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Erst denken, dann bauen
Spectrum

Velden am Wörthersee leistet sich eine Bausperre, um seine Ortsentwicklung auf eine neue Basis zu stellen. Zwei Jahre nicht bauen: Auch das kann ein Zeichen von Baukultur sein.

21. Oktober 2017 - Christian Kühn
Die Vorstellung einer unberührten Landschaft ist ein Widerspruch in sich. Im Begriff der Landschaft steckt das Schaffen, weshalb mit diesem Begriff nie eine ursprüngliche Natur gemeint sein kann, sondern immer eine gestaltete. Der alpine Tourismus ist ein Phänomen an der Grenze dieser Sphären: im Vordergrund die gestaltete Landschaft, im Hintergrund die erhabene Welt der Berge.

Kaum eine andere Region entspricht diesem Bild so sehr wie jene um den Wörthersee. Dort hat der Tourismus bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts Wurzeln geschlagen, spätestens mit der Verlängerung der Südbahn bis Villach im Jahr 1864. Um 1900 entwickelte sich hier eine eigene Ausprägung des Heimatstils, eine Form des Späthistorismus, die nach der Jahrhundertwende auch Elemente des Jugendstils in ihr Vokabular aufnahm.

Diese von Städtern für Städter entworfene Landhausarchitektur hat die Ufer des Wörthersees von den 1890er-Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg geprägt. Hier entstanden zahlreiche Villen, von denen die meisten auch gut ins Wiener Cottage-Viertel gepasst hätten, wie etwa jene, die sich Gustav Mahler 1901 hier errichten ließ. Dazu kamen Fantasieschlösser wie in Reifnitz und Seefels, und schließlich Bäder und Hotels unterschiedlicher Größe. Pörtschach, wo gleichzwei Hotelbetriebe, die Etablissements Wahliss und Werzer, miteinander konkurrierten, entwickelte sich ab 1895 zu einem der mondänsten Kurorte Österreichs.

Der produktivste Architekt dieser Epoche in der Wörtherseeregion war der aus Wien stammende Franz Baumgartner, der an der Akademie der Bildenden Künste studiert hatte. 1909 begann er seine Karriere als Architekt in Velden, unter anderem mit dem Entwurf des Hotels Kointsch. Friedrich Achleitner lobte an diesem Bau das „unglaublich variable architektonische Vokabular, das alle Ansprüche an eine gehobene Erholungsarchitektur befriedigen konnte“. Ausgeführt wurde das Hotel vom Bauunternehmer Anton Bulfon, der 1908 nach Velden gezogen war und die Entwicklung des Orts als größter Grundeigentümer maßgeblich beeinflusste. Ihm gelang es auch, 1922 das Casino nach Velden zu bringen. Im Zentrum des Orts, am Karawankenplatz, errichtete er nach Plänen Baumgartners 1924 mit dem Carinthia noch ein weiteres Hotel, mit dem man an die große Zeit des Tourismus vor dem Ersten Weltkrieg anknüpfen wollte.

Zu ihrer früheren mondänen Atmosphäre fand die Region nach 1918 aber nie mehr zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zwar einzelne Versuch, Hotels im internationalen Stil der Moderne zu errichten, etwa das weitgehend im Originalzustand des Jahres 1963 erhaltene Parkhotel in Pörtschach, das sich auf einem Teil des ehemaligen Etablissements Wahliss befindet.

Wer heute den Wörthersee besucht, braucht einiges an Einbildungskraft, um die Spuren der Erholungslandschaft zu erkennen, die man hier vor hundert Jahren erleben konnte. Die Ufer des Sees wurden über die Jahrzehnte immer dichter verbaut, überwiegend mit Apartmenthäusern, die als Zweitwohnsitze dienen. Mit solchen Projekten lässt sich prächtig Geld verdienen. Allerdings unterliegen sie dem Paradoxon jeder Massenerholung: Im Erfolg zerstören sie ihre eigenen Voraussetzungen. Am Wörthersee ist die Bebauung an den Ufern exponentiell gewachsen: Viel zu lange hat man die Entwicklung nur als Störung, aber nicht als Bedrohung des Erholungsraums wahrgenommen. Heute ist das zulässige Maß an Verdichtung bei Weitem und – wie manche Beobachter meinen – irreparabel überschritten. Im besten Fall könne man noch ein wenig Kosmetik betreiben, auf der Ebene der Orts- und Raumplanung sei heute nichts mehr zu retten.

