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Wie viel Wert hat Ihre Haltung?
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Alle zwei Jahre finden in ganz Österreich die Architekturtage statt, heuer unter dem Titel „Wert/Haltung“. Sie zeigen unter anderem Österreichs beste Häuser – auch solche, die es bald nicht mehr geben wird. Zu Herbert Eichholzers Haus Albrecher-Leskoschek in Graz.

4. Juni 2016 - Christian Kühn
Wie erklärt man Architektur? Am besten gar nicht, meinen viele Architekten: Gute Architektur spreche für sich selbst und brauche keine Erklärung. Tatsächlich wird sich kaum ein Laie ohne das direkte, sinnliche Erlebnis für ein Haus begeistern. Selbsterklärend ist Architektur damit aber noch lange nicht. Man sieht nur, was man weiß, und daher braucht auch gute Architektur Vermittler, um Aspekte eines Werks freizulegen, die ohne Vorwissen nicht verständlich wären.

Zu den Architekten, die sich intensiv mit Architekturvermittlung befassten, gehörte Adolf Loos, nicht nur als Autor zahlreicher Beiträge in der „Neuen Freien Presse“, sondern auch als Herausgeber einer eigenen Zeitschrift mit dem programmatischen Titel „Das Andere. Ein Blatt zur Einführung abendländischer Kultur in Österreich“. Loos wollte darin nicht Architektur vermitteln, sondern eine kulturelle Haltung, die sich auf alle Lebensbereiche erstreckte. Das Blatt, das 1903 als Beilage zur Zeitschrift „Kunst“ erschien, erlebte wohl auch aus diesem Grund nur zwei Auflagen. Wer von Architektur in erster Linie schöne Formen erwartete, wurde von Loos nur schlecht bedient.

Umso größer war seine Fähigkeit, Architektur als Erlebnis zu vermitteln. In der Beantwortung einer Rundfrage aus dem Jahr 1907 nach dem schönsten Wiener Innenraum nennt Loos den Stephansdom: „Sage ich damit etwas Altes? Umso besser. Man kann es nicht oft genug sagen: Wir haben den weihevollsten Kirchenraum der Welt. Das ist kein totes Inventarstück, das wir von unseren Vätern übernommen haben. Dieser Raum erzählt uns unsere Geschichte. Alle Generationen haben daran mitgearbeitet. Dann aber strömt dieser Raum auf einen ein, daß man . . . Ich sehe, ich kann mich nicht ausdrücken, wie er wirkt. Aber vielleicht beobachte jeder das Gefühl, das ihn erfaßt hat, wenn er nach dem Durchschreiten die Straße betritt. Es ist stärker als nach der Fünften von Beethoven. Die dauert eine halbe Stunde. St. Stephan braucht dazu eine halbe Minute.“

Im selben Text nennt Loos auch das schönste Palais: das Stadtpalais Lichtenstein in der Bankgasse („ganz unwienerisch, nicht in dem kleinlichen Wiener Barockstil“); das schönste neue Gebäude: das Geschäfts- und Wohnhaus Ecke Himmelpfortgasse/Kärntnerstraße von Johann Walland, heute ein Anhängsel von David Chipperfields Peek-und-Cloppenburg-Palast („bescheiden, ruhig, vornehm. Dieses Haus wird nicht in den Kunstzeitungen abgebildet werden, man hält es nicht für künstlerisch genug. Und das, was die Leute modern nennen, also ordinär, ist es auch nicht.“); und schließlich auch das schönste sterbende Gebäude: das wenige Jahre später, 1913 abgerissene Kriegsministerium am Platz am Hof, in dessen Nachfolgebau heute das Park Hyatt Hotel eingezogen ist („Jeder weiß, dass es bald fallen wird, aber keine Hand erhebt sich, diesem Frevel Einhalt zu tun. Nun gut, so fangt euch den Hof jetzt noch mit Blicken ein, damit Ihr ihn im Herzen aufbewahren könnt. Dieses Gebäude gibt den Grundakkord für den Platz. Ohne dieses Gebäude gibt es keinen Platz am Hof mehr.“)

Die Architekturtage, die an diesem Wochenende wie alle zwei Jahre in ganz Österreich stattfinden, haben sich heuer mit dem Motto „Wert/Haltung“ ein sperriges Thema gegeben, das in dieser Tradition der Architekturkritik steht und nach den Wertvorstellungen fragt, die in der Architektur bei jedem Projekt zum Vorschein kommen. Reden wir nur von Funktionen, Kosten und Sachzwängen? Oder auch von Nachhaltigkeit, von Innovation und von Schönheit? Haben wir Respekt vor kreativen Leistungen, oder reicht uns das Mittelmaß?

