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Ist das schon gut genug?
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Kann die Aufstockung zweier schwacher Bestandsbauten zu einem starken Resultat führen? Am Karlsplatz wird man sich dieser Frage stellen müssen.

24. September 2016 - Christian Kühn
Die Wiener Karlskirche ist zweifellos eine der originellsten und bedeutendsten Barockkirchen der Welt. Mit ihren zwei monumentalen Säulen und der im Grundriss ovalen, in der Frontalansicht schlanken und von der Seite wuchtig wirkenden Kuppel ist sie das Hauptwerk ihres Architekten Johann Bernhard Fischer von Erlach.

Zur Erinnerung an die überstandene Pest des Jahres 1713 errichtet, war die Kirche in erster Linie kaiserlicher Propagandabau, in Architektur übersetztes Gottesgnadentum. Ihr Standort ist daher mit Bedacht gewählt: Als dreiseitig freigestellter Monumentalbau lag sie außerhalb der Befestigungsmauern auf einer kleinen Anhöhe über dem damals noch unregulierten Wienfluss und war exakt auf die Hofburg hin ausgerichtet.

Seit ihrer Fertigstellung im Jahr 1739 hat sich die Umgebung der Kirche massiv verändert. Im Unterschied zur Stephanskirche, die man im 19. Jahrhundert von Anbauten befreite und als Monument auf dem Präsentierteller des Stephansplatzes inszenierte, wurde die Karlskirche sukzessive von der um sie wachsenden Stadt umarmt. Aus den landwirtschaftlich genutzten Flächen der Umgebung wurde eine im Blockraster gegliederte, dicht parzellierte Stadt. Die Vorstadthäuser verwandelten sich in gründerzeitliche Wohnhäuser, die schon im 19. Jahrhundert in mehreren Etappen aufgestockt wurden.

Ähnliches gilt auch für die benachbarten öffentlichen Monumentalbauen. Im Jahr 1897 wurde die damalige Technische Hochschule um ein Geschoß erhöht und erreichte damit annähernd die Gesimshöhe der die Karlskirche flankierenden Glockentürme. Karl König, der Gegenspieler Otto Wagners an der Technischen Hochschule, entwarf schließlich einen seitlichen Zubau zur Hochschule, eine ruhige, fast klassizistische Fassade, die in einem Winkel von 45 Grad an deren Hauptgebäude anschließt.

Dieser einigermaßen harmonischen Lösung ein entsprechendes Pendant auf der anderen Seite der Karlskirche zu geben ist eines der vertracktesten Probleme, das Wien für Architekten und Stadtplaner zu bieten hat. Viele haben sich daran versucht, geglückt ist es keinem. Otto Wagner kämpfte über zehn Jahre lang für sein Projekt eines Kaiser-Franz-Josef-Stadtmuseums an diesem Standort, zuerst 1900 mit einem „Agitationsentwurf“, den er in der Secession ausstellte.

In dem 1902 folgenden Wettbewerb unterlag Otto Wagner dem Architekten Friedrich Schachner, der einen Entwurf im neo-barocken Stil lieferte, der präferierten Architektursprache des Thronfolgers Franz Ferdinand. Der öffentlich heftig geführte Streit um das Projekt kulminierte 1910 darin, dass Wagner auf eigene Kosten ein Eins-zu-eins-Modell mehrerer Fensterachsen aus Holz und Leinwand errichten und das Gesamtvolumen durch hölzerne Rahmen markieren ließ.

Am Ende beschloss der Gemeinderat 1911, das Stadtmuseum nicht im Zentrum, sondern auf der Schmelz zu errichten. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es schließlich doch zum Bau eines Stadtmuseums an diesem Ort. Das 1959 eröffnete Gebäude nahm sich die frei stehenden Kulturbauten des Künstlerhauses und des Musikvereins zum Vorbild. Während Otto Wagner als Abschluss des Karlsplatzes eine monumentale Fassade nach dem Muster seiner Postsparkasse vorgeschlagen hatte, war das von Oswald Haerdtl entworfene Museum ein solitärer, an die Lothringerstraße gerückter Baukörper, der zur Karlskirche hin eine Lücke offen ließ. Hier befand sich damals noch ein schlichtes barockes Wohnhaus mit drei Geschoßen, das bis auf Tuchfühlung an die Kirche heranreichte.