Aber ist dieser Defätismus tatsächlich gerechtfertigt? Es gibt zumindest einzelne Gemeinden, die versuchen, neue Wege zu gehen. Eine davon ist Velden am Westufer des Wörthersees, im Sommer das touristische Zentrum der Region mit 6500 Gästebetten und 460.000 Übernachtungen pro Jahr. Der Ort boomt, von Mai bis September ist Velden praktisch ausgebucht, und mit dem Veldener Advent wird versucht, die Saison in den Winter hinein zu erweitern. Allerdings gibt es im Ort mit knapp 9000 Einwohnern auch 2000 Nebenwohnsitze, die von Touristikern als „kalte Betten“ bezeichnet werden, da sie den Großteil des Jahres unbenutzt bleiben. Viele dieser Nebenwohnsitze waren ursprünglich als Hotels bewilligt, stellten aber bald den Betrieb ein, um als Geldanlage verkauft zu werden.

Velden hat auch über andere Fragen der Landschaftsnutzung nachzudenken: den öffentlichen Seezugang, den Durchzugsverkehr im Ort, die plärrende Tourismusarchitektur, die sich weit von der mondänen Entspanntheit entfernt hat, die der Ort einmal zu bieten hatte. In der aktuellen Boomphase hätte man diese Fragen leicht in die Zukunft verschieben können. Velden hat sich entschlossen, diese Phase zu nutzen, um grundlegende Veränderungen einzuleiten. Ein erster Schritt dazu war 2008 die Schaffung eines Architekturbeirats, der überwiegend mit Architekten besetzt ist, die von außerhalb der Region kommen. Der Ortsplaner, Gerhard Kopeinig, ist in diesem Gremium Mitglied ohne Stimmrecht.

Eine Aufgabe eines solchen Beirats ist es, bei den Ortsbewohnern Bewusstsein für Qualität zu schaffen. Das braucht mehrere Jahre und Projekte, die sich für eine Bürgerbeteiligung eignen. In Velden hat man sich dafür ein Projekt vorgenommen, das in Österreich einzigartig ist: die Verwandlung eines vom Auto dominierten Verkehrskanals in einen „Shared Space“. Einzigartig ist das Projekt insofern, als erstmals eine Bundesstraße in dieser Form fußgängertauglich gemacht wurde, wofür auf Betreiben der Gemeinde sogar die Straßenverkehrsordnung novelliert werden musste. Finanziert wurde das Projekt zur Hälfte vom Land und zu je einem Viertel von der Gemeinde und den Unternehmen, die an diesem Straßenstück liegen. In der nächsten Etappe soll die Neugestaltung des Straßenraums bis zum Karawankenplatz, wo die Hauptwerke Franz Baumgartners derzeit in einer Asphaltwüste schwimmen, weitergeführt werden.

Im Herbst 2016 hat sich die Gemeinde entschlossen, einen radikalen Schritt zu setzen. Bürgermeister Ferdinand Vouk verkündete eine zweijährige Bausperre für den erweiterten Seeuferbereich, also für alle Grundstücke, auf denen ein besonderer Entwicklungsdruck lastet. In den zwei Jahren sollen die raumplanerischen und gestalterischen Grundlagen erarbeitet werden, auf denen die Gemeinde ihre Entwicklung aufbauen möchte. Seit einem Jahr läuft eine umfassende Analyse der Situation, im nächsten Schritt werden die Ergebnisse in Bürgerversammlungen diskutiert, danach international ausgeschriebene städtebauliche Ideenwettbewerbe durchgeführt. Am Ende soll eine neue Bebauungsplanung stehen, deren Ziele im Gemeinderatsbeschluss für die Bausperre klar angesprochen sind: Erhaltung der Ortsbildqualität; Beschränkung der Anzahl der Wohneinheiten auf maximal zwei bis drei pro Grundstück; Freihaltung des Seeuferbereichs; Vermeidung der Verbauung mit großvolumigen Wohnanlagen. Vielleicht gelingt der Gemeinde ja ein Jahrhundertprojekt, mit dem sie ihre große Tradition in die Zukunft führt.

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