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Im Turm der Paragrafen
Spectrum

Stichwort Bundesvergabegesetz

Zum Glück muss man das Bundesvergabegesetz nicht kennen, um Architektur zu genießen: eine trockene Materie, aber mit großem Einfluss auf die Baukultur.

8. April 2017 - Christian Kühn
Baukultur entsteht, wenn gute Bauherren und gute Architektinnen und Architekten zueinander finden. Dafür gibt es viele Wege, vom Direktauftrag bis zum Architekturwettbewerb in seinen unterschiedlichen Formen. Private Bauherren haben hier Wahlfreiheit. Öffentliche Bauherren, die mit Steuergeld bezahlen, unterliegen dabei zahlreichen Spielregeln, die in den vergangenen Jahrzehnten immer komplexer geworden sind.

Seit 1993 gibt es in Österreich ein Bundesvergabegesetz (BVergG), das für öffentliche Vergaben jeder Art Fairness und Transparenz herstellen soll. Das Gesetz schreibt vor, dass alle öffentlichen Aufträge in der EU ab bestimmten Schwellenwerten europaweit ausgeschrieben werden müssen. Allein damit hat es durch Stärkung des Wettbewerbs einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung Europas geleistet. Niemand sollte Zeiten nachtrauern, in denen mächtige Bautenminister Planungs- und Bauaufträge direkt an Partei- und sonstige Freunde vergeben konnten. Das widersprach zwar auch damals den geltenden Ö-Normen, aber erst die Europäische Union und ihr Gerichtshof haben den Rahmen geschaffen, in dem solche nationale Korruption deutlich erschwert ist.

Das Gesetz ist in weiten Teilen eine Übersetzung von Richtlinien der EU in österreichisches Recht, die nach jeder Revision auf EU-Ebene nachvollzogen werden muss. Solche großen Revisionen ergaben sich annähernd im Rhythmus von zehn Jahren, zuletzt 2004 mit einer Frist zur Umsetzung in nationales Recht bis 2006 und aktuell 2014 mit Frist bis 2016. Während Deutschland diese Frist einhielt, liegt das Gesetz in Österreich erst jetzt, mit gut einem Jahr Verspätung, zur Begutachtung im Parlament. Der Hintergrund ist ein Politikum: Zu Beginn des Jahres 2016 wurde eine Novelle des Gesetzes vorgezogen,die sich gegen Sozialdumping richtete und unter anderem eine Verpflichtung zum Bestbieterprinzip – also der Vergabe nach Qualitätskriterien und nicht nur nach dem Preis – bei Bauaufträgen ab einer Million Euro einführte. Die Gesamtrevision quasi parallel dazu rechtzeitig umzusetzen war legistisch nicht zu bewältigen.

Unter anderem regelt das Bundesvergabegesetz die Vergabe von sogenannten „geistigen Leistungen“, zu denen auch Architektur- und Planungsaufträge zählen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht zwingend zum selben Ergebnis führen: Bei gleicher Ziel- und Aufgabenbeschreibung können, wie jeder Architekturwettbewerb zeigt, höchst unterschiedliche Lösungen entstehen. Die Sprache des Gesetzes hat sich in diesem Punkt über die Jahre subtil verändert: War ursprünglich von „geistig-schöpferischen Leistungen“ die Rede, womit der Aspekt der „Kreativität“ impliziert war, ist im aktuellen Gesetzesvorschlag nur noch von „geistiger Leistung“ die Rede, bei der es noch dazu eine subtile Differenzierung gibt, und zwar in geistige Leistungen, die „konzeptionelle oder innovative Lösungen“ erfordern, und solche, die das nicht tun. Für Letztere ist es mit dem neuen Gesetz zulässig, als einziges Zuschlagskriterium den Preis der Leistung zu verwenden. Darunter kann etwa eine routinemäßige statische Berechnung oder eine Vermessung fallen, bei denen Ziele und Methoden klar beschrieben werden können. Auch die örtliche Bauaufsicht wird von manchen Juristen in diese Kategorie gezählt werden, obwohl gerade hier die Kompetenz gefragt ist, unvorhersehbare Herausforderungen zu bewältigen.