Anfang der 1970er-Jahre wurde dieses Gebäude abgerissen und durch das Winterthur-Haus, ein Bürogebäude nach einem Entwurf von Georg Lippert, ersetzt. Das neue Haus war kaum höher als das alte und ebenfalls knapp an die Karlskirche gerückt. Lipperts Ansatz war, das Haus zum Verschwinden zu bringen, einerseits durch eine anämisch wirkende Fassade, andererseits indem er es über Brückengeschoße mit dem Wien Museum verband. Vom Karlsplatz aus betrachtet, bilden Museum und Bürohaus heute eine die Horizontale betonende Wand, die von einem Durchgang Richtung Schwarzenbergplatz durchbrochen ist. Nun liegt ein Entwurf für die Aufstockung des Winterthur-Hauses vor. In einem geladenen, anonymen Wettbewerb unter dem Juryvorsitz von Rüdiger Lainer gewannen die Architekten Henke und Schreieck mit einem Entwurf, der den Bestand fast unverändert lässt.

Optisch wird das Haus um zwei Geschoße erhöht, ein niedriges mit kleinen, in einem freien Rhythmus gesetzten Fenstern und ein höheres im einheitlichen Raster des Bestandes. Hinter dieser Teilung verbergen sich zwei Vollgeschoße und ein zurückgesetztes Staffelgeschoß, dessen Terrassenbrüstung in die oberste Fensterreihe integriert ist. Diese Fassade ist zwar mit Rücksicht auf den Bestand entwickelt, aber im Gegensatz zu ihm nicht banal.

Für die vereinten OrtsbildschützerWiens ist sie Grund genug, mit Unterstützung der „Kronen Zeitung“ gegen das Projekt Sturm zu laufen: Ein kleiner Schandfleck solle hier in einen großen verwandelt werden. Das ist Unsinn. Wenn hier aufgestockt wird, dann ist diese Lösung durchaus akzeptabel.

Trotzdem muss über das Projekt geredet werden. Sein Anlass ist nämlich eine andere Aufstockung, jene des Wien Museums. Hier hat ein Wettbewerb im Herbst 2015 zu einem Siegerprojekt geführt, das eine „schwebende“ Box auf das Museum setzt und es durch Abbruch der Brücken freistellt. Aus dem Durchgang soll eine Straße werden. Um den Eigentümern des Winterthur-Hauses diese Lösung zu versüßen, gibt es eine Kompensation: Durch den Abbruch fallen 700 Quadratmeter Nutzfläche weg, durch die Aufstockung kommen 4300 Quadratmeter dazu.

Es hat daher keinen Sinn, isoliert über das Winterthur-Haus zu diskutieren. Um das Gesamtergebnis beurteilen zu können, muss auch der Planungsstand des Wien Museums auf den Tisch. Die Öffentlichkeit hat ein Recht, beurteilen zu können, ob die zahlreichen Kritikpunkte am Projekt in der Weiterbearbeitung zufriedenstellend gelöst werden konnten.

Das betrifft die Details der verglasten Zwischenebene zwischen Bestand und schwebender Box, laut Juryprotokoll „das große Versprechen des Entwurfs“, aber auch die Erschließung, die Qualität der Dauerausstellungsräume sowie Statik und Lichtführung – lauter Fragen, die schon im Juryprotokoll kritisch vermerkt sind. Erst dann wird man abschätzen können, ob die Qualität der mit 100 Millionen Euro budgetierten Erweiterung und Sanierung auch die Aufstockung des Winterthur-Hauses rechtfertigt.

Kann die Aufstockung zweier schwacher Bestandsbauten zu einem starken Resultat führen? Am Karlsplatz wird man sich dieser Frage stellen müssen. Im Zweifel müsste man sich zur Entscheidung durchringen, einen Neustart zu wagen, der auch denDenkmalschutz für Haerdtls Museumsbau infrage stellt. An diesem extrem sensiblen Ort mit einem Projekt zu scheitern wäre keine Schande. Ein halbherziges zu realisieren, das für die nächsten hundert Jahre eine überzeugendere Antwort verhindert, aber sehr wohl.

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