Loos' „Wohnungswanderungen“ neu

Die Architekturtage, die von der Bundeskammer und den Länderkammern der Architekten und Ingenieurkonsulenten und der Architekturstiftung Österreich veranstaltet werden, bieten eine Gelegenheit, sich mit diesen Fragen zu befassen, und zwar nicht nur abstrakt, sondern vor allem konkret am gebauten Objekt. So weit wie möglich sind – im Rahmen des Veranstaltungsformats „Zu Gast bei . . .“ – auch Bauherren und Architekten der Projekte vor Ort. Selbst das hat Adolf Loos schon vor hundert Jahren vorgemacht: Er veranstaltete regelmäßig „Wohnungswanderungen“, bei denen er Interessierte durch von ihm gestaltete Wohnungen führte.

Das umfangreiche Programm der Architekturtage wird von den Vermittlungsinstitutionen in den Bundesländern getragen, wobei in Wien die Österreichische Gesellschaft für Architektur und das Architekturzentrum kooperieren. Exemplarisch zum Thema „Wert/Haltung“ passt ein Programmpunkt, den das Haus der Architektur in Graz anbietet: eine Führung durch das Haus Albrecher-Leskoschek, 1937 vom Architekten Herbert Eichholzer im Stil der internationalen Moderne entworfen. Wäre es noch im Originalzustand, hätte man es mit einem für Österreich seltenen Beispiel für diesen Stil, der nie einer sein wollte, zu tun, einem Haus, dessen Qualität nahe an das Landhaus Gamerith am Attersee von Ernst Plischke heranreicht. Im Unterschied zu Plischkes Meisterwerk, das als eingeschoßiges Ferienhaus eine größere Leichtigkeit hat, ist das Haus Albrecher-Leskoschek vom Format her eine bürgerliche Villa mit Wohn- und Schlafgeschoß. Sie scheint über dem Hang zu schweben, auf Stützen, die eine umlaufende Terrasse tragen. Von einem leichten Vordach geschützt, ist sie ein regengeschützter Wohnraum im Freien.

Der Zugang erfolgt nordseitig über einen kleinen Vorraum und eine Garderobe, von der zwei Stufen in eine Wohndiele hinunterführen, an die wieder eine Stufe tiefer der Wohn- und Essbereich anschließt. Die Möblierung ist in der Wohndiele funktionalistisch reduziert, während sie sich im Wohnbereich eher an Josef Frank orientiert, dessen Stoffe Eichholzer hier auch einsetzt. Alles an diesem Haus erzählt von der Hoffnung auf eine neue Zeit, in der Sigfried Giedion „befreites Wohnen“ propagierte und Frank überhaupt die Devise ausgab: „Modern ist, was uns vollkommene Freiheit gibt.“

Dass wir heute überhaupt über diese Urfassung des Hauses sprechen können, ist einem hervorragenden Buch zu verdanken, mit dem das Autorenteam Heimo Halbrainer, Eva Klein und Antje Senarclens de Grancy dem Haus ein Denkmal gesetzt haben. Der Urzustand ist nach zahlreichen Umbauten und Erweiterungen heute nämlich höchstens zu erahnen. Auch das wundersame Wandgemälde von Axl Leskoschek, eine „Allegorie der Freunde“, das im Buch detailreich in seiner Symbolik beschrieben wird, ist unrettbar hinter einer dicken Schicht roter Farbe verschwunden. Nur anhand des Buchs kann man heute erkennen, dass dieses „sterbende Gebäude“, das bald einer Erweiterung des Landeskrankenhauses Graz weichen wird, mehr ist als ein beliebiges Stadtrandhäuschen.

Für seinen Architekten Herbert Eichholzer war die internationale Moderne mehr als ein Stil. Als Mitglied der kommunistischen Partei engagierte er sich, unter anderem mit Grete Schütte-Lihotzky, im Widerstand gegen das NS-Regime. 1941 an die Gestapo verraten, wurde er 1942 in Wien hingerichtet.

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