Mittelfristig hat die neue Regelung allerdings auch eine gewisse Sprengkraft für die Planung generell. Wie kreativ ist ein Planer noch, dessen CAD-System ebenso komplexe Aufgaben auf Knopfdruck erledigt? Man kann darauf vertrauen, dass jeder Architekturauftrag eine ganzheitliche und so komplexe Leistung verlangt, dass eine Automatisierung nicht möglich ist. Trotzdem: Die neue Formulierung öffnet ein Stück weit die Tür zu einer Welt, in der Auftraggeber auch bei geistigen Leistungen bewusst eine nicht innovative Lösung bestellen, für deren Planung sie dem Billigstbieter den Zuschlag erteilen können. Zudem könnte eine zweite Neuregelung problematische Seiteneffekte haben. Während bisher das „technisch und wirtschaftlich günstigste“ Anbot aufgrund vorab definierter Zuschlagskriterien zu wählen war, ist in Zukunft eine Alternative zulässig, nämlich die Vergabe aufgrund der erwarteten Lebenszykluskosten in Kombination mit den Kosten der Planungsleistung. Die Lebenszykluskosten bei der Bewertung zu berücksichtigen ist grundsätzlich vernünftig: Die Kosten für den Auftraggeber bestehen ja nicht nur in den Errichtungskosten, sondern in den Kosten für Energie, Wartung, Erneuerung und gegebenenfalls der Entsorgung. Die Regelung bietet allerdings die Möglichkeit, geistige Leistungen rein auf der Basis monetärer Kriterien zu vergeben, selbst wenn das Gesetz das Bestbieterprinzip verlangt.

Eine besondere Bedeutung für die Baukultur hat das BVergG insofern, als es die Grundlagen für Architekturwettbewerbe im öffentlichen Sektor formuliert. Architekturwettbewerbe liefern einen Gewinner, der das Recht erwirbt, mit dem Auftraggeber in ein Verhandlungsverfahren einzutreten. Sie sind immer noch der beste Weg zur Qualität, solange die Souveränität und Professionalität der Jury gesichert sind.

Das Gesetz sieht allerdings ebenso Varianten des Verhandlungsverfahrens vor, die man mit dem Architekturwettbewerb verwechseln könnte, nämlich die „Innovationspartnerschaft“ und den „wettbewerblichen Dialog“. Gedacht ist Letzterer für komplexe neue Aufgaben wie zum Beispiel die Ausschreibung eines fahrerlosen Transportsystems, bei denen technische Spezifikationen im parallelen Dialog mit mehreren Bietern erst erarbeitet werden müssen. Dieses Instrument als Ersatz für städtebauliche Ideenwettbewerbe einzusetzen, wie das in Wien diskutiert wird, ist problematisch. Es verlagert die Formulierung der Aufgabe ins Verfahren selbst und öffnet dabei Tür und Tor für den Einfluss von Partikularinteressen. Die zentrale Rolle kommt hier den Verfahrensorganisatoren und Prozessbegleitern zu, deren Kompetenz in Gestaltungsfragen aber meist nicht ausreicht, um den Vorrang des Stadtraums gegen diese Interessen zu verteidigen. Zum Glück kann man Architektur auch ohne Kenntnis der 384 Paragrafen dieses Gesetzes genießen. Um Architektur zu schaffen, muss man heute, jedenfalls im öffentlichen Bereich, zumindest die Grundlagen dieser hochkomplexen juristischen Konstruktion verstehen.

Im Parlament warten derzeit auch einfachere Gesetze auf ihre Beschlussfassung, etwa das „Bundesgesetz zur Förderung von kommunalen Investitionen 2017“, mit dem 175 Millionen Euro zusätzlich für Modernisierung der Infrastruktur, in erster Linie für Kindergärten, Schulen und Heime, an die Gemeinden ausgeschüttet werden. Diese Wirtschaftsförderung geht direkt vom Finanzministerium an die Kommunen. Die Gelegenheit, die Auszahlung dieser Gelder an Kriterien zu binden, die die Baukultur verbessern, etwa die Durchführung von Wettbewerben oder Vorrang für Investitionen in bestehenden Ortskernen, scheint der Gesetzgeber wieder ungenutzt vorbeigehen lassen.

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