Artikel

Die Qual mit der Qualität
Spectrum

Alle wollen Qualität. Aber wer legt fest, was schön ist und was nicht? Beim Projekt WEV muss die Antwort jetzt auf politischer Ebene gefunden und verantwortet werden. Kann das gut gehen?

11. Februar 2017 - Christian Kühn
Nun ist es also so weit: Der Entwurf des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans für das Areal von Hotel Intercont und Wiener Eislaufverein liegt seit letzter Woche bis 16. März zur öffentlichen Einsicht und Stellungnahme auf. Das dem Plan zugrunde liegende Projekt hat eine Nachdenkpause hinter sich, nachdem der Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung sich im Mai 2016 überraschend deutlich gegen den Entwurf ausgesprochen und eine Überarbeitung empfohlen hatte. Zu den Kritikpunkten gehörten formale Aspekte wie die „gedrungene Massivität“ des Turms, aber auch funktionelle wie die winterliche Barrierewirkung, die sich aus der Drehung der Eisfläche in den öffentlichen Raum der Lothringerstraße ergibt, sowie Zweifel an der Qualität der Durchwegung in den dritten Bezirk. Nicht zuletzt forderte der Fachbeirat, „das Projekt so anzupassen, dass eine Verträglichkeit mit dem Welterbestatus herstellbar ist“.

In der Überarbeitung wurde an einigen Stellschrauben gedreht: Der Turm ist von 73 auf 66 Meter geschrumpft, die Eisfläche ein wenig gestutzt, die Verbindung zum dritten Bezirk verbreitert. Die Scheibe des Hotel Intercont soll nur um zwei Geschoße erhöht werden statt um drei. Sie wird allerdings als Neubau ausgeführt und rückt dabei deutlich Richtung Stadtpark. Ihre im Vergleich zum Bestand um zwei Meter vergrößerte Trakttiefe kompensiert angesichts der enormen Ausdehnung der Scheibe einen guten Teil des durch die reduzierte Geschoßanzahl verlorenen Volumens. Der Rest wird im Trakt am Heumarkt ausgeglichen, der ebenfalls tiefer wird. An der Ansicht vom Belvedere haben diese Änderungen praktisch nichts verändert. Von der Johannesgasse und vom Stadtpark her gesehen drängt sich das Projekt dagegen deutlich voluminöser in den Stadtraum. Die Chance, die nun plötzlich erfolgte Entscheidung für den Abriss des Intercont-Gebäudes zum Anlass für einen Neustart zu nehmen, bleibt ungenutzt. Wir müssen uns mit der absurden Lösung begnügen, ein mittelmäßiges Gebäude aus den 1960er-Jahren als „Ersatzneubau“ rekonstruiert zu bekommen.

Nach fünf Jahren Entwicklungszeit liegt damit ein Projekt vor, das bis zur Kenntlichkeit dessen entstellt ist, was es repräsentiert, nämlich einen von privaten Interessen dominierten Städtebau nach wirtschaftlichen Grundsätzen. Dass dieses Projekt von der Unesco als Beitrag zum Welterbe Wien Innere Stadt akzeptiert wird, ist so gut wie ausgeschlossen, die Streichung von der Welterbeliste die logische Folge. Wie die Stadt damit umgehen wird, ist absehbar: Bei einer Pressekonferenz im Jänner, in der Bürgermeister und Vizebürgermeisterin das Projekt gemeinsam mit dem Investor vorstellten, gab man sich zwar offiziell zuversichtlich, dass die Unesco ein Einsehen haben werde. Aber es müsse auch klar sein, dass noch immer die Wiener darüber entscheiden, was in ihrer Stadt gebaut wird, und nicht eine ausländische Behörde in Paris. Dass diese Pressekonferenz just einen Tag vor der Sitzung des Fachbeirats für Stadtplanung und Stadtgestaltung stattfand, in der erst über die Berücksichtigung der Empfehlungen aus dem Mai 2016 beraten wurde, sagt einiges über die Konfusion aus, die dieses Projekt in der Stadt ausgelöst hat. In den „Baukulturellen Leitsätzen“, die sich die Stadt Wien 2014 zur Qualitätssicherung verordnet hat, liest sich alles noch wunderbar. Das Ziel ist klar: „hohe Lebensqualität beim Neubau wie im Bestand“. Dorthin führen „qualitätsorientierte und transparente Prozesse bei Planung und Errichtung“, „qualitätsorientierte Rahmenbedingungen“ sowie die „Förderung der kritischen, vielfältigen und innovativen Szene der Baukulturschaffenden“.

