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Die Party ist noch nicht zu Ende
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Dubai ist die Welthauptstadt der kapitalistischen Stadtentwicklung. Für die Expo 2020 bläht sich die dortige Immobilienblase noch einmal mächtig auf.

14. Januar 2017 - Christian Kühn
Zumindest quantitativ geht es voran: Die Weltbevölkerung wächst, über die vergangenen 200 Jahre betrachtet explosionsartig, von einer Milliarde Menschen auf heute 7,4 Milliarden. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Wachstum verlangsamt, liegt aber in absoluten Zahlen noch immer bei jährlich rund 75 Millionen. Allein in China wächst die Bevölkerung trotz Ein-Kind-Politik nach wie vor um sieben Millionen Menschen pro Jahr. Im Jahr 2050 ist mit einer Weltbevölkerung von zehn Milliarden zu rechnen, von denen ein überwiegender Teil in Städten leben wird. Die Wachstumsschmerzen, die Wien gerade durchmacht, nehmen sich neben solchen Zahlen bescheiden aus.

Maßgeblich für die Nachfrage nach Gütern, Dienstleistungen und nicht zuletzt Immobilien ist dabei nicht nur die absolute Zahl an Menschen, sondern auch der global zunehmende Wohlstand. Die Nachfrage nachWohnungen und Büros steigt oft deutlich schneller als die Bevölkerungszahl und kann regional exponentielle Steigerungsraten erreichen. Diese Situation ist der ideale Ausgangspunkt für Immobilienblasen, in denen es für Spekulanten darauf ankommt, möglichst schnell und profitabel zu bauen und im richtigen Moment aus dem Spiel auszusteigen. China erlebte eine solche Blase mit einer Spitze im Jahr 2009, bei der sich die Preise im Vergleich zu 2005 verdreifacht hatten. Das Land verbrauchte in zwei Jahren so viel Beton wie die USA im gesamten vergangenen Jahrhundert. 2013 begannen die Preise zu kollabieren, da es an Nachfrage fehlte. Bis heute ist die Blase, die Geisterstädte mit schlecht konstruierten Wohnhochhäusern und leeren Shoppingmalls hinterließ, noch nicht verarbeitet.

Dass sich das Wachstum von Immobilienmärkten auch weitgehend aus externer Nachfrage generieren lässt, hat in den vergangenen Jahren am deutlichsten Dubai vorgeführt. Das Scheichtum am Persischen Golf,mit 2,5 Millionen Einwohnern das größte der Vereinigten Arabischen Emirate, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer „Global City“ entwickelt, in der ein boomender Tourismus und der Immobilien- und Finanzsektor die Wirtschaft bestimmen. Touristisch ist der Stadt das scheinbar Unmögliche gelungen: als eine Art Las Vegas ohne Casinos erfolgreich zu sein. Maßgeblich dafür war die Kombination von fast steuerfreien, ins Stadtgebiet implantierten Freihandelszonen mit einer an Größenwahn grenzenden Strategie der Extreme: Die Stadt brüstet sich mit dem teuersten Hotel, dem höchsten Hochhaus und den größten Malls der Welt, alles Rekorde, die leicht von anderen überholt werden können.

Prophylaktisch wurde inzwischen die Parole ausgegeben, die glücklichste Stadt der Welt zu werden. „We aspire to be the world's happiest city, let's spread the joy“, heißt es auf mobilen digitalen Kummerkästen, die es den Kunden öffentlicher Dienstleistungen vom Museumsbesuch bis zum Fahrkartenschalter erlauben, ihre „experience“ in drei Stufen („happy, neutral, unhappy“) zu bewerten: Nur messbares Glück ist echtes Glück.

Die Stadtstruktur Dubais gleicht einem gigantischen Monopoly-Spielfeld auf einem sechzig Kilometer langen und zehn Kilometer breiten Küstenstreifen. Der Dubai Creek, ein Meeresarm, der auf diese Tiefe ins Landesinnere reicht, markiert den ursprünglichen Stadtkern mit dem alten Handelsplatz, von dem aus sich die Stadt nach Süden hin entwickelt. Lebensader ist eine Autobahn mit acht Spuren in jede Richtung, von der aus die Monopoly-Felder erschlossen werden: hochverdichtete Zonen mit Hochhäusern an der Küste, flächig organisierte Entwicklungen mit Villen im Landesinneren. Eine Metro parallel zur Autobahn und ein Bussystem existieren; bevorzugtes Verkehrsmittel bleibt aber das Auto, mit dem man bei Sommertemperaturen um die 40 Grad von einer klimatisierten Zone in die andere gelangt.

Das eigentliche neue Wahrzeichen Dubais sind die beiden „Palmeninseln“, die zur Verlängerung der Küstenlinie künstlich im Meer aufgeschüttet wurden. Die kleinere, Palm Jumeirah, ist inzwischen fast vollständig bebaut, mit einer Kette von Hotels im äußeren Ring, Apartments auf der Mittelachse und Villen auf den Palmenblättern. Deren leicht gekrümmten Straßen mit ihren fast identischen Elementen hinterlassen einen surrealen Eindruck, der von der dichten, standardisierten Begrünung verstärkt wird.

Die größte Dichte erreicht die Stadt in Hochhausclustern, die in der Regel um künstliche Wasserflächen angelegt sind: 70 Türme mit bis zu 200 Meter Höhe im Bereich der Jumeirah Lake Towers, 150 an der Dubai Marina. Wer die Hochhausstadt Benidorm an der Costa Blanca für nicht überbietbar gehalten hat, wird hier eines Besseren belehrt. Es geht noch dichter, und es finden sich offenbar immer Architekten, die mehr oder weniger originelle Fassaden für die ansonsten identischen Türme zu entwerfen bereit sind, sowie Freiraumplaner, die Ähnliches für die künstlichen Wasserlandschaften leisten. Dass Menschen in solchen durch unddurch kommerzialisierten Räumen wachsen und Beziehungen knüpfen können, ist aber kaum vorstellbar.

Dubai ist das Stadtmodell, zu dem sich unter ungebremst kapitalistischen Bedingungen alle Städte entwickeln würden, zumindest wenn es nie eine Energiekrise gegeben hätte. Man muss der Krise dankbar sein, dass sie Europa vor dieser Karikatur des Städtebaus weitgehend bewahrt hat.

Im Jahr 2020 wird Dubai eine Expo unter dem Titel „Connecting Minds, Creating the Future“ veranstalten, bei der sich dieses Modell noch einmal in Szene setzen möchte. Zumindest bis dahin wird die Stadt ihren Weg weitergehen, mit Großprojekten wie dem größten Flughafen und dem noch einmal höchsten Gebäude der Welt, einem von Santiago Calatrava geplanten Aussichtsturm. Aber irgendwann ist die Party vorbei: Ein tragfähiges Modell für einen von zehn Milliarden Menschen bewohnten Planeten muss anders aussehen.

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