsplan bewilligen ließ.

Südöstlich des Bahnhofs schließt ein gemischtes Baugebiet mit Schwerpunkt Wohnen an, in dessen Mitte ein nach Helmut Zilk benannter Park liegt, ein lang gestrecktes Dreieck parallel zu der in Hochlage geführten Bahntrasse. Im Westen dieses Parks sah der Plan eine Blockrandbebauung vor, die sich als Fortsetzung der Bebauungsstruktur des angrenzenden Gründerzeitviertels versteht. Allerdings fallen die Blöcke hier doppelt so groß aus als ihre historischen Vorbilder. In der Umsetzung ist es nur in Teilbereichen gelungen, diese Dimension auf ein erträgliches Maß herunterzuschrauben. Für den Streifen Bauland, der sich zwischen der Ostkante des Parks und der Bahntrasse befindet, war eine eigenwillige Struktur geplant, eine Art städtebauliche Tatzelwurm mit zentralem Erschließungsboulevard und beidseitig angedockten u-förmigen Höfen, auf der Seite zur Bahntrasse vor allem für gewerbliche Nutzung.

Als die ÖBB 2012 an die Verwertung dieses Bereichs gingen, war bald klar, dass der Plan massive Schwächen hatte. Der Boulevard in der Breite der Favoritenstraße ohne markanten Anfangs- oder Endpunkt wäre vorallem Verkehrsträger geblieben; der schematische Zuschnitt der Baublöcke hätte kaumAbwechslung in den Stadtraum gebracht; undschließlich gab es Zweifel an der Vermarktbarkeit der vorgesehenen Gewerbeflächen. Auf Anregung der Stadt Wien entschlossen sich die ÖBB, ein sogenanntes „kooperatives Verfahren“ für eine Überarbeitung dieses Plans durchzuführen. Im Unterschied zum städtebaulichen Ideenwettbewerb, bei dem mehrere Planer parallel und ohne die Arbeit der Mitbewerber zu kennen eine Idee entwickeln, wird im kooperativen Verfahren offen gearbeitet. Die Teilnehmer treffen sich, diskutieren ihre Ansätze und übernehmen Ideen voneinander. Manchmal dauert ein solches Verfahren nur wenige, intensiv genutzte Tage. Bei komplexeren Aufgaben wechseln sich kurze Workshops mit Ausarbeitungsphasen ab, wobei dieser Prozess bis zu sechs Monate dauern kann. Im Unterschied zum Wettbewerb, bei dem am Ende konkurrierende Konzepte stehen, ist dieses Ergebnis beim kooperativen Verfahren nur eine Option. Im Extremfall gibt es hier nur ein einziges, von allen Teilnehmern getragenes Resultat.

Im konkreten Fall handelte es sich um eines der ersten Verfahren dieses Typs in Wien. Sechs Architektenteams waren eingeladen, die sich erst darauf einstellen mussten, nicht mehr in Konkurrenz zu arbeiten. Als sich auch nach mehreren Anläufen die Zahl konkurrierender Ideen nur von sechs auf fünf reduziert hatte, beschlossen die Teilnehmer, ihre Konzepte zu überlagern. Das Ergebnis war ein dichtes Liniengeflecht, aus dem man die wesentlichen Elemente herausschälte: Der Boulevard wird weitgehend vom motorisierten Verkehr befreit, der an die Bahntrasse verlegt ist; aus dem monotonen Straßenraum entsteht eine differenzierte Abfolge von Stadträumen mit vielen Abzweigungen und Durchblicken zum Park; die Baublöcke sind kleiner und reagieren auf das Achsensystem des angrenzenden Stadtviertels. Die Brücke für Fußgänger und Radfahrer, die über die Bahn zum Arsenal führt, endet nicht mehr an einer Engstelle, sondern an einem Platz, der sich zum Park hin öffnet. Für die Erdgeschoßzonen wird eine Raumhöhe von vier Metern vorgegeben, um überall gewerbliche Nutzungen zu ermöglichen.

Die Hoffnung, dass hier ein lebendiger Stadtteil entstehen wird, ruht aber nicht nur auf einem besseren Stadtgrundriss. Max Rieder, einer der Architekten im kooperativen Verfahren, begleitete das Projekt auch im nächsten Schritt, nämlich der Suche nach den richtigen Bauträgern. Hier gingen die ÖBB in Abstimmung mit der Stadt neue Wege. Von den 34 Bauplätzen wurden 17 an den Meistbietenden verkauft, 17 zu einem Fixpreis im Qualitätswettbewerb. Vier davon gingen an Baugruppen, der Rest an Bewerber, die neben einem architektonischen Konzept auch einen Betreiber für die Erdgeschoßzonen vorweisen mussten. Diese sogenannten Quartiershäuser sind über das Viertel verteilt und sollen von Anfang für Urbanität sorgen, also für die richtige Kombination von Dichte, Differenz und Theatralik. Für die Vergabe der Quartiershäuser gibt es zweistufige Verfahren, bei denen ein von den ÖBB installierter Quartiersentwicklungsbeirat unter dem Vorsitz von Max Rieder die Auswahl der Projekte vornimmt. Als Planer zum Zug kam hier eine neue Generation von Büros, die offen für Kooperationen ist, unter anderem Einszueins, Feld72, StudioVlay und Franz Architekten. Sozialen Wohnbau im engeren Sinne gibt es nur auf zwei Randparzellen an der Nord- und an der Südspitze des Areals, dort geplant von asap.

Das alles klingt aufwendig und ist es auch, wobei der Aufwand weniger finanziell als organisatorisch ins Gewicht fällt. In einem viel beachteten Vortrag beim letzten „Turn On“-Festival (bit.ly/1RFBoZf) erläuterte Max Rieder, warum dieser Aufwand nötig ist, um aus dem Elend der heutigen Stadtplanung herauszukommen, die zwischen schön Reden und schön Zeichnen nicht zum Eigentlichen kommt.

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