Das WEV/Intercont-Projekt ist der Beweisdafür, dass selbst eine Überfülle an „qualitätsorientierten Prozessen“ kein gutes Ergebnis garantiert. Bei keinem anderen Projekt hat es in Wien je so viele informelle Verfahrensschritte gegeben, um die Grundlage für eine Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung zu finden: die ersten Expertenrunden im Jahr 2012, das anschließende kooperative Verfahren zur Variantenentwicklung 2013, den zweistufigen Architekturwettbewerb des Jahres 2014 bis zur Nachdenkpause des letzten Jahres als Abschluss. Im Hintergrund dieser Prozesse darf man sich die Beamten der Stadt Wien vorstellen, die versuchen, einen Tiger zu reiten, dessen gute Beziehungenzur politischen Entscheidungsebene ihnen bekannt sind. Die grundsätzliche Richtung ist klar, und man behält sie weisungsgebunden im Blick, auch unter Ausblendung unangenehmer Realitäten, die sich manchmal ins Bild schieben: ein Vertreter der Unesco, der vom ersten Workshop im Jahr 2012 an immer klar feststellt, kein Projekt akzeptieren zu können, das über die Höhe des Intercont hinausragt, oder eine Architektenkammer, dieden Architekturwettbewerb des Jahres 2014 nur mit Vorbehalt unterstützt, weil wichtige städtebauliche Rahmenbedingungen ungeklärt sind.

Das eigentlich zuständige Beratungsgremium der Stadt, der Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung, wurde mit demProjekt erst nach dem Architekturwettbewerb befasst, als die städtebaulichen Prämissen längst definiert waren. Der Beirat hat im Mai 2016 versucht, über Kritik am Objekt Kritik am Städtebau zu üben. Das konnte nicht erfolgreich sein. Die „Nachdenkpause“ war nur ein weiterer unter den vielen Prozessschritten, die der Herstellung einer Alternativlosigkeit dienten, die mit jedem weiteren Schritt zum Konsens geronnen ist. Ganzist das nicht gelungen: Laut Stellungnahme des Beirats hält „ein Teil der Mitglieder in Teilen die Forderungen für die Überarbeitungnicht für erfüllt“. So viel Eiertanz wäre gar nicht nötig gewesen: In diesem Prozess wurde der Beirat in seiner städtebaulichen Kompetenz schlicht ausgebremst.

An der unangenehmen Wahrheit, dass sich auf diesem Bauplatz nicht alle gewünschten Interessen unterbringen lassen, kommt man nicht vorbei. Auf der Strecke bleiben die verletzlichsten, die Qualität des Stadtbilds und das Vertrauen in die Prozesse der Stadtplanung, gerade weil sie hier mit so enormem Aufwand inszeniert wurden.

Jetzt ist das Projekt dort angekommen, wo es eigentlich hingehört: auf der politischen Ebene. Proteste jenseits der Fachöffentlichkeit formieren sich. Der Investor spricht von Baubeginn nicht vor 2019. Bis dahin ist viel Zeit, die Konsensmaschine auf Hochtouren laufen zu lassen. Aber auch Zeit, die Alternativlosigkeit des Projekts infrage zu stellen. Wer bringt dafür die Fantasie auf?

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: