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Wer braucht denn schon Details?
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Private Public Partnership wird gerne als Königsweg dargestellt, um soziale Infrastruktur zu schaffen – ohne neue Schulden. Erste Realisierungen zeigen die Grenzen dieses Modells.

10. März 2018 - Christian Kühn
Mit dem Wachstum der Stadt wächst auch der Bedarf an Kindergartenplätzen, Schulklassen und Krankenhausbetten, also an „sozialer Infrastruktur“. Dieser Begriff hat sich in der Sprache der Planer in den 1970er-Jahren etabliert, als in den Vereinigten Staaten von einer „Infrastructure Crisis“ gesprochen wurde, die sich zuerst auf rein technische Systeme bezog, also Transport- und Kommunikationssysteme, aber bald auf die „Hardware“ des Bildungs- und Gesundheitssystems ausgedehnt wurde.

Über Schulen und Kindergärten als Infrastruktur nachzudenken bedeutet, sie als große Systeme mit Lebenszyklen von 50 Jahren zu betrachten, in die enorme Investitionen fließen. Pro Jahr muss die Stadt Wien in ihren Pflichtschulen in Summe zusätzliche 120 Klassen schaffen. Es geht hier nicht um einzelne Gebäude, sondern um „Programme“, aktuell in Wien etwa das für die Periode 2012 bis 2022 laufende Schulbauprogramm mit einem Budget von 700 bis 800 Millionen Euro, in dessen Rahmen zehn neue Bildungseinrichtungen realisiert werden. Dazu kommen weitere, Hunderte Millionen Euro teure Programme für Schulsanierung und -erweiterung.

Wer in solchen Dimensionen denkt, fokussiert beim Bauen auf die ökonomischen Aspekte. Jede Million, die die Stadt in ihre Bildungsinfrastruktur steckt, ist eine Investition in die Zukunft – zumindest wenn man daran glaubt, dass Menschen mit guter Schulbildung später mehr zur Wirtschaft und zum Steueraufkommen beitragen werden. Am Anfang trägt diese Investition aber nur zum Schuldenstand der öffentlichen Hand bei, zu dessen Limitierung sich Österreich innerhalb der EU zur Einhaltung der sogenannten Maastricht-Kriterien verpflichtet hat. Zur legalen Umgehung dieser Kriterien steht der öffentlichen Hand das Instrument des Public-Private-Partnership zur Verfügung, bei dem Infrastruktur von Privaten errichtet und an den Staat vermietet wird, womit nur die jährlichen Mietkosten fürs Budget schlagend werden. Neben der nominellen Budgetentlastung steht hinter dem Modell die Ideologie, dass ein schlanker Staat Aufgaben an Private übertragen sollte, die dieselben Leistungen effizienter und kostengünstiger erbringen würden.

Die Idee von PPP-Modellen stammt nicht zufällig aus Großbritannien, wo Tony Blairs New Labour nach ihrem Wahlsieg 1997 die Idee eines Dritten Wegs propagierte, der eine stärkere Beteiligung privater Investoren an öffentlichen Aufgaben vorsah: als Partnerschaft – im Unterschied zur radikalen Privatisierung der Thatcher-Ära. Bis zu 20 Prozent günstiger sollten Projekte werden, wenn sie der trägen Beamtenschaft entzogen und agilen Privaten übertragen würden. Die Realität sieht freilich anders aus. Ein Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments kam 2011 zum Ergebnis, dass Nachforderungen der Investoren die Regel sind. Ähnlich urteilte 2014 der Deutsche Bundesrechnungshof, der mittels PPP errichteten Autobahnprojekten Mehrkosten in Milliardenhöhe attestierte. Befürworter des Modells sprechen von einzelnen Negativbeispielen und sehen den zentralen Vorteil von PPP in der höheren Kostenwahrheit, da der Private einen realistischen Fixpreis zusagen muss. Öffentliche Auftraggeber würden stattdessen oft mit zu niedrigen Budgets in ein Projekt starten. Für den Bildungsbau greift dieses Argument freilich nicht. Eine Gemeinde wie Wien mit Hunderten Schulbauten weiß, welchen Standard sie um welches Geld errichten möchte. Hier geht es einzig und allein um die Maastricht-Kriterien und die Frage, in welchem Bereich man sich für PPP-Modellen entscheiden möchte. Warum ausgerechnet Bauten für die Bildung so realisiert werden müssen, ist nicht leicht zu argumentieren.

Die Entscheidung Wiens, in Zukunft alle großen Neubauten im PPP-Modell zu errichten, hat vor zwei Jahren zu einem massiven Protest der Architektenschaft geführt, der auch von der Kammervertretung mitgetragen wurde. Architekten gaben anstelle von Projekten Protestplakate ab, in denen sie gegen PPP polemisierten. Dabei ging es vor allem um einen prinzipiellen, für die architektonische Qualität wesentlichen Aspekt: Die Stadt wollte PPP so anlegen, dass Architektinnen und Architekten, die einen Wettbewerb gewinnen, nur den Entwurf und Leitdetails planen sollten. Die weitere Planung sollte von anderen Planern im Auftrag des privaten Partners übernommen werden. Die Gründe dafür waren juristisch argumentiert, zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aber mit der Hoffnung, sparen zu können, wenn die Architektur sich nicht mehr mit ihren Flausen einmischen darf.

Inzwischen hat die Stadt dazugelernt: Bei den jüngeren Campusprojekten kamen unterschiedliche Modelle zur Anwendung: In manchen Fällen wurden die Architekten vom privaten Partner übernommen, in anderen werden die Architekten auch in der Ausführungsphase einbezogen, wenn es um letzte Umsetzungsfragen im Detail geht. Zur klaren Regelung, dass der Private die Planer aus dem Wettbewerb übernehmen muss, wollte die Stadt sich aber nicht durchringen. Bei den kleinen und mittelgroßen Schulerweiterungsprojekten verzichtet sie aber inzwischen komplett auf PPP und vergibt nach Architekturwettbewerben Generalplaneraufträge – das klassische Modell, das etwas mehr Zeit kostet, aber im Schnitt die beste Qualität liefert.

Beim PPP-Projekt Campus Attemsgasse, seit Herbst in Betrieb, galten allerdings noch härtere Spielregeln, die den Wettbewerbsgewinnern, Querkraft Architekten, keinen Einfluss auf die Umsetzung erlaubten. Das Grundkonzept eines großen, offenen Regals mit eingestellten Raumboxen wurde zwar ohne Kompromisse realisiert, mit vielen liebevollen Details in der Möblierung. Hätten Querkraft mehr mitbestimmen können, wäre aber manches anders ausgehandelt worden: die Details der verzinkten Metallgeländer, die Dicke der Stahlbetonsäulen des umlaufenden Gerüsts und ganz sicher die massiven gelben Beklebungen an allen Glasflächen als Anprallschutz laut ÖNORM B1600, die hoffentlich sukzessive durch eine intelligentere Lösung ersetzt werden.

Auch wenn es aus der Vogelperspektive der Zuständigen für die „soziale Infrastruktur“ nicht leicht zu erkennen ist: Architektur lebt nicht zuletzt von schönen, gut gemachten Details. Die sind nicht gratis, spielen sich aber durch die Zufriedenheit der Nutzer von selbst wieder herein.

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